„Das hast du gesagt?", fragte Rey ungläubig, als er es am Samstag doch schaffte, mich zurückzurufen. Gott weiß, wo er gesteckt hatte, er wollte es mir nicht sagen und ich hatte wichtigeres zu tun, als herauszufinden, in welchen Freudenhäusern er versucht hatte, sich über das Ende seiner Beziehung hinwegzuschlafen. „Und der Kerl mit dem du Juliana im Café gesehen hast war ein Schwarzer? Ist ja übel..."
„Steck dir deine Schadenfreude sonst wohin", brummte ich und richtete die Häuschen im Hasengehege in die richtige Position aus. Die Fellknäul verschoben ihren Unterschlupf immer, so bescheuert, dass sich das ausgeschnittene Loch im Holzhäuschen gegen die Käfigwand drückte, und die Hasen nicht mehr hinein konnten.
„Wenn ich das nicht gerade biege, wird Juliana mich nicht einmal mehr ansehen."
„Naja, du könntest tun, was sie dir gesagt hat. Dich über das Thema informieren."
„Was gibt es da schon zu wissen? Beschissene Infrastruktur, keine guten Ärzte, kaum Bildung und... sie verstümmeln immer noch Frauen. Hab ich nicht recht?"
„Wow", meinte er. „Ich glaube, ein Völkerkundeexperte hätte dem nichts mehr hinzuzufügen. Aber von der Afrikasache mal abgesehen: Warum machst du dir überhaupt so viel aus dem Mädchen?" Seine Stimme nahm einen neckenden Tonfall an und ich konnte sein breites Grinsen deutlich vor mir sehen, als ich die Gittertüre verschloss und sich gleich zwei der Babyhasen in das Häuschen drückten. Meiner Nase nach zu urteilen, würde ich das Gehege heute bestimmt auch säubern müssen. Aber vielleicht hatte ich ja Glück und Malcom würde nicht daran vorbeigehen und vergessen, mich daran zu erinnern.
„Glaubst du, sie hat was mit dem Kerl?"
„Stehst du auf sie?"
„Rollt Scheiße bergauf?"
„Was?"
„Was?"
Rey seufzte angestrengt und ich wandte mich dem nächsten Kaninchengehege zu. „Gibt es auf Netflix irgendwelche Dokumentationen über Afrika?"
„Keine Ahnung. Bestimmt."
„Gut. Dann gib mir die Daten für deinen Account."
„Sieh einer an. Juliana macht dich zu einem besseren Menschen. Wann lerne ich diese kleine, gerissene Hexe endlich kennen? Ich wette sie beherrscht die Kunst der Dunklen Magie, sonst hätte sie dich nie verhexen können."
„Rey", mahnte ich.
„Hey, vielleicht kann sie ihren Zauberstab schwingen und gleich dafür sorgen, dass der Stalker verschwindet."
„Ja, und vielleicht zaubert sie dich und den Köter gleich mit ins Jenseits." Malcom kam um die Ecke und sah mich mahnend an. Er hasste es, wenn ich bei der Arbeit telefonierte. „Ich muss Schluss machen."
„Hey, Sekunde noch! Was ist denn jetzt mit Alaina?"
„Was soll mit ihr sein?"
„Machst du dir keine Sorgen? Jetzt, wo der Stalker offensichtlich wieder weiß, wo sie wohnt?"
„Nein. Er verfolgt sie schon seit zwei Jahren und es ist noch nichts Gravierendes passiert."
„Noch nicht? Du willst mich fertig machen, oder? Wie können dir deine Mitmenschen so egal sein?"
„Seit sie mir Stalker auf den Hals hetzen."
Malcom räusperte sich unmissverständlich und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Man hört sich, Rey." Ich steckte mein Handy zurück in die Tasche. „Es waren nur zehn Minuten."
Er hielt mir einen Briefumschlag hin, den ich gar nicht bemerkt hatte.
„Was ist das?", fragte ich.
Er zog grübelnd die Augenbrauen. „Ich bin kein Spezialist, aber es sieht aus wie ein Briefumschlag. Du weißt schon, die Dinger, mit denen Rechnungen oder... Kündigungsschreiben kommen."
Ich legte den Kopf schräg. „Witzig. Was soll ich damit?"
„Lag heute Morgen vor der Türe. Mit deinem Namen darauf."
Ich erstarrte. „Und das fandest du nicht merkwürdig?"
„Angesichts der vielen Mädchen, die hier ständig deinetwegen ein- und ausspatzieren, muss ich ehrlich sagen: Nein. Da muss ja die ein oder andere etwas Schrägere dabei sein."
„Sei doch froh. Ich schleppe die Kundschaft an." Erst heute war zum fünften Mal diesen Monat eine junge Frau hier gewesen und hatte zum ebenfalls fünften Mal eine Dose Hundefutter gekauft. Eine einzige. Seit ich selbst unfreiwilliger Hundebesitzer war, war mir klar, wie seltsam das war. Als ich die Frau gefragt hatte, ob sie überhaupt einen Hund besaß und ob dieser bei dieser Extremdiät überhaupt noch lebte, hatte sie lachend den Kopf geschüttelt.
„Nein, ich habe keinen Hund." Sie hatte bezahlt und mit einem kecken Blick den Laden verlassen.
„Ich bin eben ein Frauenmagnet." Unschuldig zuckte ich mit den Schultern und Malcom sah mich unbeeindruckt an, den Brief immer noch in der Hand haltend, weil ich genau wusste, von wem er war. „Hast du den Brief geöffnet?"
„Im Gegensatz zu dir besitze ich eine gewisse Moral und schnüffle nicht in der Post anderer Leute herum. Vielleicht ist der Brief ja von deinem Stalker." Er sagte es in einem Tonfall, der mich wissen ließ, dass er meine Geschichte immer noch für erfundenen Stuss hielt.
„Kein Absender?", fragte ich dümmlich.
„Nein."
Widerwillig nahm ich ihn entgegen und Malcom drehte sich um und verschwand wieder zwischen den Regalreihen.
Es war ein simpler, weißer Briefumschlag, auf dem SIMON PARKER stand. Jetzt verwendete der Stalker schon meinen vollen Namen, das war ein völlig neuer Level an Intimität. Anscheinend machten wir Fortschritte, was unsere Beziehung anging, wie schön.
Außerdem passte in einen Briefumschlag keine Bombe, das gefiel mir.
Ich riss die Lasche auf und zog den Brief hervor. Als ich ihn auseinanderfaltete, segelten zwei längliche, schmale Karten auf den Boden, die ich als Kinotickets identifizierte.
„Das geht mir ein bisschen zu schnell, Kumpel", murmelte ich und hob die Karten auf. „Ich kenne noch nicht mal deinen Vornamen." Sie waren für eine Komödie. Ich hasste Komödien.
Halb erwartete ich eine Einladung ins Kino, aber auf dem Brief stand nur: Bring sie dort hin, sonst schlitze ich das nächste Mal etwas Anderes auf!
„Etwas Anderes?" Hatte ich da etwas nicht mitbekommen
Malcoms Kopf tauchte hinter einem der Regale hervor. „Mit wem redest du da?"
Ich hielt die Kinotickets hoch. „Lust auf ein Date mit dem gestalkten Mädchen?"
Er verdrehte die Augen, seufzte und verzog sich wieder. Er dachte doch tatsächlich immer noch, dass ich bluffte. Oder er dachte, dass Juliana den Brief vor die Türe geworfen hatte und ich ihn auf den Arm nehmen wollte. Er konnte schließlich nicht wissen, dass sie nur zehn Schritte von mir entfernt wohnte und momentan mit mir auf Kriegsfuß stand, weil ich einen kleinwenig rassistischen Kommentar von mir gegeben hatte.
Ich warf einen Blick auf das Datum der Tickets. Der Film lief heute Abend. Ich stopfte alles zurück in den Umschlag und warf ihn in den Papierkorb neben den Aquarien.
Es war ein nettes Angebot, aber ich hatte besseres zu tut, als mich dem Willen eines irren Stalkers zu beugen. Schließlich musste ich mich schon Julianas Willen beugen und hatte heute ein Date mit einer Netflixdokumentation über Afrika.
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Der Stalker meiner Vormieterin
Novela JuvenilFür Simon hat eben erst ein neues Leben angefangen. Endlich frei von dem Dauerkrieg Zuhause und frisch von seiner Freundin getrennt, will er sich, nicht zu weit weg, ein eigenes Leben aufbauen, auch, wenn er noch nicht so recht weiß, wie das aussehe...