Kapitel 35 - Dave
„Ich konnte ja nicht wissen, dass du Schussel die Blumen in London liegen lässt!“, schimpfte ich vor mich hin und hob genervt meine Arme. Louis, der mit eingezogenem Kopf auf dem Bett saß und seine Füße anstarrte, hob schuldbewusst die Schultern an. Obwohl er so aussah, als würde es ihn wirklich ärgern, wusste ich ganz genau, dass er den Aufstand meinerseits wegen einem Strauß Blumen nicht verstehen konnte.
„Es tut mir ja leid“, murmelte er kaum hörbar und wagte es, mir in die Augen zu sehen. Unsicher und vorsichtig gab er ein leises Schmunzeln von sich, was meine Mine etwas lockerte.
Ich hatte in London extra für Grandma’s Geburtstag einen Strauß Blumen gekauft, den ich ihr zu ihrem Geburtstag mitbringen wollte. In dem Strauß waren hauptsächlich Gerberas enthalten, ihre Lieblingsblumen, und zwar in allen Farben.
„Und jetzt?“, fragte er mich unwissend.
„Was wohl?“, seufzte ich langatmig und stämmte die Arme in meine Hüfte. „Ich werde wohl einen neuen besorgen müssen.“
Ich schnappte mein Handy von der Kommode und schlüpfte eilig in rumliegende Schuhe, da es Freitagabend war und ich nicht wusste, wie lange der Blumenladen in Holmes Chapel geöffnet hatte. Außerdem wollte ich so schnell wie möglich zurück sein, um den Abend mit der Familie zu verbringen.
Louis warf mir seine Autoschlüssel zu, nachdem er sie aus seiner Hosentasche gefischt hatte. „Du kannst doch fahren, oder?“Augenverdrehend nickte ich, fing den Schlüsselbund auf und lief aus der Tür. „Soll ich mitkommen?“, rief er mir hinterher.
„Nein!“, antwortete ich ihm entschlossen und hastete die Treppe nach unten. Ich hatte keine Lust Louis, der noch immer gut gelaunt war, zum Blumen Kaufen mitzunehmen, da sich der Prozess dann sicherlich hinziehen würde. Grandma hatte morgen bereits Geburtstag und wenn ich mich nicht beeilen würde, dann müsste sie wohl auf ihren Strauß verzichten.
♦♦
Da die örtlichen Blumenläden natürlich schon geschlossen hatten, als ich um kurz nach sechs in die Innenstadt gekommen war, musste ich – wohl oder übel – mit dem Baumarkt Vorlieb nehmen und hoffte inständig, dass sie noch ein paar Sträuße hatten, die ich Granny geben konnte. Außerdem betete ich, dass diese nicht schon vertrocknet waren oder wie Kunstblumen aussahen.
Seit mindestens zwanzig Minuten irrte ich nun schon durch die Gänge und suchte die Blumenabteilung nach einem einigermaßen Akzeptablen Strauß ab. Die Hoffnung, Gerberas zu finden, hatte ich mittlerweile schon aufgegeben, da ich nun wirklich keine Lust mehr hatte und bezweifelte, dass ich überhaupt die Chance hätte, jetzt noch wählerisch zu sein. Es waren kaum andere Leute in der Nähe - verständlicherweise, wer wollte seinen Freitagabend denn freiwillig in einem Baumarkt verbringen? Auch ich konnte mir etwas besseres vorstellen.
Es schien, als würde der Laden nur verschiendene Holzarten und unterschiedlich große Regalbretter führen, da ich aus dieser Abteilung irgendwie nicht mehr herauskam.
Genervt bog ich ein eine andere Abteilung ein und atmete auf, als ich einen Mitarbeiter am Ende des Ganges mit dem Rücken zu mir schauend entdeckte, der mir hoffentlich weiterhelfen konnte. Mit großen Schritten eilte ich auf ihn zu und hoffte, dass ich jetzt endlich Blumen kaufen konnte und danach den Laden so schnell wie möglich verlassen konnte.
„Entschuldigung?“, räusperte ich mich und wartete darauf, dass der Mann sich umdrehte.
Sowohl die Erkenntnis als auch die Erinnerung brachen gleichzeitig über mich herein und trafen mich so sehr, wie die Flut, wenn man bis zum Hals im Wasser stand und sich das Meer plötzlich dem Wind hingab. Es fühlte sich an, als ob mir das Wasser über den Kopf steigen würde und mich nicht nur eiskalt erwischte, sondern auch mitriss. Ich stoppte also ebenfalls den Atem.
Eigentlich hätten mir die Statur und die kurzen Haare, die lockig wegstanden, Hinweis genug sein sollen, doch damit hatte ich niemals gerechnet. Ich hatte völlig vergessen, dass ich ihn treffen könnte, geschweige denn, dass ich ihm in genau diesem Moment gegenüber stehen würde.
Weder die Augen, die noch immer tief in ihren Höhlen vergraben waren, noch der Mund und die Gesichtsform hatten sich merklich verändert, außer, dass seine Konturen markanter geworden waren. Hätte ich ihn von vorne gesehen, hätte ich ihn mit Sicherheit erkannt und hätte schleunigst das Weite gesucht, doch von hinten war mir die Ähnlichkeit nicht aufgefallen.
„Eleanor?“, fragte er mich überrascht und holte mich aus meine Gedanken, in die ich komplett versunken war. Bartstoppeln umspielten sein Kinn. Sein gelangweilter Gesichtsausdruck änderte sich.
„Ich.. ähm“, unwissend stotterte ich vor mich hin und starrte ihn einige Momente an, während der Boden unter meinen Schuhen verdächtig stark wackelte. Ich stolperte langsam und unmerklich einige Schritte zurück.
Nachdem ich einige Augenblicke gebraucht hatte, um mir darüber im Klaren zu werden, dass Dave genau vor mir stand – nicht zwei Meter entfernt, nahm ich meine Füße in die Hand und versuchte so schnell es mir möglich war, von hier zu verschwinden. Granny müsste auf ihre Blumen verzichten.
Die Regale, die bis oben hin mit den Holzbrettern voll gefüllt waren, wackelten ebenfalls so stark wie der Boden, während meine Sicht vor Tränen, die sich in meinen Augen angesammelt hatten, verschwamm. Stur wischte ich sie weg, da ich das Versprechen, nicht mehr wegen ihm zu weinen, nicht brechen wollte. Ich wusste nicht einmal, wieso ich denn jetzt weinte. Sicherlich nicht, weil ich ihn vermisste.
Ich vermutete einfach einmal, dass er mein Leben in einer bestimmten Weise geändert und mir eine ziemlich schwere Zeit beschert hat. Wenn er damals nicht gewesen wäre, hätte ich wahrscheinlich jetzt nicht ein so großes Problem damit, loszulassen und mich der Liebe hinzugeben.
Reiß dich zusammen, Eleanor!, schrie mein Gewissen und auch mein Verstand protestierte, da ich jetzt nicht vor ihm fliehen sollte. Eigentlich müsste ich mich umdrehen und ihm alles, was ich durchgemacht hatte, vor die Füße schmeißen und mich nicht einen Dreck darum scheren, ob er sich deshalb schlecht fühlte.
Oder sollte ich besser so tun, als wäre die Sache längst vergessen und ich wäre ihm nicht mehr böse. Dann würde er hoffentlich merken, wie wenig ich mich mittlerweile noch um ihn scherte.
„Eleanor warte!“, hörte ich in nicht allzu großer Entfernung hinter mir rufen und keine zwei Sekunden später spürte ich seine eiskalten Finger, die sich um mein Handgelenk schlangen.
„Erinnerst du dich?“, rief ich laustark, nicht ein bisschen kümmernd, ob mich jemand hörte. Ich riss meinen Körper herum und stoppte, sodass auch er keinen Schritt mehr weiterging.
Daves Augen wurden groß und sein Lächeln, das auf seinem Gesicht gelegen hatte, verebbte langsam; der Griff um mein Handgelenk blieb jedoch.
„Wenn ja, dann solltest du dich schämen, dass du wirklich gedacht hattest, du könntest mit einem einfachen „Warte bitte“ und womöglich einer knappen Entschuldigung alles gut machen.“
Von Wut getrieben riss ich mein Handgelenk aus seinen Fingern und schüttelte fassungslos meinen Kopf.
„Und jetzt lass mich besser gehen, denn ich habe mit Menschen wie dir abgeschlossen“, fügte ich zischend hinzu und war überrascht von der Tatsache, dass meine Aussage genauso herausgekommen war, wie ich es beabsichtigt hatte – giftig und drohend.
Glücklicherweise hatte ich nun endlich aufgehört zu weinen und hatte es geschafft, den Schmerz, der durch ihn aufgekommen war, in Wut zu verwandeln. Schmerz, wegen dem Gefühl, weniger wert zu sein.
Schleunigst verließ ich die Abteilung und musste bitter enttäuscht feststellen, dass er auch nach meiner klaren Ansage noch immer den Mut hatte, mir zu folgen.
„Natürlich erinnere ich mich, Eleanor, und wenn ich könnte, würde ich alles rückgängig machen, glaub mir!“, sagte er mit fester Stimme, die sich nicht sehr weit von mir entfernt anhörte. Die Worte, die seinen Mund verließen, klangen auswendig gelernt, beinahe filmreif.
Ich hielt nicht an, eilte immer noch durch das große Geschäft und verfluchte innerlich dessen Größe an der ich vorhin schon verzweifelt war.
„Ich habe erst zu spät festgestellt, dass ich mich für dich entscheiden hätte sollen.“
„Das ist nicht dein ernst“, murmelte ich zu tiefst gekränkt und lief langsamer.
Ich drehte mich langsam um und blickte ihn an. Er stand mit hängengelassenen Schultern neben den bunten Blumen, die ich eigentlich schon ewig gesucht hatte. Nun habe ich sie gefunden. Seine Haare waren an den Spitzen blond, obwohl sie eigentlich von Natur aus braun waren. Es war nicht zu übersehen, dass er trainierte, was man an seinen Oberarmen erkennen konnte.
„Eleanor, bitte gib mir noch eine Chance“, bettelte er und seufzte. Sein Gesichtsausdruck sprach Bände und zeigte mir, dass er zwar einen Neuanfang wollte und seine Taten bereute, aber auch, dass er immer noch nicht verstanden hatte, wieso er mich gekränkt hatte.
„Du verlangst eine zweite Chance, obwohl du immer noch nicht genau weißt, was du bei der ersten falsch gemacht hast?“
Fassungslos ließ ich meine Schultern hängen und starrte ihn an. Ich dachte, er hätte lange geung Zeit gehabt, seinen Fehler zu bereuen.
„Natürlich weiß ich, dass ich dich niemals in die Sache miteinbinden dürfen hätte, aber du warst da und es hat sich entwickelt. Ich bereue es – und das meine ich ernst, so wahr ich hier stehe – dass ich dich so hintergangen habe. Ich hätte den Schlussstrich mit Lindsey viel früher ziehen müssen. Es war ein Fehler“, erklärte er mir.
Ich erinnerte mich noch so genau an den Tag, an dem Lindsey wieder aus dem Urlaub gekommen war, als wäre es erst gestern gewesen. Ich roch das frisch gemähte Korn auf den Wiesen vor uns, spürte, wie die leichte Sommerbrise über meine nackten Arme hauchte und sie einhüllte. Ich roch noch immer den Geruch nach Mais, der von den Feldern herüberzog, hörte noch immer Hunde in der Ferne bellen, Kinder lachen und Windspiele klingen. Ich schmeckte die Erdbeeren aus den Gärten auf meiner Zunge und spürte das Gefühl, wenn man zu viel gelacht hatte und die Wangen deshalb schon fast drückten.
„Lass es mich wenigstens bei einem Abendessen wieder gut machen?“, fragte er mich hoffnungsvoll.
Seine braunen Augen durchbrannten mich wie Feuer und hinterließen Verbrennungen an meinem ganzen Körper, wo auch immer sein Blick hinwanderte. So oft man sich auch wünschte, endlich von bestimmten Personen gesehen zu werden, gab es wiederum auch andere, vor deren Blick man sich am liebsten verstecken würde.
Ich hatte so viel Zeit damit verbracht, genau das zu fürchten, was nun eingetroffen war. Immer hatte ich ängstlich daran gedacht, wie das erste Zusammentreffen mit Dave nach dem Sommer sein würde. Ich hätte es – ohne Frage – am liebsten dabei belassen und wäre glücklich damit gewesen, wenn ich ihn nie mehr wieder gesehen hätte. Doch nun stand er vor mir, lebendig wie nie, und fragte mich, ob ich mich aussprechen wollte, um die Probleme zu beseitigen.
Und ich wusste ganz genau, dass ich kein Mensch war, der gerne einen Keil zwischen sich selbst und anderen Personen hatte. Ich hatte einige Fragen, die ich ihm stellen wollte, musste wissen, wie es ihm ergangen war.
Seufzend und mit schwerem Herzen atmete ich tief durch und fasste einen Entschluss. Mit wackelnder und zittriger Stimme sprach ich meine Antwort aus.
„Wann und wo?"
Habt ihr damit gerechnet, dass Dave in Holmes Chapel auftaucht? Ich hoffe nicht, denn ich war ganz aufgeregt während dem Schreiben und habe mich so auf eure Reaktionen gefreut!
Also lasst es mich wissen, ob ihr Eleanors Entscheidungen nachvollziehen könnt und was ihr von Dave haltet ♥♥
Am Wochenende wird höchstwahrscheinlich etwas neues auf meinem Profil erscheinen, also schaut doch gerne immer wieder mal vorbei :)
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Eleanors Shoes
FanfictionWas ist Liebe? Es ist das stärkste Gefühl, das Menschen einander entgegenbringen können, verbunden mit Gefühlen wie Hass, Trauer und Schmerz, doch ebenso mit Vertrauen, Zufriedenheit und Geborgenheit. Es ist das starke Gefühl der Verbundenheit zu ei...