Ich kann es gar nicht fassen, wie sehr ich mich geirrt habe. Der Entführer hatte Julia angerufen, nachdem Jessy und Thomas vor ihm geflüchtet sind. Er sagte, sie hätte auf ihn hören und sich nicht einmischen sollen. Nun sollte Julia zusehen, wie er einen nach dem anderen vor ihren Augen töten wird und anschließend sie. Mir wurde schlecht. Alleine die Vorstellung, ich könnte sie irgendwann im Fernsehen tot daliegen sehen... Ich würde es mir niemals verzeihen. Julia sagte nichts zu dem Entführer, schließlich legte er auf.
Ich machte mir ernsthafte Sorgen, weshalb ich Jessica anschrieb, um etwas über Julia zu erfahren. Schließlich hatte ich Julia gesagt, dass ich nicht mehr bei ihren privaten Chats mitlesen würde, weil ich ihr vertraue. Und ich wollte sie jetzt nicht enttäuschen, trotz meiner Sorge um sie. Jessica schrieb mir daraufhin, dass sie Julia schon einige Nachrichten hinterlassen hatte, aber nicht antwortete.
Ich bedankte mich bei ihr und fragte Julia, ob alles in Ordnung sei. Was für eine dumme Frage! Als ich das bemerkte, versuchte ich, sie zu beruhigen, indem ich ihr versicherte, dass alle in Sicherheit wären. Doch sie war immer noch offline. Schließlich hielt ich die Ungewissheit nicht aus und hackte mich in ihr Mikrofon ein, sodass ich alles hören konnte, was in diesem Raum gesagt wurde. Doch sie sagte nichts, ich hörte nur ihr Schluchzen, spürte ihre Trauer und Angst, als wären es meine eigenen Gefühle. Ich musste ihr Mikrofon wieder deaktivieren, denn ich konnte ihre Tränen und Schluchzer kaum ertragen, es tat mir einfach zu sehr weh.
Mir war klar, dass ich durch sie so schwach und verletzlich bin und dennoch konnte ich mich nicht von ihr abwenden. Sie war so zerbrechlich, so emotional... und trotzdem war sie immer noch da, obwohl es ihr so schwerfiel. Ich merkte erst, dass ich weinte, als eine Träne auf die Papiere vor mir runtertropfte. Eilig wischte ich sie weg, ich durfte einfach nicht emotional werden.
Ich weiß gar nicht genau, wann ich das letzte Mal geweint hatte. Wahrscheinlich, als ich zu dem Schutz vor ihren Gefühlen und mir zu Hannah den Kontakt abbrechen musste, aber das war was anderes. Als Hannah entführt wurde, war ich zwar etwas durcheinander, aber ich klammerte mich die ganze Zeit über an die Hoffnung, sie lebendig wiederzufinden. Ich war mir sicher, dass sie noch lebte, die Frage war nur, wie viel Zeit uns blieb, bis sich das ändert. Doch bisher ist sie nach wie vor am Leben und ich muss sie finden! Sie ist meine Halbschwester...
Als ich endlich aufhörte, wie ein Vollidiot einfach dazusitzen und zu heulen, schrieb ich Julia, dass es mir leid tut, denn das tat es wirklich, einfach alles. Ich hatte solche Schuldgefühle und hatte das Gefühl, mich vor ihr rechtfertigen zu müssen, weshalb ich ihr noch weitere Nachrichten schrieb. Doch sie kam noch immer nicht online. War ihr vielleicht etwas zugestoßen? Ich schrieb noch, dass sie bitte online kommen sollte und legte dann mein Handy weg.
Ich hatte wieder mit meiner Angst zu kämpfen. Obwohl wir uns nicht wirklich kannten, uns nicht ein einziges Mal gesehen hatten, ich nicht einmal ihr Gesicht gesehen hatte, obwohl ich sämtliche Fotos aus ihrer Galerie angesehen hatte, in der Hoffnung herauszufinden, wer sie ist, hatte ich das Gefühl, dass ich sie und sie mich kannte. Sie war mir genauso ein Rätsel wie ich ihr. Sie besaß kein einziges Bild von ihrem Gesicht auf ihrem Handy, nur auf einigen wenigen Bildern war sie - ich nahm zumindest an, dass es sich dabei um Julia handelte - von hinten zu sehen.
Frustriert hatte ich damals die Suche aufgegeben, doch ich wünsche mir in Wirklichkeit nichts sehnlicher, als sie endlich mal zu sehen und fünf Minuten mit ihr verbringen zu können, doch das ist mehr, als ich mir erlauben kann. Außerdem weiß ich ja nicht, ob sie meine Gefühle erwidert, da ich Gefühle durch reinen Text nicht so gut erkennen kann.
Schließlich hörte ich, wie mein Handy kurz vibrierte und sah sofort nach, ob sie das gewesen ist. Tatsächlich, das war sie. Es waren genau zwei Worte, die sie mir geschrieben hatte. Hey Jake. Eine ganz normale Begrüßung von ihr, warum pochte also mein Herz so laut? Ich war so verdammt verwirrt und versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen, doch wie allzu oft gelang mir das nicht wirklich. Deshalb entschuldigte ich mich nochmal. Kurz darauf las ich eine der verwirrendsten Nachrichten, die ich je gelesen habe.
Julia: Jake, es ist alles in Ordnung, okay? Hör endlich auf, dir ständig die Schuld für alles zu geben, du kannst verdammt nochmal nichts dafür!! Es geht ihm die ganze Zeit nur um mich, wann siehst du endlich ein, dass ich daran Schuld bin. Er versucht nicht andere zu verletzen, um dir wehzutun, sondern mir! Ohne mich wäre es doch gar nicht dazu gekommen!
Ist sie wütend? Auf mich?? Dafür, dass ich eigentlich ziemlich gut im Denken bin, arbeitete mein Gehirn nur sehr langsam. Sie glaubte nicht, dass ich Schuld bin, ganz im Gegenteil, sie gab sich selbst die Schuld. Sie glaubte, dass alleine ihre Existenz die anderen in Gefahr brachte und verstand nicht, in welcher Gefahr sie überhaupt war.
Ich hätte ihr liebend gerne gesagt, was ich für sie empfinde, allerdings wusste ich es ja selber nicht und solche Informationen waren übers Handy nach wie vor sehr gefährlich. Also fing ich nochmal von vorne damit an, die Nachricht zu verfassen. Trotzdem konnte ich es nicht lassen und musste ihr schreiben, wie gerne ich bei ihr wäre. Diese Seite kannte ich gar nicht an mir und sie verunsicherte mich. Und trotzdem ich schickte ich die Nachricht ab.
Julia: Aber du gibst dir doch genauso wie ich die Schuld an allem. Und du musst dich nicht entschuldigen, ich bin froh, dass ich überhaupt mit dir schreiben kann. Natürlich wäre es schöner, wenn du bei mir wärst, aber ich verstehe, dass das nicht geht.
Ist sie traurig? Ich war mir nicht sicher, aber die Angst, sie zu enttäuschen, sorgte dafür, dass ich ihr noch mehr Hoffnungen machte, obwohl ich wusste, dass es wahrscheinlich niemals dazu kommen konnte.
Ich: Vielleicht werde ich eines Tages sicher genug sein, um mich mit dir zu treffen, aber ich möchte nicht, dass du wegen mir in Gefahr bist. Wenn ich mir nur vorstelle, was passieren würde, wenn dich einer meiner Verfolger in die Finger bekommt...
Mir wurde wieder übel. Ich konnte diesen Satz nicht mal zu Ende denken. Sie war viel zu empfindlich für diese Welt...Ich musste mich ablenken, und zwar schnell, damit ich nicht völlig den Verstand verlor. Leise meldete sich Nymos, dass er etwas Neues gefunden hatte, etwas Neues im Bezug auf Hannah.
Ich: Wir sollten in der Gruppe unsere neusten Erkenntnisse besprechen, vielleicht liefert es uns neue Hinweise.
Ich weiß, dass es unfair war, wie ich mich ihr gegenüber verhalten hatte, aber ich konnte nicht anders. Es ist zu gefährlich für sie.
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𝙳𝚞𝚜𝚔𝚠𝚘𝚘𝚍 ~ 𝚈𝚘𝚞 𝙰𝚛𝚎 𝚃𝚑𝚎 𝙺𝚎𝚢
FanfictionJulia hält es nicht mehr aus. Nach einem verhängnisvollen Anruf lässt sie alles stehen und liegen und fährt mit dem nächsten Zug nach Duskwood, um vor Ort ermitteln zu können. Allerdings hatte sie nicht damit gerechnet, dass ihr Aufenthalt in Duskwo...