Draußen war es noch hell, als wir das Restaurant wieder verließen und gegen meinen Willen wollte Liv noch meine Wohnung sehen und heftete sich mir an die Fersen. Langsam beschlich mich das Gefühl, dass sie mich einfach nur ärgern wollte. Weil ich keine Lust hatte, zu erfahren, wie es in ihrem Leben stand, wo sie wohnte, ob sie arbeitete oder ihrem langweiligen Wirtschaftsstudium treu geblieben war oder ob sie schon einen neuen Liebhaber hatte, schwiegen wir.
Gerade als ich die Haustüre aufsperren wollte, wurde sie von innen geöffnet und der bekannte Schwall aus hellblauen Haaren empfing mich.
Verdammt!
In diesem Augenblick fiel mir ein, dass Juliana und ich uns zum Spazierengehen für heute Abend verabredet hatten. Ich hatte ihr versprochen, nach der Arbeit vorbei zu kommen. Wegen Liv hatte ich völlig vergessen, Juliana Bescheid zu geben und sie sah nicht unbedingt glücklich darüber aus, dass sie jetzt in mich hineinlief. Noch dazu mit einem Mädchen an meiner Seite.
A.T. sprang aufgeregt an meinem Bein hoch und sah sich um, aber Loaf hatte ich vor dem Abendessen mit Liv in meine Wohnung gebracht.
„Hey, tut mir leid, ich hab total vergessen, dass wir verabredet waren", sprudelte es sofort aus mir heraus, aber Liv drängte sich bereits ins Stiegenhaus und strahlte Juliana mit ihrem falschesten Lächeln an. Ich kannte dieses Lächeln. Es bedeutete, dass sie innerhalb weniger Sekunden beschlossen hatte, dass ihr Gegenüber ihrer nicht würdig war.
Und weil ich Liv kannte, nahm ich an, dass es die blauen Haare waren, die sie störten.
„Hi, ich bin Liv." Sie streckte Juliana die Hand hin und ich schloss angestrengt die Augen.
Wieso? Was hatte ich getan oder nicht getan, dass ich das verdient hatte? Ich hatte sogar Alaina mit ihrem Stalker ausgeholfen!
„Oh", sagte Juliana nur, ohne Livs Hand zu ergreifen und vergaß darüber hinaus, sich selbst vorzustellen. Oder vielleicht wollte sie es auch gar nicht. Dabei hatte ich sie noch nie unhöflich erlebt.
Liv ließ den Arm wieder sinken, ihr Lächeln blieb jedoch unbewegt an seinem Platz. „Deinem Oh entnehme ich, dass du weißt, wer ich bin."
Ich hatte Livs Namen vielleicht einmal in Julianas Gegenwart fallen lassen, aber offenbar hatte er sich in ihr Gehirn gebrannt.
„Ja, ich hab von dir gehört", nickte sie und rang sich ein Lächeln ab, aber sogar ich merkte, wie falsch es war.
„Wirklich?" Livs Strahlen wanderte zu mir. „Hoffentlich nur Gutes."
„Davon würde ich nicht ausgehen", brummte ich und schob sie von Juliana weg, während ich zu retten versuchte, was jetzt noch zu retten war. „Ich zeige ihr nur schnell meine schwarze Türe. Soll ich nachher noch vorbeikommen?" Ich wartete Julianas Antwort nicht ab, weil ich sie erahnte. „Perfekt, bis später!"
In meinem Flur angekommen, stieß ich den Atem aus und schüttelte den Kopf.
„Oh Gott, diese blauen Haare sehen absolut schrecklich aus, hat das Mädchen keinen Spiegel?", fragte Liv sofort.
Ich unterdrückte ein Seufzen, als ich die Türe aufschloss und sie in meine Wohnung ließ. Ihr Blick glitt neugierig durch das Wohnzimmer und die Küche.
„Etwas leer, findest du nicht?"
„Du meinst, so wie dein Brustkorb?"
Sie drehte sich zu mir. „Zynisch wie immer. Du findest, ich bin herzlos?"
Ich sparte mir meine Antwort. Nicht einmal Loaf bemühte sich, von der Couch herunter zu springen, um sie zu begrüßen, sondern legte nur wachsam die Ohren an. Wenn sogar die treuherzige Loaf Liv nicht mochte, dann war das für mich aussagekräftig genug, aber vielleicht war sie auch einfach noch ein bisschen dusselig von der Spritze.
Ehrlich gesagt war ich überrascht, wie wenig Liv sich geändert hatte, wie sehr sich aber dafür meine Sicht auf gewisse Dinge geändert hatte. Was ich an ihr früher so anziehend gefunden hatte, fand ich im Augenblick einfach nur anstrengend.
Vielleicht hatte ich diese wenigen Wochen Abstand und das jetzige Wiedersehen gebraucht, um zu verstehen, was ich so lange Zeit nicht bemerkt hatte. Dass wir absolut und überhaupt nicht zusammen passten. War das schon immer so gewesen?
„So. Du hast meine Wohnung gesehen", sagte ich. „Kannst du jetzt bitte wieder gehen und mich in Frieden leben lassen?"
„Vermisst du mich denn gar nicht?", fragte sie plötzlich und sah halb neugierig, halb verletzt aus.
Ich betrachtete sie einen Augenblick lang. „Nein. Ich habe eine Zeit lang unsere Beziehung vermisst. Aber nicht dich."
Sie blieb mit verschränkten Armen mitten im Raum stehen, während ich noch gegen der Türe lehnte, und sah mich an. „Tja, dann war das alles völlig sinnlos."
„Das hätte ich dir von Anfang an sagen können", gab ich trocken zurück. Ich glaubte nicht, dass sie mich vermisste. Ich glaubte, dass sie die Dinge vermisste, die ich für sie getan hatte. Dass ich sie über alle anderen gestellt hatte. Dass ich all meine Energie in ihr Glück gesteckt hatte. Sie war selten glücklich gewesen.
„Du wirst dich nie ändern", sagte sie noch, als ob mich das auch nur im Geringsten treffen würde. An der Türe drehte sie sich noch einmal zu mir. Ihr Gesicht war meinem für meinen Geschmack viel zu nahe, aber das gehörte zu ihrem kleinen Provokationsspielchen, dem ich nicht ausweichen würde. „Doch. Etwas hat sich geändert."
„Und was?", fragte ich und wollte nur noch, dass sie aus meiner Wohnung verschwand.
„Blaue Haare? Seit wann stehst du auf sowas?" Mein erster Instinkt war zu protestieren, weil es Liv nichts anging, mit wem ich meine Zeit verbrachte, aber sie legte den Kopf schräg. „Versuch es gar nicht erst. Wir waren fünf Jahre lang zusammen. Du hast mich auch mal so angesehen."
Ich zuckte mit den Schultern. „Mich stören ihre Haare nicht."
„Seit wann magst du Mädchen mit bunten Haaren?"
„Ich habe nicht gesagt, dass ich es mag. Ich hab gesagt, es stört mich nicht."
Liv sah mich mit einem undefinierbaren Blick an. Ich war mir sicher, dass es das letzte Mal sein würde, dass ich ihre olivfarbenen Augen mit dem braunen Rand sehen würde.
Dann drehte sie sich um und stolzierte aus meiner Wohnung.
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Der Stalker meiner Vormieterin
Teen FictionFür Simon hat eben erst ein neues Leben angefangen. Endlich frei von dem Dauerkrieg Zuhause und frisch von seiner Freundin getrennt, will er sich, nicht zu weit weg, ein eigenes Leben aufbauen, auch, wenn er noch nicht so recht weiß, wie das aussehe...