~LXXV~

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"Aber eine Frage muss ich dir noch stellen." Scheiße, wie sollte ich das nur formulieren? "Also... hast du das, was du mir beim Anruf gesagt hast, ernst gemeint?", fragte ich nervös. Mein Herz pochte wie verrückt. Zum Glück konnte Julia das nicht hören, reichte ja schon, dass man meiner Stimme anhörte, wie nervös ich war. "Was genau meinst du? Dass du mich sterben lassen solltest oder worauf willst du hinaus?", fragte Julia verwirrt. Verstand sie wirklich nicht, worauf ich hinauswollte oder wollte sie mich nur ärgern? Ich schnaubte. "Ich hoffe für dich, dass du den Teil mit 'Jake, entscheide dich für Hannah und lass mich verrecken' nicht ernst gemeint hast, sonst kriegen wir beide noch ein gewaltiges Problem." Ich wartete darauf, dass sie irgendetwas dazu sagen würde, aber sie blieb ungewöhnlich still. Sie schien es wirklich nicht zu verstehen. Oder sie wollte, dass ich es laut ausspreche, na toll. "Aber nein, darauf wollte ich nicht hinaus..." Ich machte wieder eine kurze Pause und suchte nach den richtigen Worten.

"Ich wollte wissen, ob du es ernst meintest, als du sagtest, dass du... mich liebst", nuschelte ich, wich Julias Blick aus und fuhr mir durch meine Haare. Julias Herz pochte wie verrückt, ich konnte es ja durch das EKG hören. Aber sie gab sich trotzdem total gelassen. "Nein Jake, das habe ich nur so aus Spaß gesagt, um dich zu verwirren", meinte sie, doch ich konnte in dem Moment einfach nicht einschätzen, ob sie das ernst meinte oder nicht. "Jake, sieh mich an", forderte sie dann ernst und umschloss auch noch mit ihrer anderen Hand meine Hand. Es dauerte etwa zwanzig Sekunden, bis ich mich endlich traute, in die Augen zu sehen. Blau traf auf Blaugrau. Ich versank in ihren großen, unschuldigen Augen, während sie sagte: "Ich meinte alles, was ich bei diesem Anruf dir gesagt hatte, komplett ernst. Sowohl den Teil mit 'Jake, entscheide dich für Hannah und lass mich verrecken' als auch den Teil, als ich dir sagte, dass ich dich liebe." Mein Herz schlug mir bis zum Hals, sie hatte es also wirklich ernst gemeint. Nach einigen Sekunden lehnte sich Julia in meine Richtung, mein Atem stockte. "Ich liebe dich", murmelte sie liebevoll.

Die Welt blieb stehen, alles, was ich wahrnehmen konnte, war Julia. Ich glaube, ich bin noch nie in meinem Leben so glücklich gewesen. Automatisch wanderte mein Blick zu ihrem Mund, aus dem gerade die wundervollen Worte kamen, die ich die ganze Zeit hören wollte, auf die ich die ganze Zeit gewartet hatte. Dann legte ich meine Hände vorsichtig an Julias Gesicht und lehnte mich ganz langsam weiter nach vorne. Julias Herzschlag verschnellerte sich, was ich durch das schneller werdende Piepen des EKGs mitbekam. Julias Wangen wurden rot, weshalb sich meine Mundwinkeln verselbstständigten und ich lächeln musste. Sie sah einfach so niedlich aus. Jetzt musste nur noch ich die Worte aussprechen. Die Worte, die ich noch nie zu jemandem gesagt hatte. Die Worte, vor denen ich eigentlich Angst hatte, sie auszusprechen. Weil mir dadurch mal wieder bewusst wurde, wie verletzlich ich durch Julia geworden bin. Die Worte, die alles verändern würden. War ich dazu bereit? Vermutlich nicht, aber genauso wenig konnte ich so weitermachen wie zuvor.

"Ich liebe dich auch", flüsterte ich heiser und küsste sie. Dieser Kuss beinhaltete tausende Emotionen, die man mit Worten kaum beschreiben konnte. Er küsste mich behutsam, hielt mein Gesicht sanft fest, als ob ich etwas leicht Zerbrechliches, etwas Besonderes wäre. Aber nicht der Kuss brachte mich so sehr aus der Fassung, sondern seine Worte. Das Gefühl von Glückseligkeit durchströmte mich und meine Lippen formten sich unwillkürlich zu einem Lächeln. Julias Hände vergruben sich in meinen Haaren, ihre Fingernägel, die über meine Kopfhaut kratzten, raubten mir beinahe meine Selbstbeherrschung, weshalb ich mich von ihr lösen musste. 

Ich starrte sie an, mein Mund leicht geöffnet, meine Lippen geschwollen, sie prickelten noch immer von unserem Kuss. Julias Lippen waren ebenfalls geschwollen und unwiderstehlich rot. Naja, fast unwiderstehlich. Ihre Augen wurden glasig, schnell drehte sie ihren Kopf weg. Weinte sie etwa? Wenn sie kurz vorm Weinen war, konnte sie es jedenfalls gut verstecken, denn als sie wieder zu mir sah, war der glasige Schimmer aus ihren Augen verschwunden. "Kannst du deine letzten Worte vielleicht nochmal wiederholen?", fragte sie mit großen Augen. Sie wusste ganz genau, wie schwer es für mich gewesen ist, diese Worte auszusprechen. Ich kniff meine Augen zusammen und wollte ihr gerade genau das sagen, doch sie fing an zu lachen und küsste mich. Doch ich merkte, dass es ihr in Wirklichkeit beschissen ging, dass sie viel mehr Schmerzen hatte, als sie durchblicken ließ.

𝙳𝚞𝚜𝚔𝚠𝚘𝚘𝚍 ~ 𝚈𝚘𝚞 𝙰𝚛𝚎 𝚃𝚑𝚎 𝙺𝚎𝚢Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt