Kapitel 17: Der Geschmack bitterer Enttäuschung
E L E A N O R
Benommen starrte ich noch immer auf den Henkel von Harolds Kaffeetasse und versuchte meine Gedanken zu ordnen.
Vor einer Woche hat Louis mir abends am Telefon ein stinkromantisches Lied vorgesungen, hat mich im Park fast geküsst, war herzerweichend charmant zu mir und jetzt?
Nach einer Woche, in der wir uns nicht gesehen hatten, weil ich viel Stress mit der Uni hatte, benahm er sich so kühl und abwesend wie bei unserem ersten Treffen im Café. Lag es an mir oder hatte er einfach einen schlechten Tag? Wenn es an mir lag, dann hatte ich keine Ahnung, was ich getan hatte, doch ich war mir sicher, dass ich es bereuen würde.
Ich hatte die Zeit, in der er so nett gewesen ist, so genossen, dass ich sie nicht wieder missen wollte und ich würde alles versuchen, um uns wieder zu guten Freunden zu machen. Aber vielleicht war es auch gut etwas Abstand von uns beiden zu nehmen. Meine Gedanken kreisten jeden Tag um Louis, was zwischen uns war und was zwischen uns sein würde. So gerne ich auch die Gefühle für ihn ausstellen würde, ich konnte nicht.
Das hieß aber auch noch lange nicht, dass ich sie nicht fühlen und es dabei belassen konnte. Ich würde an ihn denken so oft ich wollte, würde seine Stimme beim Singen hören konnte und ich würde sein Gesicht im Fernseher betrachten so oft ich konnte.
Aber was ich nicht machen würde, war ihm zu sagen oder zu zeigen wie ich fühlte. Erstens wäre das schamloses Ausnutzen seiner Person, denn ich würde es nicht schaffen ihm über so große Distanz noch genauso nah zu sein, wie ich es wollte und es würde kein gutes Ende nehmen.
Aber wenn ich es schaffte, Louis als Freund zu halten, würden die Gefühle für ihn früher oder später abschwächen und ich würde ihn hoffentlich eines Tages als normalen Freund sehen, genau wie Max oder Harold.
„Es tut mir leid, dass du das alles mitansehen musstest. Ich habe keine Ahnung, was in ihn gefahren ist und warum er sich so verhält“, seufzte Harold und nahm einen weiteren Schluck von seinem Kaffee, der mittlerweile wahrscheinlich fast kalt war.
„Das ist doch nicht deine Schuld!“, versicherte ich ihm und setzte mich wieder aufrecht hin.
Ich warf ihm einen verständnisvollen Blick zu und presste meine Lippen zu einer schmalen Linie zusammen, um nichts ungewolltes zu sagen.
Wenn Louis zu Harold genauso abweisend war, dann hatte es offensichtlich nichts mit nur mir als Person zu tun.
Harold leerte seine Tasse, stellte sie an die Spüle und fuhr sich mit seinen Händen durch seine ungemachten Haare. Unter seinen Augen hatten sich tieflilane Augenringe gebildet, von denen ich nicht sicher war, ob sie wegen der langen Nacht oder dem Stress mit Louis kamen.
„Ich gehe mich eben umziehen. Hast du etwas geplant?“, fragte er mich und lehnte sich an den Türrahmen.
„Nein, ich wollte nur sehen wie es dir geht. Ich muss heute meine Wohnung putzen, meine Eltern kommen bald wieder nachhause“, erklärte ich ihm schweren Herzens und stand rasch auf.
„Wir sehen uns. Du findest allein nach außen, oder?“, fragte er mit einem müden Lächeln, während er bereits die Treppen nach oben stieg.
„Das schaffe ich“, versicherte ich ihm lächelnd. Harold schmunzelte kurz verschwand dann in seinem Zimmer.
Ich konnte es ihm nicht verübeln, dass er heute lieber zuhause sein wollte. Er würde bestimmt versuchen mit Louis zu reden und mehr aus ihm herauszubekommen und ich würde ihn dabei nicht stören.
Ich nahm meine Jacke von der Stuhllehne, schmiss sie über meine Schultern und lief den schmalen Gang entlang zur Tür. Unheimliche Stille umhüllte das Haus, kein Geräusch drang aus den Türen der Jungs; Das einzig hörbare war das schwere Auftreffen meiner Schuhe auf den grauen Marmorfließen.
Meine Hand griff nach der kalten Türklinke, doch im selben Moment ließ ich sie wieder los und machte kehrt. Ich drehte um, stieg leise die Treppe nach oben, in der Hoffnung, dass Harold mich nicht hören würde. Wenn er mich hören würde, würde er versuchen mich aufzuhalten, was ich auch tun würde, wenn ich klar denken würde. Es war keine gute Idee, jetzt zu Louis zu gehen und mit ihm zu reden, doch ich würde heute keine Zeit mehr finden, um mit ihm zu sprechen. Ich lief den Flur entlang und suchte nach Louis‘ Tür, die am Ende des Gangs war.
Unsicher, ob ich das wirklich tun wollte, atmete ich tief ein und aus, ehe ich vorsichtig auf das glatte Holz klopfte. Zwei Mal berührten meine Knochen das Holz und Zwei Mal bekam ich keine Antwort, doch meine Entscheidung stand fest und ich würde nicht wieder gehen. Meine Finger umschlossen das kalte Metall am Türknauf, ehe ich die Tür einen Spalt öffnete. Ich trat nicht ein, stand aber so, dass er mich sehen konnte. Louis hatte Kopfhörer in den Ohren und warf mir nur einen kurzen Blick zu. Seine Augen fanden meine, doch er sah mich nicht mit dem Blick an, der normalerweise für ihn üblich war. Er hatte kein Glänzen in den Augen mehr.
„Hey.“, flüsterte ich leise und wartete auf seine Antwort. „Hey.“, sagte er monoton und starrte auf die gegenüberliegende Wand. Ich wagte es, die Tür weiter zu öffnen und setzte einen Schritt in sein Zimmer. Noch nie hatte ich gesehen, wie die grüne Farbe der Wände strahlte, wenn das schwache Licht der Sonne auf sie schien. Allgemein hatte ich sein Zimmer noch nie betreten, doch jetzt, wo ich es endlich sah, staunte ich. Alle Vier Wände waren mit dunkelgrüner Farbe verziert, bis auf eine, auf der zusätzlich weiße Streifen zu sehen waren. Sein Bett stand unter dem großen Dachfenster, das viel Licht spendete.
Überall auf dem Boden lagen getragene und ungetragene Klamotten, doch es störte mich nicht.
Ich konnte nicht anders, als an meine Mutter zu denken und mich zu fragen, wie sie auf Louis‘ Zimmer reagiert hätte. Wahrscheinlich hätte sie nicht einen Fuß in das Chaos gesetzt und ich war wieder einmal froh, dass ich ihr in keinster Weise ähnelte.
Langsam lief ich auf sein Bett zu und setzte mich vorsichtig ans Ende des Gestells. Noch immer hatte er mich nicht angesehen und es machte nicht den Anschein, als würde er das heute noch tun, aber ich ergriff die Gelegenheit und versuchte den Grund seines Verhaltens aus ihm herauszubekommen.
Denn dafür waren Freunde doch da, oder?
„Wie geht es dir?“, fragte ich. Louis schaltete stumm die Musik ab, legte sein Handy neben sich auf das Bett und nahm die Kopfhörer aus seinen Ohren.
„Wie geht es dir?“
Seine Gegenfrage warf mich ziemlich aus der Bahn, auch wenn es nur eine simple Art war, nach dem Befinden zu fragen.
„Gut, schätze ich“, stotterte ich unsicher. Louis Lippen lagen zusammengepresst aufeinander und sein Gesicht hielt gleichzeitig hunderte verschiedene Ausdrücke, doch jeder einzelne verdeckte einen anderen.
„Bist du vielleicht noch etwas müde, da du heute Nacht fast nicht geschlafen hast oder bist du das durchfeiern schon gewöhnt?“, lächelte er spitz. Es war kein echtes Lächeln, eher eines, das alle Emotionen und Gefühle versteckte. Ich fragte mich, wieso er in diesem Moment nur sturköpfig keine Gefühle zeigen wollte.
„Ich habe keine Ahnung, was du damit sagen willst“, entgegnete ich ihm verwirrt. Mir wurde bewusst, dass meine Finger wie automatisch nach dem Bettlacken gegriffen hatten und es nun, als würde mich der Druck Louis verstehen lassen, kneteten.
„Du weißt ganz genau wovon ich rede“, lachte er süffisant. Seine Maske bröckelte etwas, als er auf die Wand hinter mir starrte und seine Stirn in Falten legte. Er wirkte klein, beinahe verletzlich.
„Nein, das weiß ich nicht, also wäre ich dir ganz dankbar, wenn du nun endlich aufhören würdest, mir wirre Aussagen vorzuwerfen und endlich die Karten auf den Tisch legst!“
Louis atmete laut hörbar aus und beugte sich ein wenig nach vorne. Es kam mir so vor, als ob es ihm Spaß machen würde, mich hinzuhalten und mich unwissend vor ihm sitzend zu sehen.
„Ich habe die Bilder gesehen, auf denen du völlig betrunken auf dem Boden liegst, auf denen du aussiehst, als wärst du seit Drei Tagen auf Drogen und auf denen du einen kompletten Absturz erlebst. Und weißt du, was das Schlimme daran ist? Nicht, dass das alles passiert ist und dass du getrunken hast. Das Schlimmste ist, dass ich dachte du wärst etwas Besonderes, dass du nicht so falsch wärst. Du hast dich als jemand ausgegeben, der du nicht im Geringsten bist und das zeigt mir, dass du kein Stück besser bist, als alle anderen Mädchen, die sich mir in den letzten Monaten angeboten haben. Es ist mir egal, ob du ein Feierbiest warst oder ob du eine Rebellin warst, Eleanor. Aber weißt du was mir nicht egal ist? Wenn du so tust, als wärst du jemand anderes, nur um an mich oder an Harold zu kommen!“
Ich schluckte schwer, der Geschmack bitterer Enttäuschung in meinem Mund fühlte sich an die pures Gift. Meine Finger hatten aufgehört, sich durch das Bettlacken zu forsten, sie lagen zittrig auf meinem Schoß und fühlten sich so taub an, dass ich bezweifelte, ich könnte sie in diesem Moment bewegen.
Meine Lippen fühlten sich taub an, als hätte man all das Blut aus ihnen gesaugt und sie wären nun farblos ein Teil meines geschockten Gesichts.
„Und ehrlichgesagt will ich nicht, dass ein Mädchen wie du, das sich auf eine Affäre mit einem vergebenen Teenie eingelassen hat, in meinem Zimmer sitzt, also wenn du nun so freundlich wärst, den Raum zu verlassen.“
Ich schloss meine Augen und versuchte die Worte in meinen Ohren zu ignorieren, zu überspielen. Doch die einzige Stimme, die in meinem Kopf hallte, war die von Louis, dessen feiner Mund, auf dem meine Lippen vor einer Woche noch lagen, gerade Worte ausgesprochen hatte, von denen ich mir nicht bewusst war, dass er sie jemals auch nur denken würde.
Ich hatte Louis als eine Person eingeschätzt, die wohl am besten wissen musste, dass man nichts auf Gerüchte geben sollte, bis man nicht die Wahrheit von der betroffenen Person selbst gehört hat. Ich hatte gedacht, dass er mich für mich mögen würde, dass er und ich eine Zukunft als Freunde hätten.
Doch ich hatte mich in ihm getäuscht.
Ich fühlte mich schwach, zu schwach um aufzustehen und aus dem Raum zu laufen, selbst zu schwach zum Antworten fühlte ich mich. Louis die Wahrheit zu erzählen erschien mir in dieser Situation unnötig, denn er war viel zu festgefahren, dass seine Ansicht stimmte. Wenn ich ihm nun sagen würde, dass das alles anders war, würde es kein gutes Ende nehmen. Doch das war mittlerweile auch egal, denn offensichtlich war das gerade das Ende zwischen ihm und mir.
Wie feste Betonklötze klebten meine Schuhe am Boden, meine Arme hingen schwer an meinen Seiten herunter und mein Körper fühlte sich im Großen und Ganzen nichts anderes als beschissen.
In mir drin sah es nicht sehr viel anders aus, außer, dass mein Herz wie wild pumpte und mir den einzigen Beweis gab, dass ich noch am Leben war.
Louis Worte hatten mehr Macht und Auswirkungen auf mich, als er es je geahnt haben könnte. Noch nie war mir so bewusst geworden, wie gerade eben, dass Worte schlimmere Auswirkungen haben konnten, als Taten. Die Art, wie seine Augen sich verzogen haben, wenn er meinen Namen ausgesprochen hat, wie sein Mund die Worte "Affäre", "flasch", "besonderes" geformt hatte, zeigte mir, dass er es komplett ernst meinte und ohne einen einzigen Zweifel auf seine Meinung bestand.
Das letzte, das ich sah, war Louis genervter Gesichtsausdruck, bevor ich aufstand und mit rasendem Herzen und tränenüberströmten Gesicht aus seinem Zimmer stürmte in der Hoffnung, so schnell wie möglich allein zu sein.
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Eleanors Shoes
FanfictionWas ist Liebe? Es ist das stärkste Gefühl, das Menschen einander entgegenbringen können, verbunden mit Gefühlen wie Hass, Trauer und Schmerz, doch ebenso mit Vertrauen, Zufriedenheit und Geborgenheit. Es ist das starke Gefühl der Verbundenheit zu ei...