„Hast du Geschwister?"
„Ach, komm schon", erwiderte ich. „Wir haben es fast den ganzen Abend ohne diesen Small-Talk-Mist ausgehalten. Warum jetzt damit anfangen?"
Sie lächelte. „Ich dachte, du willst vielleicht über was... Leichteres reden als die vier Phasen des Todes."
„Ich dachte immer es sind fünf."
Sie zuckte mit den Schultern und stach mit der Gabel in ihrem Schokokuchen herum. Angesichts ihrer Figur war ich überrascht, dass sie so viel auf einmal essen konnte. Liv hatte meist nach einem Salat genug gehabt, aber dafür alle drei Stunden vor dem Kühlschrank gestanden.
„Ich bin mir ziemlich sicher, dass jeder Mensch unterschiedlich viele Phasen beschreiben würde. Die vier Phasen der Trauer sind vermutlich nur ein grober Leitfaden."
Ich konnte nicht nachempfinden, wie es sich anfühlte, jemanden zu verlieren, den man liebte. Meine Großeltern lebten noch, meine Eltern, meine Geschwister. Meine Eltern hatten beide keine Geschwister, daher hatte ich weder Tanten, noch Onkel, Cousins oder Cousinen. Ich war in meinem ganzen Leben noch auf keiner einzigen Beerdigung gewesen und kannte diese Szenarien höchstens aus Filmen.
Das soll nicht heißen, dass ich als Kind nicht manchmal daran gedacht hätte, was passieren würde, wenn meine Eltern plötzlich nicht mehr da wären. Aber der Gedanke war so befremdlich gewesen, dass er mich nicht einmal zum Weinen gebracht hatte.
„Ich habe drei Geschwister", sagte ich schließlich und Juliana hob die Augenbrauen.
„Wow. Das ist ziemlich viel, oder nicht?"
Ich zuckte mit den Schultern. „Das musst du meine Eltern fragen. Sophie ist siebzehn, Cal ist zehn und Cora sieben. Also relativ große Abstände."
Sie zupfte das Minzblatt von der Schokoglasur. „Verstehe."
„Und du?"
„Stolzes Einzelkind", grinste sie. „Theoretisch."
Ich blinzelte sie amüsiert an. „Wie kann man denn theoretisch ein Einzelkind sein?"
„Naja, meine Mom hat wieder geheiratet und mein Stiefvater hat einen Sohn, also hab ich wohl irgendwie einen jüngeren Bruder."
„Deine Eltern sind getrennt?"
„Ja. Ich war damals fünf. Es war aber nicht... dramatisch oder so." Sie warf mir einen milden Blick zu. „Meine Eltern verstehen sich immer noch gut, es hat nur einfach nicht mehr so funktioniert, wie sie wollten. Sie haben sich auseinandergelebt. Meine Mom war jünger als ich, als sie mich bekommen hat. Als ich zehn war, hat sie Jeffrey kennengelernt, wir sind alle zusammen gezogen und nach drei Jahren haben die beiden geheiratet." Sie lächelte. „Du siehst so schockiert aus."
„Nur, weil ich noch nie jemanden so locker über die Scheidung seiner Eltern habe reden hören."
„Ich mag Jeff", erwiderte sie. „Er ist echt ein toller Kerl. Und er macht meine Mom glücklich. Und mit meinem Dad habe ich auch immer noch regelmäßig Kontakt. Ich schätze, es liegt bei Trennungen an den Eltern, wie Kinder damit umgehen. Ich hatte kein Problem damit." Sie hatte den Kuchen aufgeputzt und schob den Teller von sich. „Meine Eltern haben mir erklärt, warum sie nicht mehr zusammenwohnen, aber dass ich sie immer sehen werde. Am Anfang habe ich auch beide jeden Tag noch gesehen, obwohl ich später die meiste Zeit bei meiner Mom gewohnt habe. Ich hab immer mit meinem Dad telefoniert und irgendwann wurde es normal, dass ich ihn nur jedes zweite Wochenende gesehen habe, aber er wusste trotzdem immer genau welchen Arzttermin ich hatte und welche Arbeit in der Schule ich schreiben musste und welche Dramen in meiner Klasse stattgefunden haben." Ich musste lächeln. Sie war ehrlich glücklich darüber, wie die Trennung ihrer Eltern verlaufen war. Verrückt. „Als meine Mom dann Jeff kennen gelernt hat war ich anfangs nicht sonderlich begeistert, aber ich habe immer offen mit ihr und Dad und auch Jeff darüber gesprochen. Sie haben nichts überstürzt und ich habe immer noch genug Zeit mit meiner Mom alleine verbracht, sodass ich nie das Gefühl hatte, er würde sie mir wegnehmen. Außerdem... Jeff angelt gerne."
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Der Stalker meiner Vormieterin
Teen FictionFür Simon hat eben erst ein neues Leben angefangen. Endlich frei von dem Dauerkrieg Zuhause und frisch von seiner Freundin getrennt, will er sich, nicht zu weit weg, ein eigenes Leben aufbauen, auch, wenn er noch nicht so recht weiß, wie das aussehe...