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Ich hatte beschlossen, kein Drama daraus zu machen. Vielleicht war der Stalker wirklich nur krank. Aber als am Mittwoch auch kein Brief kam, wurde ich unruhig und zählte die Sekunden bis Sonntag.

Wieder kein Brief.

Auch kein zerstückeltes Plüschtier.

Auch kein echtes, zerstückeltes Tier.

An diesem Punkt wäre mir sogar ein abgetrennter Kopf recht gewesen. Einfach irgendetwas, das mir zeigte, dass der Stalker immer noch nicht gecheckt hatte, dass die Frau, hinter der er her war, nicht mehr hier wohnte.

Gleichzeitig flüsterte eine Stimme in meinem Kopf, dass die Briefe nur aus dem Grund aufgehört hatten, weil der Stalker gerade seinen Anschlag oder seine Entführung plante und es nicht mehr nötig hatte, kleine Briefchen zu schreiben.

Ich war mittlerweile sogar so paranoid geworden, dass ich nachts wach lag und glaubte, jemanden das Schloss an meiner Türe knacken zu hören. Bei dem leisesten Geräusch wachte ich auf und das wollte was heißen, denn ich bin mit Sophie und ein paar schreienden Baby's groß geworden.

Auch, wenn ich es weder Rey, noch mir eingestehen wollte: Ich machte mir Sorgen um die Frau. Der Gedanke, dass dieser Irre sie gefunden haben könnte und ihr etwas antun würde, machte mich ganz krank. Täglich scrollte ich durch die Nachrichten, ob irgendwo eine Frauenleiche gefunden oder jemand als vermisst gemeldet wurde.

Und obwohl mir klar war, dass diese Welt verdammt groß und die Chance, dass der Stalker sie wieder finden würde, recht klein war, blieb dieses beunruhigende Gefühl (beinahe ein schlechtes Gewissen) stets in meinem Kopf.

Ich glaubte, etwas tun zu müssen.

Würde der Frau etwas passieren, weil ich sie nicht gewarnt hatte, würde ich mir das nie verzeihen. Und ich wusste, dass mich diese Gedanken bis an mein verdammtes Lebensende verfolgen würden.

Also fasste ich am nächsten Montag den Entschluss, Mrs. Graves zu fragen, ob sie etwas wusste, sobald ich von der Arbeit nach Hause kommen würde. Jetzt gerade war ich nämlich dabei die Scheiben der Aquarien von den Algen freizuschrubben. Das war im Normalfall nicht meine Aufgabe, aber ich schätze, Mal wollte mich dafür bestrafen, dass ich so häufig zu spät oder gar nicht aufkreuzte. Gerne hätte ich wieder blau gemacht, aber ich wurde Stundenweise bezahlt, weil Mal wusste, dass ich unzuverlässig war und ich brauchte wieder Kohle für meine Miete.

Ich mochte die Fische, weil sie keine Geräusche machten und nicht haarten, aber in der Abteilung roch es immer ein bisschen eigen. Wir hatten Süßwasser und Salzwasserbecken und der Geruch von Algen, Fisch und Fischfutter zusammen mit der feuchtwarmen Luft, ergab eine ungute Kombination, die mir den Magen umdrehte. Besonders, da ich meinen Arm gerade bis zum Ellenbogen in einem Becken mit Fischpipi stecken hatte.

„Das war's!", seufzte Mal und kam um die Ecke.

„Kann ich aufhören?", fragte ich hoffnungsvoll.

„Nein, du hast noch drei Becken vor dir. Ich rede von Ares."

„Ares?"

„Der Hund."

Ich blinzelte Mal an. „Du hast dem Köter einen Namen gegeben?"

„Ja."

„Du benennst ihn nach einem griechischen Gott?"

Mal seufzte. „Ist doch ohnehin egal. Der Kleine wird morgen abgeholt."

„Oh. Dann hatte also eine alte Dame Mitleid mit dem Krüppel?" Ich zog meine Hand aus dem Becken, zog den Handschuh aus und stieg die kleine Trittleiter herunter.

„Nein, Parker, der Hund wird abgeholt, weil er zu groß für das Gehege wird! Wir können ihn nicht den ganzen Tag da drinnen eingesperrt lassen."

„Ich sagte doch, dass ihn keiner abholen wird." Mal warf mir einen bösen Blick zu. Ich seufzte. „Und was passiert mit dem Scheißer?"

„Keine Ahnung. Entweder haben sie noch einen Platz im Tierheim frei oder sie schläfern ihn ein."

„Einschläfern ist humaner. Den wird sowieso nie jemand abholen. Vielleicht, wenn er hundert Dollar Noten kacken würde, aber-"

„Du bist fertig für heute." Mal rieb sich den Nacken. „Raus jetzt, bevor ich dich feuere."

Um ehrlich zu sein, wartete ich auf den Tag, an dem er mich wirklich rausschmeißen würde. Wie weit ich das Maß wohl noch überspannen konnte?

Der Stalker meiner VormieterinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt