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Ich mochte keine Menschen und Tiere noch viel weniger. Könnt Ihr erraten, was ich daher noch mehr hasste als Arztpraxen?

„So, wer ist der nächste Patient?" Die junge, blonde Frau im weißen Kittel kam ins freundlich eingerichtete Wartezimmer mit dem Bücherregal und den hohen Pflanzen. Es war noch recht früh, daher war die einzig andere Person hier ein älterer Herr mit einem Collie, der zu seinen Füßen lag und unruhig hechelte.

Ich stand auf. „Wenn Sie meine Ärztin sind, bin ich freiwillig das Kaninchen."

Als sie lachte, begannen die filigranen Silberohrringe hin und her zu schwingen. Sie bedeutete mir, ihr ins Untersuchungszimmer zu folgen. „Unglücklicherweise bin ich nur Assistentin."

„Umso besser", entgegnete ich und schenkte ihr ein Lächeln, während ich die blaue Transportbox auf dem großen Metalltisch abstellte und sie die Türe hinter uns schloss. „Dann ist es nicht ganz so unangemessen, wenn ich Sie frage, ob Sie mit mir mal was trinken gehen wollen."

„Es wäre sogar sehr unangemessen, würde ich sagen." Ich sah auf und ein älterer Mann mit Glatze betrat den Raum und sah mich unbeeindruckt an. Mal hatte mich schon ein paarmal hier her geschickt. Entweder, weil wir neue Tiere zugestellt bekamen oder wir den Wurf eines Tieres begutachten lassen mussten. Die dreizehn Meerschweinchenbabies zum Beispiel.

Wir hatten das einzige, nicht kastrierte Männchen von den vier Weibchen durch eine kleine Absperrung getrennt voneinander gehalten. Der Scheißer war in der Nacht über die Absperrung geklettert und hatte es geschafft, drei Weibchen zu schwängern. Alle hatten knapp hintereinander geworfen und plötzlich hatten wir achtzehn Meerschweinchen gehabt und das Gehege war aus allen Nähten geplatzt.

Cora und Cal hatten es toll gefunden, mit den Kleinen zu spielen, wenn Sophie sie vorbei gebracht hatte.

Ich war also nicht zum ersten Mal hier, deshalb kannte ich den Arzt. Und er kannte mich.

„Also schön", sagte er dennoch und öffnete die Box. „Sehen wir uns das mal an."

Ich erklärte dem Arzt, woher wir den Hasen hatten und er sah ihn sich genau an. Ohren, Augen, Mund. Wog sein Gewicht. Er tastete seinen Bauch ab und suchte im Fell nach Anomalitäten.

„Wer setzt bloß ein so süßes Kaninchen aus?", fragte die junge Frau traurig, während sie eine Stelle im Fell freilegte und mit einem in Desinfektionsmittel getränkten, kleinen Tuch sterilisierte, bevor der Arzt dem kleinen Kerl irgendeine kleine Spritze verabreichte.

„Und dann auch noch an einem Dienstag." Ich schüttelte fassungslos den Kopf. „Dabei hasse ich Dienstage ohnehin schon. Welchen Wochentag hassen Sie am meisten?"

„Definitiv den Montag", antwortete sie.

„Dann lassen Sie uns doch nächsten Montag was trinken gehen und mich Ihre Meinung über diesen Wochentag ändern", schlug ich vor und beugte mich mit einem charmanten Grinsen vor.

Sie warf mir einen kecken Blick zu.

„Wollen Sie wissen, welchen Wochentag ich am meisten hasse?", fragte der Arzt und sah mich entnervt an. „Den Mittwoch. Und wissen Sie warum?"

„Weil ich heute hier bin?", vermutete ich.

„Korrekt." Er schüttelte den Kopf und strich dem Kaninchen ein paar Mal übers Fell. „Es geht ihm gut. Ich würde ihn zwischen drei und fünf Jahre schätzen. Äußerlich sind keine Wunden oder sonstiges festzustellen. Lange kann er nicht draußen gewesen sein. Sein Fell ist nirgends verklebt, er hat keine Flöhe oder Würmer. Er ist aber ein wenig dehydriert, seine Zunge ist trocken. Achten Sie in den nächsten Tagen auf genügend Nassfutter und darauf, dass er trinkt. Ansonsten haben Sie von mir das Okay, ihn zu den anderen Kaninchen zu tun, wenn es ihm in einer Woche unverändert geht und keine plötzlichen Krankheitssymptome auftreten."

Ich setzte den Kleinen wieder in die Transportbox und legte die Tücher um ihn. Es war kühl draußen. „Danke, Doc."

„Keine Ursache. Viel Glück!" Er setzte sich an einen kleinen Schreibtisch und tippte etwas in den Computer.

Ich wandte mich an die hübsche Frau. „Und unsere Verabredung steht?"

Sie lächelte mild. „Da sollte ich wohl zuerst meinen Freund fragen."

Ich stieß einen theatralischen Seufzer aus. „Natürlich. So eine Schönheit kann nur vergeben sein."

Der Arzt räusperte sich ungemütlich, aber ich ignorierte ihn.

„Rufen Sie mich an, falls Sie sich trennen sollten. Meine Telefonnummer finden Sie bestimmt in einer der Karteien."

Sie lachte wieder. „Sie sind der erste auf meiner Liste."

Ich kann nicht behaupten, dass ich, sobald ich die Tierklinik wieder verlassen hatte, auch nur noch einen Gedanken an die hübsche Assistentin verschwendete. Natürlich hätte mich ein Drink mit ihr nicht gestört. Aber alles in allem hatte sie nur dazu gedient, meine Gedanken für ein paar Minuten von Juliana wegzubringen. Denn aus irgendeinem Grund konnte ich an nichts anderes mehr denken, als an meine Verabredung am Sonntag.

Der Stalker meiner VormieterinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt