Kapitel 10 - Enchanted

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Kapitel 10


Die Stimme von Rihanna tönte aus den Lautsprechern meiner Kopfhörer, als ich mit angewinkelten Beinen auf einer Parkbank im Londoner Hyde-Park saß und die Sonne auf mein Gesicht schien. Es war meine willkommene Erholung vom vielen Unistress, den ich in letzter Zeit hatte. Ständig mussten Klausuren geschrieben, Vorträge besucht oder Hausarbeiten geschrieben werden, was mich das Wochenende noch mehr genießen ließ. Ich fragte mich immer, wie die anderen Studenten ihr Leben so gut auf die Reihe bekamen, obwohl sie nicht so wie ich immer lernen mussten. Schon oft hatte ich mir gewünscht, eines der Kinder zu sein, denen nach einmal zuhören im Unterricht alles im Kopf hängen blieb. Doch wenn ich die Wahl zwischen wenig lernen aber viel Erfolg und einer intakten Familie hätte, würde ich trotzdem letzteres wählen.

Für mich war es schon immer Gewohnheit gewesen, dass ich mit meinen Problemen nicht zu meiner Mutter kommen konnte und sie nach Rat fragen konnte. Sie hätte mich schief angesehen und mir gesagt, dass ich alt genug bin, um meine Probleme selbst zu lösen. In einer Woche würden sie wieder nach London kommen und ich fürchtete mich jetzt schon vor dem Tag, an dem sie den klassischen Standartbesuch bei mir machen würden, was eigentlich nur eine nette Umschreibung für Kontrolle war.  Ist es nicht ironisch, dass sie einerseits streng und kontrollsüchtig ist und doch andererseits in schwierigen Situationen, in denen ich einen einfachen mütterlichen Rat gebrauchen könnte, sagt, ich solle selbstständiger sein?


Meine Gedanken wurden unterbrochen, als mein Handy vibrierte und meine Musik aussetzte. Ich drückte auf den grünen Knopf und nahm den Anruf an, auch wenn die Nummer nicht eingespeichert war.
„Hallo?“, fragte ich schüchtern. Es folgte eine kurze Stille am anderen Ende der Leitung, bis eine bekannte Stimme einsetzte. „Eleanor? Hi, hier ist Perrie!“, erklang ihre fröhliche Stimme.
Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus, obwohl die erste Begegnung mit ihr nicht gerade gut verlaufen war.
„Hey, ich wollte mich entschuldigen.“, sagte sie, nun mit leiserer und ernsterer Stimme. „Wofür?“, fragte ich sie unwissend, weil mir kein Grund einfiel, wofür sie sich entschuldigen musste.

„Für den Abend im Club neulich. Ich habe versucht, Zayn ans Telefon zu bekommen, aber er weigert sich sich zu entschuldigen. Es tut mir jedenfalls leid, wie das alles verlaufen ist.“

„Das ist doch nicht deine Schuld. Und auch Zayn nehme ich das nicht krumm, jeder hat mal einen schlechten Tag.“, erklärte ich ihr, obwohl es nicht ganz der Wahrheit entsprach.
Natürlich war ich von seinem Verhalten enttäuscht und fragte mich deshalb ununterbrochen, was ich denn falsch gemacht hatte, doch Perrie traf nun wirklich keine Schuld. Ich hatte keinen blassen Schimmer, was seinen Hass auf mich so schürte. Auch wenn der Anruf in ihren Augen wahrscheinlich selbstverständlich war, sagte das unheimlich viel über ihre Person und vor allem ihren Charakter aus. Sie rief extra bei mir an und entschuldigte sich für das Benehmen ihres Freundes für das sie nichts konnte.

„Ich weiß auch nicht, was in letzter Zeit mit ihm los ist. Es ist fast so, als würde ich nicht mehr an ihn rankommen. Damals war er so liebevoll und zärtlich, ein voller Gentleman, so wie ich ihn kennenlernte. Ich bin mir sicher, dass er in sich auch ein Gentelman ist, doch in letzter Zeit ist er wie ausgewechselt. Egal, was ich versuche, Zayn ist genervt.“, seufzend schüttete die Blondine mir ihr Herz aus. Ich konnte sie verstehen, denn ich würde genauso reagieren, wenn mein Freund sich plötzlich derartig verhalten würde. Obwohl ich mit ihr noch keine 10 Worte gewechselt hatte, fühlte ich mich bei ihr richtig. Es fühlte sich an, als ob sie und ich eine Zukunft hätten und wir nicht belanglose Bekannte sein werden würden.

„Gib ihm Zeit, Perrie. Das klingt jetzt vielleicht komisch, doch ich kann mir gut vorstellen, dass ihm der Ruhm an die Nieren geht und er an sich und an allen Personen um sich herum zweifelt.“
Auch wenn ich Zayn nicht wirklich gut kannte, war das für mich die einleutendste Erklärung. Sie klang so verzweifelt, dass ich einfach etwas tun musste, um sie wieder aufzuheitern. Ich konnte nicht nur verständnisvoll nicken, wie es die meisten tun.

„Danke, Eleanor.“, hauchte sie am anderen Ende der Leitung. Ein kleines Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus, da ich es offensichtlich geschafft hatte, sie wenigstens ein bisschen von ihren Zweifeln abzubringen. Perrie war eine derart nette und fürsorgliche Person, die man nicht einfach wie den Rest behandeln konnte.

___


Die Sonne schwand langsam hinter den Bäumen und tauchte den Park in schimmerndes Abendrot. Die vielen Kinder, die noch bis vor einer halben Stunde auf dem Spielplatz gespielt hatten, verließen ihn nun an der Hand ihrer Eltern. Auch die vielen Hundebesitzer hatten den Park verlassen und so machte auch ich mich auf meinen Nachhauseweg.
Ich erhob mich von der Bank, legte das Buch in meine Tasche und nahm meine Kopfhörer aus meinen Ohren.

Ich fuhr herum und sah einen verschwitzen Louis vor mir stehen, als ich ein leichtes Tippen auf meiner Schulter wahrnahm.
Louis Haare klebten an seiner schweißgetränkten Stirn, seine Klamotten hatten eine Nuance dunkler angenommen, denn sie waren völlig verschwitzt. An seinen Schuhen befanden sich Laufschuhe und vor seinen Augen saß eine Sonnenbrille. Er atmente schwer und stützte seine Hände auf seinen Knien ab.
„Hey.“, meinte er erschöpft und ließ sich neben mich auf die Bank fallen. Louis atmete schwer und langsam, während er auf den Sonnenuntergang hinter den Bäumen starrte.
„Hi Louis.“, lächelte ich und lehnte mich noch einmal gegen die Lehne der Bank. Ich konnte das Lächeln auf meinen Lippen nicht verstecken, denn er hatte sich freiwillig zu mir gesetzt. Noch vor ein paar Tagen wäre er in doppelt so schnellem Tempo weiter gejoggt und mich gekonnt übersehen.
„Was machst du hier?“, fragte er mich immer noch schwer atmend. „Ich wollte gerade gehen.“
Louis warf einen kurzen Blick zu mir und nahm die Sonnenbrille ab. Hier war niemand mehr, außer uns beiden, also musste er sich nicht mehr tarnen.

„Und du?“, fragte ich ihn und hätte mir sofort danach am liebsten gegen den Kopf geschlagen. Schmunzelnd wandte er sich an mich und begann zu lachen. Er streckte seine Arme aus, legte sie hinter seinen Kopf und schaute mich wieder an.

„Ich? Ich sitze hier und schaue mir den Sonnenuntergang an.“
Ich stimme in sein Lachen mit ein und wandte meinen Blick ebenfalls auf den Sonnenuntergang vor unseren Augen.
„Darf ich dich mal etwas fragen, Louis?“ Unsicher ertönte meine Stimme, bevor ich überhaupt darüber nachdenken konnte, ob das die richtige Idee war.
Louis drehte sich zu mir und schaute mich kurze Zeit lang intensiv an, bevor er langsam nickte.
„Nervt es dich nicht manchmal? Ich meine, du musst die ganze Zeit Autogramme geben, egal in welcher Stimmung du gerade bist. Du musst immer lächeln und die ganzen Fans glücklich machen. Auf dir liegt unendlich viel Druck und du hast keine Chance eine Auszeit zu nehmen.“

Louis Gesichtsaudruck veränderte sich, denn er sah stur nach vorne gegen die Bäume. Das Lächeln auf seinen Lippen verschwand allmählich und er spielte verträumt mit seinen Fingern. Ich fragte mich währenddessen, ob es eine so gute Idee gewesen ist, ihn das zu fragen. Ich hätte ihn das nicht fragen sollen. Es ist doch eigentlich klar, dass er die Fans liebt und doch hatte ich eine so schwachsinnige Frage gestellt.

„Ja.“
Louis schaute mich nun wieder an, seine Augen bohrten sich in meine und er machte keine Anstalten zurückzuweichen oder zu blinzeln. Ich hielt seinem Blick kurz stand, sah dann aber wieder auf den Boden.
„Ich liebe unsere Fans, aber manchmal ist es natürlich schon etwas nervig. Egal wie es dir geht, es geht nicht um dich oder deine Gefühle. Mit der Zeit lernst du, dass du dich anpassen musst und bei den Fans einfach immer nur darauf achten musst, sie glücklich zu machen. Sie haben mein Leben verändert und mir meinen Traum erfüllt, doch manchmal stellt man das schon infrage.“
Ohne eine spöttische Bemerkung hatte Louis es geschafft, mir seinen Standpunkt genau zu schilern und blieb dabei ernst und doch neutral. Ich konnte ihn verstehen, denn ich hatte die Frage gestellt, weil ich wusste, dass ich es nicht können würde. Ich würde es vielleicht eine gewisse Zeit lang schaffen, doch der Gedanke daran, dass ich nie wieder einfach so über die Straße gehen könnte, würde mich verrückt machen. Dafür, seinen Traum leben zu dürfen, musste er einen hohen Preis zahlen und ich wusste nicht, ob ich genauso gehandelt hätte.

