Kapitel 41 - Missing you

1.4K 133 10
                                    

Kapitel 41 - Missing you

„Grandma, kann ich dich für einen kurzen Augenblick sprechen?“
Ich hatte mein nettestes, überzeugendstes Lächeln aufgesetzt. Obwohl ich gleichmäßig tief ein und ausatmete, konnte ich meinen erhöten Adrenalinspiegel nicht beruhigen. Was jetzt kommen würde, fiel mich bei weitem nicht einfach. Ich wollte mich dagegen sträuben und hatte nicht viel Lust dazu, in das traurige und enttäuschte Gesicht meiner Großmutter zu blicken, doch ich konnte nicht anders. Ich hatte es mir lange genug überlegt, hatte die Vorteile den Nachteilen entgegengestellt und mich gefragt, ob das alles Sinn machen würde, doch ich war zu einem Entschluss gekommen.

Mit fragendem Gesichtsausdruck blickte sie mich an, nachdem wir uns von den noch immer anwesenden Gästen entfernt hatten und nun am Rande des Gartens neben dem Zaun standen, an dem sich die Rosen, die Grandpa angesät hatte, empor rankten. Die kleinen Lichter, die am Gartenzaun hingen und etwas Helligkeit spendeten, tauchten den Garten und in romantische Atmosphäre, die mir nicht wirklich in den Kragen passte.
Die Sonne war schon längst verschwunden, was ebenfalls bedeutete, dass die Wärme, die nachmittags geherrscht hatte, sich verdrückt hatte und der abendlichen Kälte Platz geschaffen hatte.

Ich hatte mir deshalb eine Strickjacke übergezogen, damit mir die kühle Abendluft nichts ausmachen würde.
„Ich will dir nichts vormachen und sagen, dass ich irgendeinen Termin habe, weswegen ich wieder zurück nach London muss. Mir geht es ehrlich gesagt ziemlich mies, weil Louis und ich uns furchtbar gestritten haben und mir ist jetzt überhaupt nicht zum Feiern zumute.“

Ich hoffte sehr, dass sie verstand, was ich ihr damit sagen wollte. Ich seufte dramatisch, als ich den Anflug eines leichten Lächelns auf ihren Lippen entdeckte.
„Und du willst nach London fahren und die Sache, die zwischen euch steht, klären?“, beendete sie meinen Gedanken. Erleichtert, dass sie nicht allzu enttäuscht aussah, nickte ich, dennoch bedrückt. Ich vergrub meine Hände in meinen Hosentaschen und zog meine Schultern etwas an.

Grams schaffte es, ein leichtes, schwaches Lächeln auf ihre Lippen zu zaubern. Sie schaute mich einen Moment lang angestrengt an, ehe sie ihren Blick auf die Rosen neben uns richtete.
„Ich gebe es nur ungern zu, aber die Liebe fordert nun mal Aufmerksamkeit. Über die Jahre habe ich gelernt, dass man nicht warten sollte, dem Anderen hinterherzurennen oder ihm zu sagen, wie leid es einem tut. Verschiebe es nicht auf morgen, ihm zu sagen, dass du ihn liebst, denn wer weiß? Vielleicht ist es morgen zu spät“, murmelte sie vor sich hin.

„Ich kenne dich schon lange genug, um sagen zu können, dass du mich nicht verlassen würdest, wenn es nicht notwendig wäre. Außerdem will ich nicht, dass sich etwas zwischen euch beiden stellt.“
 
Ich seufzte erleichtert und nahm Grams in den Arm, nachdem sie mich verträumt angeblickt hatte. Ich fragte mich, an was sie wohl gedacht hat, als sie mir den Rat in Sachen Liebe gegeben hatte. Ihre Augen waren meinen scheu und sie blickte verträumt auf den Rosengarten. Ich beschloss, sie an einem anderen Tag zu fragen.

Sie sah mich abwartend an, ehe sie mit dem Kopf in Richtung Haus zeigte.
„Worauf wartest du noch?“, lachte sie vor sich hin und versetzte meiner Schulter einen kleinen Stoß, sodass ich ihr nur noch einen Kuss auf die Wange drücken konnte und mich danach zum Gehen aufmachte.



Nachdem ich meine Sachen in Höchstgeschwindigkeit unordentlich in meinen Koffer zurückgestopft hatte, habe ich mich ohne ein weiteres Wort an irgendjemanden zum Bahnhof aufgemacht. Louis und ich waren natürlich mit einem Auto hierher gefahren, weshalb ich mich nun mit öffentlichen Verkehrsmitteln zufrieden geben musste.

Der Wind blies mir ins Gesicht, als ich mit meinem Koffer in der Hand am Bahnsteig stand und sehnsüchtig in die Ferne blickte und darauf hoffte, dass der Zug bald ankommen würde.
Das Tageslicht war bereits durch die Dunkelheit ersetzt worden, daher konnte man den Zug, wenn er denn endlich kommen würde, einfach wahrnehmen, sobald man die Lichter an seiner Vorderseite erkannte. Doch weit und breit konnte ich keine Zuglichter entdecken.

Ich war die einzige, die um dieser Uhrzeit am kleinen Bahnhof in Holmes Chaple stand. Er wurde selten und nur von wenigen Menschen verwendet, hauptsächlich von Schülern, die noch kein eigenes Auto hatten. Sie waren zu dieser Zeit entweder noch nicht oder nicht mehr unterwegs, wobei ich auf die erste Möglichkeit tippte. Es grenzte beinahe an ein Wunder, dass ich so viel Glück hatte und heute Abend noch ein Zug direkt nach London fuhr.

Ein Räuspern hinter mir ließ mich aus meiner Starre schrecken und ich fuhr beängstigt herum, da ich nicht wusste, wer sich nachts am Bahnhof herumtrieb.

„Ich bin’s nur“, lächelte mein Dad, während er seinen Blick auf mich richtete, und trat einen Schritt aus der Dunkelheit, sodass er nun von dem schwachen Licht einer Laterne beschienen wurde. Die Lampe zischte verdächtig oft, was mich vermuten ließ, dass sie bald den Geist aufgeben würde.

Sein Gesicht war blass und seine Züge hingen schlaff herunter. Er wirkte kraftlos, so als habe er sich gestritten.
Ich sagte nichts auf seine Ankunft, da ich die leise Ahnung hatte, dass er von meiner Mum hierher geschickt worden war.

„Grandma hat mir verraten, wo du steckst und was du hier machst, also sei auf sie sauer“, erklärte er mir, halb lächelnd und hob seine Arme an.
Noch immer schwieg ich, weil ich erst wissen wollte, weshalb er mich extra in Holmes Chaple noch abpassen wollte. Ich hatte etwas Angst, dass auch er versuchen wollte, mich davon zu überzeugen, dass ich hier bleiben sollte. Außerdem wusste ich nicht, auf welcher Seite er stand. Ob er Louis akzeptierte oder ob er wie Mum dachte.

„Hör zu, Eleanor. Ich will nicht lange um den heißen Brei herumreden und so tun, als hätte ich von dem Streit, der vorhin zwischen dir und deiner Mutter stattgefunden hat, nichts mitbekommen. Ich stand vor der Tür, falls du dich wunderst“, fügte er hinzu und blickte etwas beschämt auf seine Hände. Ihm war es offenbar unwohl dabei, dass er zugeben musste, den Streit mitgehört zu haben.

„Ich werde nicht sagen, dass ich das nicht kommen sehen hätte, denn die Lage in unserer Familie war nie annähernd so perfekt, wie Clarissa sie gerne hingestellt hätte“, seufzte er.
Bei ihm war ich mir sicher, dass er die Wahrheit sprach und was das Thema anging, wirklich so dachte.

„Ich hätte mir ebenfalls gewünscht, manche Dinge wären nicht so geschehen, wie sie es eben nun einmal sind. Ich kann es nicht ändern, so gerne ich es in mancher Hinsicht tun würde-“
Er kam nicht dazu seinen Satz zu Ende zu sprechen, weil ich ihn unterbrach.
„Hat Mum dich geschickt?“

Er blickte mich zuerst verwirrt an, ehe er jedoch meine Sorgen verstand und schlussfolgerte, dass ich dachte, sie hätte ihn mir hinterher gehetzt, damit er mich umstimmte, nach London zu fahren.
„Nein, nein. Deine Mutter ist noch immer auf dem Geburtstag deiner Großmutter und tut das, was sie am besten kann. Sie lässt sich nichts anmerken und lächelt über den Schmerz hinweg.“

Ich hatte den Verdacht, dass das eine Eigenschaft an ihr war, die sogar meinem Vater nicht passte, denn er verdrehte leicht die Augen, als er die ersten Worte sprach, konnte sich dann jedoch zurückhalten und brach seine Aktion ab, sodass er wieder ernst zu mir blickte. Seine Augen waren weich und groß, was mich darauf kommen ließ, dass er mir keine Standpauke halten wollte.

„Ich wollte dir nur sagen, dass ich – ganz egal, wie sehr du mich vielleicht verabscheust – dich lieb habe. Egal, wie sehr du dich damit herauswindest, Mum und ich haben dich lieb.“

Ich senkte meinen Blick schuldig auf meine Füße, die in meinen Winterschuhen steckten. Das schlechte Gewissen, das mich heute Morgen noch wegen Dave geplagt hatte, war wiedergekommen. Nur, dass es diesmal aufgrund meines Ausrasters gegenüber Mum in meiner Magengegend tobte. Ich hatte in den meisten Punkten recht gehabt und bereute es nicht, ihr ehrlich meine Meinung gesagt zu haben, doch ich wünschte mir, dass ich in manchen Argumenten meine Worte anders gewählt hätte.

„Dad, egal, wie sehr ich auch manchmal tobe, habe ich dich auch lieb, das musst du mir glauben. Du bleibst immer noch mein Vater, egal, was ich tue und daran kann und will ich nichts ändern. Aber du musst verstehen, dass ich Mum in gewisser Weise Vorwürfe mache und du kannst mich nicht umstimmen.“

Ich beendete meine Worte in dem Moment, in dem Dads Gesicht von den hellen Scheinwerfern des ankommenden Zuges erhellt wurden. Seine Augen waren nur auf mich gerichtet und er hörte mir aufmerksam zu, was ich an seinem durchdringenden Blick erkennen konnte. Seine Hände hatte er in seinen Manteltaschen vergraben, als ich einen Schritt auf ihn zu ging und ihm einen Kuss auf die Wange drückte. Ich hatte bewusst nur ihn angesprochen und meine Worte nur auf ihn bezogen. Was Mum anging, war ich mir nicht sicher und daran wollte ich nun auch nicht denken.

Der Zug fuhr mit quietschenden Lauten in den menschenleeren Bahnhof ein, hielt an und öffnete seine Türen, die mich zurück nach London zu Louis bringen würden.
Ich blickte noch einmal zu meinem Dad, als ich meine Füße über die Schwelle führte und meinen Koffer hinter mir her in den Zug hob. Er stand verlassen am Bahnhof, blickte mir hinterher. Ich konnte an seinem Blick erkennen, dass er den Tränen nahe war.
Weil er wusste, dass sich in unserer Familie am heutigen Tage etwas verändert hatte und etwas verloren hatte, was man nicht so einfach wiederherstellen konnte. Wir haben uns einen weiteren Schritt auseinander bewegt und ich war mir nicht sicher, ob man diese Distanz mit nur einer großen Leiter wieder schließen konnte.
Es waren Wunden aufgerissen worden, von denen ich mir nicht einmal mehr bewusst war, dass sie überhaupt noch existierten und diesmal bezweifelte ich ernsthaft, dass es ein Pflaster in dieser Größe gab, das sie schließen konnte.


Liebste Grüße,
annhearts

Wollte euch nur mitteilen, dass ihr ganz tief in meinem Herz seid. ♥

Eleanors ShoesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt