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Loaf. Sie hatte Loaf. Die Irre hatte Loaf!

Das durfte ja wohl nicht wahr sein. Wieso war ich so dumm gewesen und hatte den Köter zu Hause gelassen?

Schwimmen... schwimmen... Wasser! Wohin würde sie Loaf bringen, was in Wassernähe war?

Zu der Brücke, sie war mit Loaf bestimmt auf der Brücke. Oder unter der Brücke. Auf jeden Fall in der Nähe der Brücke! Beim Fluss.

Es war nicht weit von hier und wenn ich rannte, war ich schneller, als wenn ich mich durch den Abendstau gedrückt hätte, also ließ ich meinen Wagen stehen.

Ich fand Alaina und Loaf sofort.

Sie waren auf der autobefahrenen Brücke an der Leitplanke nicht zu übersehen. Natürlich gab es keinen Gehweg und mir sprang das Herz beinahe aus der Brust, als mir klar wurde, dass ich mich gleich an den Rand einer Fahrbahn begeben würde.

Meinen Abgang hatte ich mir auf jeden Fall anders vorgestellt.

Aber ich musste zu ihr, denn sie hielt Loaf über den Rand der Brücke und sah mich an, als ob sie auf mich gewartet hätte. Der Köter witterte mich und begann in ihren Händen zu strampeln, sodass ich glaubte, sie würde ihren Tod gleich selbst verursachen.

„Was zur Hölle soll das?", brüllte ich ihr über den Straßenlärm und Wind hinweg entgegen.

„Ich werde sie fallen lassen!", schrie sie schrill.

„Wieso?"

Sie betrachtete mich. Tränen rannen ihr übers Gesicht. Alaina sah nicht wie eine verrückte Stalkerin, sondern wie ein verzweifeltes Mädchen aus. „Du weißt es, oder nicht?"

„Was hast du denn erwartet?", gab ich sauer zurück. „Dass ich es nie herausfinden werde? Was hast du gehofft, das passiert? Dass... dass ich mich in dich verliebe und wir glücklich bis an unser Lebensende leben? Dass ich nie herausfinde, dass der Stalker und alles drum herum nur eine einzige große Lüge waren? Dass nichts davon wahr war?"

Die vorbeirauschenden Autos interessierten sich kaum für uns. Kein Wunder, sie konnten bei knappen achtzig km/h nicht einfach stehen bleiben.

„Das meinte ich nicht!", rief sie.

„Was meinst du dann?"

„Die Akte! Ich habe sie auf deinem Computer gefunden. Du hast sie gelesen. Du weißt, wer ich bin!"

„Was soll das denn schon wieder heißen?" Ich wollte nichts sagen oder tun, das Alaina an den Punkt getrieben hätte, an dem sie Loaf tatsächlich losgelassen hätte. Der Hund winselte und wollte unbedingt aus ihren klammernden Händen. Bestimmt war die Art, wie sie Loaf hielt, auch nicht sonderlich angenehm. Beide Hände um den Brustkorb gedrückt und die Hinterbeine in der Luft baumelnd. Loaf war über die letzten Monate schwerer geworden.

„Hast du eine Ahnung, wie das ist, wenn alle Menschen Angst vor dir haben?", fragte sie und begann wieder zu weinen. „Wenn dich alle Menschen wie einen Außenseiter behandeln?"

„Ist das der Punkt, an dem du mir deine tragische Lebensgeschichte offenbarst?", fragte ich trocken. „Die kenne ich schon. Ich weiß, was deine Eltern getan haben."

Sie schüttelte mit einem bitteren Lächeln den Kopf. „Du weißt absolut gar nichts, Simon."

Ein Auto hinter uns hupte, Alaina erschrak und Loaf wankte in ihren Händen nach vorne. Ich sprang automatisch zwei Schritte auf sie zu, aber bevor Loaf aus ihren Händen rutschen konnte, stabilisierte Alaina ihren Griff wieder. Mein Atem ging schneller als gewöhnlich und mein Herz klopft so heftig, dass es in meiner Brust schmerzte.

Der Stalker meiner VormieterinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt