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So hatte ich mir meinen Sonntagabend nicht vorgestellt.

Ich hatte mir ohnehin einiges nicht erträumen lassen, was in den letzten Wochen passiert war. Und ich überlegte während der ganzen Autofahrt, ob ich Detective Cruz sofort informieren und Alaina zu ihr bringen sollte, oder ob ich sie zuerst zu sich oder mir nach Hause fahren sollte, damit sie sich beruhigen konnte.

Ich konnte nirgendwo an der Straße stehen bleiben, aber ich erkannte Alaina sofort und sie erkannte mein Auto auch. Ich entriegelte die Beifahrertüre und sie warf sie praktisch in meinen Wagen, während ich mich schnell wieder im Fließverkehr einordnete. Sie legte den Sitzgurt an, sah noch ein paar Mal hektisch aus dem Fenster und aus der Rückschutzscheibe, bevor sie in den Sitz rutschte, die Knie anzog und wieder zu schluchzen begann.

In der Zeit, in der sie fort war, hatte ich leider immer noch nicht gelernt, wie man mit weinenden Menschen umging. Deshalb saß ich auch nur stumm wie eine Mannequinpuppe neben ihr und fragte irgendwann unbeholfen: „Sollen wir gleich zur Polizei fahren?"

Aber sie hob nur den Kopf und schüttelte ihr tränennasses Gesicht. „Das kann ich nicht sofort. Ich-... Ich will nach Hause. Nein, nein, nein, warte nicht nach Hause! Er weiß, wo ich wohne! Ich will irgendwohin, wo er mich nicht findet!"

Also auch nicht zu mir. Und nicht zu Juliana, das wäre unpassend gewesen. Mir fiel nur noch Rey ein und ich rief ihn an, um ihn zu fragen, wo er wohnte.

Wir verfielen wieder in Schweigen und ich glaubte, dass es unhöflich gewesen wäre, wenn ich sie jetzt sofort ausgefragt hätte. Lieber erst, nachdem sie etwas getrunken oder gegessen hatte, so sie denn überhaupt etwas herunterbringen würde. Aber das hielt mich nicht davon ab, sie an roten Ampeln unauffällig zu mustern. Die Sachen, die sie trug, hatte ich noch nie an ihr gesehen, aber sie hatten ihre Größe, also waren es vielleicht die Klamotten, die sie am Tag ihrer Entführung angehabt hatte. Die Schuhe kannte ich. Es waren dieselben, die sie bei unserem Kino-Date getragen hatte. Sie roch nicht unangenehm, also hatte sie geduscht, aber ihre Haare waren strähnig und zerzaust, ihre Haut noch blasser als sonst und die Augenringe hatten sich tief in ihre Haut gegraben.

Mittlerweile hatte sie sich ein wenig beruhigt, und wischte sich mit dem Ärmel über Augen und Nase, bevor sie eigerollt ihren Blick aus dem Fenster richtete, um bloß nicht mit mir sprechen zu müssen.

Ich hatte so viele Fragen, dass ich glaubte, mein Kopf würde explodieren, würde ich nicht sofort eine stellen.

„Hast du ihn gesehen?", fragte ich, weil ich mich einfach nicht davon abbringen konnte. Sie schüttelte den Kopf. „Also weißt du immer noch nicht, wer es ist?" Wieder Kopfschütteln. Das schloss Wren Johnson trotzdem nicht aus.

„Warst du in deinem alten Haus?"

Jetzt drehte sie sich zu mir und sah mich verwirrt an. „Was? Nein, natürlich nicht, wie kommst du darauf?" Verdammt, das hätte es eindeutig gemacht. Ich wollte Wren Johnson trotzdem noch einmal einen Besuch abstatten.

„Wo warst du dann?"

„Ich weiß es nicht", flüsterte sie. „Ich hatte die ganze Zeit meine Augen verbunden."

Das war vermutlich mein Stichwort, wieder die Klappe zu halten. Mein Navi sagte mir ohnehin, dass wir da waren.

„Wo sind wir?", fragte sie und schniefte noch einmal. Sie betrachtete das hohe Steingebäude beinahe unbeteiligt.

„Bei Rey. Ich war mit ihm in dem Strip-Club." Ich stieg aus dem Auto und sie folgte mir ein paar Sekunden später. An der Türe wartete ich auf sie und suchte erst einmal das richtige Klingelschild. Keine Namen, nur Zahlen. Rey hatte gesagt, es war die Nummer sieben und der Summton erklang auch schon eine Sekunde, nachdem ich geklingelt hatte.

Der Stalker meiner VormieterinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt