Um 18:30 Uhr verließ ich das Motel, um am besagten Ort rechtzeitig anzukommen. Ich wusste nicht, wie lange es genau zu Fuß dauern würde, aber soo weit war der Ort nicht entfernt.
Mir war klar, wie dumm es ist, geradewegs in den Wald zu gehen, aber ich musste herausfinden, warum der Entführer plötzlich seinen Plan änderte, das passte einfach nicht zu ihm. Mittlerweile war er nahezu unberechenbar und das machte ihn gefährlicher denn je. Wenn wir nicht bald handeln würden, würde der Entführer etwas unüberlegtes tun, das Hannah und Richy schlimmstenfalls das Leben kosten könnte. Ich hatte wieder das Gefühl, verfolgt zu werden, doch ich hatte jetzt keine Zeit, meinen Verfolger zu enttarnen.
Es war mittlerweile schon dunkel. Eigentlich habe ich Angst im Dunkeln, doch es war nicht die Dunkelheit, die mich so beunruhigte. Ich hatte Angst, dass der Mann ohne Gesicht mir richtig wehtun würde. Es war ja offensichtlich, dass er nicht nur mit mir plaudern wollte, sonst hätte er einfach angerufen. Zu allem Überfluss fing es an zu regnen. Auch das noch! Stolpernd blieb ich am Rand des Waldes stehen. Ich hatte nicht nur vor Dunkelheit, sondern auch vor Wäldern Angst. Vor was hatte ich denn keine Angst?
Ich versuchte mich an das wenige aus unserem Selbstverteidigungskurs zu erinnern, allerdings funktionierte das meiste nicht so, wie es sollte, weil ich viel zu leicht und schwach war. Mit meinen 47 Kilogramm bei einer Körpergröße von 1,67 m (, was meiner Meinung nach lächerlich klein war,) konnte ich mich schon kaum gegen eine Frau wehren, geschweige denn gegen einen oder zwei Männer. Wir hatten die Theorie mit zwei Tätern ja immer noch nicht ausgeschlossen.
Schließlich nahm ich all meinen Mut zusammen und machte mich auf den Weg zu der Stelle, die auf der Karte markiert war. Halb blind stolperte ich durch den Wald, während ich schon vom Regen komplett durchnässt war. Wenn ich noch viel länger hier draußen bleiben würde, würde ich mich erkälten. Aber wen störte es, wenn ich mich erkältete, wenn ich nicht mal wusste, ob ich nach dem bevorstehenden Treffen überhaupt noch lebte.
Was ich dann sah, ließ mich zittern: vor mir befand sich genau die Hütte aus meinem Traum! Fast erwartete ich schon, Hannah und den Mann ohne Gesicht aus der Tür laufen zu sehen, doch es geschah nichts. Die Lichter in der Hütte waren aus und es war still... zu still. Ich konnte nur das Rascheln der Blätter und das Prasseln der Regentropfen hören, der Wind wehte.
Plötzlich knackste ein Ast, es ist jemand ganz in der Nähe! Als ich ganz nahe Fußschritte hörte, rannte ich los, ich wollte den Mann ohne Gesicht gar nicht erst sehen müssen. Einer meiner schlimmsten Albträume wurde wahr. Wieso war ich bloß hierhergekommen?! Ich bin echt lebensmüde. Was habe ich mir nur dabei gedacht? Zuerst reise ich überstürzt nach Duskwood, gehe in diesen verdammten Wald und verheimliche es vor jedem, sodass mich niemand retten kann, wenn ich mal ernsthaft in Gefahr bin, wie es jetzt der Fall ist! Warum war ich nur so leichtsinnig?
So unvorsichtig, wie ich war, blieb ich mit meiner Fußspitze an einer Wurzel hängen und fiel hin. Dabei schlug ich mit meinem Kopf an einen spitzen Stein auf, doch ich würde nicht so leicht aufgeben. Mittlerweile kam er immer näher, ich war verloren! Plötzlich hob mich jemand hoch und ich schrie auf. Doch die Person hielt mir den Mund zu, sodass man mich nicht hören konnte. Ich zappelte und trat um mich, doch es brachte alles nichts. Die Person lief mit mir in den Armen schnell weiter.
Schließlich traf ich die Person endlich am Schienbein, nicht fest, aber stark genug, dass die Person den Griff lockerte. Nachdem ich mich losgerissen hatte, wollte ich eigentlich wegrennen, allerdings war mein Gleichgewichtssinn noch nicht wiederhergestellt, weshalb ich beinahe wieder hingefallen wäre. Die Person konnte mich gerade so noch auffangen. Sofort hielt sie mir wieder den Mund zu und hielt mich fest. Ich zappelte wieder und weinte, als die Person hinter mir zischte: "Sei doch endlich mal leise." Die Stimme kam mir irgendwie total bekannt vor, woher kannte ich sie nur? "Hör doch auf, so zu zappeln, bitte. Verhalte dich ruhig, sie sind immer noch in der Nähe."
Sie sind noch in der Nähe? Er ist nicht der Mann ohne Gesicht? Wenn er nicht der Mann ohne Gesicht ist, wer ist er dann? Zu viele Fragen und kaum Antworten. "Wa..." "Shh, wir müssen jetzt erstmal unauffällig aus dem Wald, bevor sie uns entdecken." Ich nickte als Antwort. "Kannst du laufen? Vorhin warst du ja nicht gerade sicher auf den Beinen..." "Das geht schon", sagte ich bissig. "Ich habe mir wahrscheinlich nur den Knöchel verstaucht oder so." "Okay, wenn du meinst." Irgendwie klang er belustigt. Und da wusste ich auch, woher ich seine Stimme kannte. Doch warum war er hier? Und wer war er wirklich?
"Wir müssen jetzt los, sonst finden sie uns noch", sagte er eindringlich. "Es wäre schonmal ein Anfang, wenn du mich loslassen würdest. Ich werde jetzt nicht mehr rumschreien. Oder dich treten." "Oh, sorry." Er ließ mich los. Vorsichtig trat ich mit meinen verletzten Fuß auf und bereute es sofort. Ich fluchte leise und musste mich zusammenreißen, damit ich vor Schmerz nicht laut aufschreie. Er schien es auch zu merken. "Bist du dir wirklich sicher, dass du laufen kannst? Ich kann dich auch tragen." Er klang echt besorgt. Ich drehte mich zu ihm um, doch es war so dunkel, dass ich sein Gesicht nicht erkennen konnte. "Nein, das passt schon. Du musst dir nicht solche Umstände machen. Ich werde auch versuchen, mich zu beeilen." Als ob ich mich von ihm tragen lassen würde.
Er seufzte. "Julia, ich kann dich unmöglich so durch den Wald laufen lassen. Du bist verletzt. Ich bringe dich hier raus und dann versorgen wir deine Wunden." Ich ahnte schon, dass weitere Diskussionen nutzlos sein würden und außerdem kam der Mann ohne Gesicht immer näher, daher stimmte ich schließlich zu. "Okay. Du solltest aber in Zukunft vorsichtiger sein, wenn du jemanden beschatten willst, Jake."
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𝙳𝚞𝚜𝚔𝚠𝚘𝚘𝚍 ~ 𝚈𝚘𝚞 𝙰𝚛𝚎 𝚃𝚑𝚎 𝙺𝚎𝚢
FanfictionJulia hält es nicht mehr aus. Nach einem verhängnisvollen Anruf lässt sie alles stehen und liegen und fährt mit dem nächsten Zug nach Duskwood, um vor Ort ermitteln zu können. Allerdings hatte sie nicht damit gerechnet, dass ihr Aufenthalt in Duskwo...