„Du bist die erste außenstehende, die auch die Schattenseiten vom Erfolg sieht.“, erklärte mir Louis weiter. „Alle glauben immer, dass ich das perfekte Leben führe und mir alles möglich ist. Doch das ist es nicht. Ich habe riesen Glück und darf meinen Traum leben, aber es ist eine wahnsinnige Belastung immer cool und lässig zu wirken, selbst wenn du schreien willst.“
Ich nickte verständnisvoll und lauschte gespannt seinen Worten. „Genau das meinte ich damit. Ich könnte mich der Belastung nicht aussetzten.“ Bewunderung war aus meiner Stimme herauszuhören, als ich Louis meinen Standpunkt klar machte.

„Aber nichtsdestotrotz liebe ich Directioners.“, sagte Louis bevor er aufstand und sich dehnte. Lachend beobachtete ich ihn bei den Übungen, die er mit zusammengepressten Lippen ausführte.

„Sieht gut aus.“, lachte ich, als Louis seinen Arm verrenkte und plump auf den Boden fiel. Ich warf meinen Kopf in schallendem Gelächter in meinen Nacken, während Louis schmollte und mir kurz darauf nachmachte und auch lachte.
„Kannst du es besser?“, fragte er mich und legte sich ins Gras. Ohne zu zögern stand ich auf, setzte mich neben ihn und begann mit leichten Dehnübungen. Louis Gesicht hielt einen geschockten und bewundernden Ausdruck, als er sah, dass ich wirklich etwas vom Dehnen verstand.
„Ich muss zugeben, das sieht extrem gut aus, Queen Eleanor.“ Kichernd streckte ich Arme und Beine von mir und legte meinen Oberkörper auf meinen Knien ab. „Mach mir doch wenigstens nach. Wie willst du es sonst lernen und so gut werden wie ich? King Louis, dass ich nicht lache!“ Er begann zu prusten und machte mir kurzentschlossen nach, obwohl es bei ihm eher aussah, als würde ein Elefant mit seinen Ohren seine Füße erreichen wollte. Lachend löste ich mich aus der Übung und ließ mich auf das samtige Gras fallen, während ich mir meinen Bauch vor Lachen hielt.

Louis ließ sich ebenfalls lachend auf den Rücken fallen und drehte seinen Kopf in meine Richtung. Auch wenn meine Kleidung nun voller Grasflecken sein würde, zählten in diesem Moment nur Louis und ich.

Unser Lachen verklang allmählich und Louis schaute mir tief in meine Augen. Mir war noch nie bewusst aufgefallen, wie blau seine Augen strahlten und wie sehr sie doch dem Meer glichen. In diesem Moment schien es mir so, als würde die Welt stehen bleiben und warten, dass die perfekte Gelegenheit von Louis und mir ausgenutzt werden würde. Als würde uns das Schicksal dazu ermuntern, aufeinander zu zugehen.

Langsam bewegte Louis seinen Kopf in meine Richtung und kam mir immer näher, bis unsere Lippen nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. Ich konnte seinen prickelnden Atem auf meiner Haut spüren, als ich ihm näher denn je war und sich auf mir eine Gänsehaut bildete.

Ich schloss meine Augen, bereit für das, was jetzt kommen würde und wartete darauf, dass er mir näher kommen würde. In meinem Bauch spielte alles verrückt, mein Herz pochte gegen meine Brust und meine Lungen rangen nach Luft, doch ich bekam von all dem nichts mit. Das einzige, das ich wahrnahm, waren seine wunderschönen, rosigen Lippen und seine tiefblauen Augen, die sich in meine Bohrten. In diesem Moment gab alles einen Sinn. Die Begegnung mit Harold, die Neckerein – alles geriet in Vergessenheit und ich hatte nur Augen für ihn.

Louis Lippen berührten meine für einen kurzen Augenblick, doch wir wurden jäh unterbrochen. Und ich schwöre, ich war noch nie in meinem Leben so enttäuscht unterbrochen zu werden. Ich spürte, wie sich meine Lippen nach Vollendung sehnten und in mir alles sagte, ich solle meine Lippen wieder an seine bringen.

Doch der Moment war dahin.

Ein Räuspern ließ uns auseinander huschen und erschrocken nach oben sehen. Meine Wangen glühten und mein Herz hämmerte gnadenlos gegen meine Brust, schneller, als es jemals geschlagen hatte. Ich war einerseits wütend, weil wir unterbrochen wurden und ich diesen Moment so gerne erlebt hätte und andererseits war ich verwirrt. Wie ist es überhaupt so weit gekommen, dass Louis und ich an einem späten Frühlingsabend im Park sitzen und uns beinahe küssen?

„Die anderen warten.“, sagte Zayn nur und verdeckte die Sonne mit seinen breiten Schultern. Er warf uns einen warnenden Blick zu, ehe er sich umdrehte und sich auf der Stelle aus dem Staub machte.
Zurück blieben Louis und eine unzurechnungsfähige Version von mir.







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