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Ich versuchte, langsam und tief einzuatmen, jedoch gelang es mir einfach nicht. Dazu hatte das, was ich gesehen hatte, mich zu sehr verschreckt. Er war hier. Er wusste, wo ich war und könnte jederzeit mein Leben beenden. Ich wusste nicht, wohin ich gehen sollte. Die ganze Zeit habe ich mich verdeckt gehalten, bin niemandem begegnet, der mich vielleicht kennen könnte, wie also konnte er von meiner Anwesenheit hier in Duskwood wissen? Und wie ist er an meinen falschen Namen gekommen?

Am liebsten hätte ich Jake davon erzählt, jedoch wusste er ja gar nicht, dass ich in Duskwood bin. Und das Video zeigte eindeutig, wo ich mich befand. Shit. Ich dachte daran, wie ich mich gestern verfolgt fühlte. War er es vielleicht gewesen? Ich schüttelte den Kopf. Langsam wurde ich echt paranoid. Wenn der Mann ohne Gesicht mir etwas antun wollen würde, hätte er es schon längst getan. Er sagte, dass er mich als letzte umbringen würde, also blieb noch ein bisschen Zeit, solange er nicht seinen Plan ändern würde. Also beschloss ich, Jake nichts von dem Video zu sagen. Ich hoffte, dass er nicht mitbekommen hat, wie mir diese fremde Nummer geschrieben hatte. 

Langsam wurde es dunkler und ich musste anfangen, mich für den Abend fertigzumachen. Vorher wollte ich aber noch meine Nachrichten checken. Eine neue Nachricht von der unbekannten Nummer, zwei Nachrichten von Jake und ein paar Nachrichten in unserer Gruppe.

Zuerst sah ich nach, was Jake geschrieben hatte. Ich seufzte. Selbst in so einer Situation hatte Jake oberste Priorität. 

Jake: Julia? Ich muss dich bitten, nicht mehr Hannahs Cloud zu entschlüsseln.

Jake: Alles okay bei dir? Nymos hat mir einen Angriff auf dein Handy gemeldet.

Oh weh, ich hatte es schon befürchtet! Aber was meinte Jake mit der Cloud?

Ich: Was meinst du? Wieso soll ich Hannahs Cloud nicht mehr entschlüsseln?

Ich war sehr verwirrt. Verheimlichte er etwa gerade etwas vor mir?

Jake: Ich habe sie schon fertig entschlüsselt, leider gab es keine brauchbaren Informationen her. Aber erzähl jetzt doch mal, was ist jetzt mit dem Angriff auf dein Handy?

Er log. Ich wusste es einfach. Vielleicht hat er wirklich die Cloud entschlüsselt, aber dass er dort keine Informationen finden konnte, nahm ich ihm nicht ab.

Ich: Was verheimlichst du vor mir?

Jake: Versuche jetzt nicht, abzulenken. Ich merke doch, dass da etwas ganz und gar nicht stimmt.

Verdammt! Sollte ich jetzt reinen Tisch machen? Damit er dir dann nicht mehr vertraut und dir ständig nachspioniert? Nein. Er machte sich so schon zu viele Sorgen, ich konnte ihm das nicht auch noch auflasten. 

Ich: Es war nur ein weiterer Hackerangriff, nichts besonderes. Hast du schon die Adresse von Amys Eltern herausgefunden?

Jake: Ich bin noch dran. Es gibt leider auch noch andere Sachen, die ich nebenbei erledigen muss, aber bis morgen sollte ich sie haben. Warum ist dir das so wichtig? 

Ich: Die Zeit läuft ab. Während der Täter sich schon in aller Ruhe überlegt, was er als nächstes tut, kommen wir einfach nicht weiter. Und dann werden Menschen sterben, Jake.

Jake: Da ist noch was anderes, oder? Bitte Julia, vertraue mir.

Ich: Ich vertraue dir, aber es ist nichts, ehrlich. Die ganze Sache nimmt mich einfach nur mehr mit, als ich erwartet hatte.

Jake: Okay, wenn du meinst. Ich würde morgen mit dir gerne über unsere neuen Erkenntnisse sprechen, schließlich soll heute noch Michael Hanson verhört werden.

Ich: Oh, sie haben ihn geschnappt?

Jake: Ja, aber bisher hat er nichts gesagt. Weiteres dazu steht im Gruppenchat ;)

Ich: Danke Jake. Bis später

Jake: Bis später.

Schnell überflog ich den Gruppenchat. Phil würde heute wie erwartet die Aurora wieder öffnen. Jessy, Thomas, Cleo und Lilly wollten morgen Nachmittag Dan einen kleinen Besuch im Krankenhaus abstatten. Sie wollten morgen besprechen, was wir jetzt machen sollten. Jake bat sie, die Sprachfunktion ihres Handys morgen zu aktivieren, sodass wir mitlesen können. Lilly erzählte, dass Michael Hanson endlich festgenommen wurde, dennoch wollten sie das Treffen abhalten, falls die Polizei zu wenig Beweise gegen ihn hatte und er wieder freikommt.

Schließlich öffnete ich den Chat mit der unbekannten Nummer. Er hatte nur zwei Sätze geschrieben. Fliehen ist nutzlos, ich würde dich wieder finden. Das Blut deiner Freunde wird fließen und an deinen Händen kleben.

Verzweifelt rannte ich aus meinem Zimmer heraus und stürzte beinahe die Treppen herunter, als ich sie, immer drei Stufen auf einmal nehmend, herunterlief. Unten angekommen, zwang ich mich ein bisschen langsamer zu laufen, doch als ich den Blicken der Empfangsdame entkommen war, rannte ich wieder los. 

Ich sah nochmal kurz nach hinten, als ich die Tür herausstürzte, um sicherzugehen, dass ich nicht verfolgt wurde und rannte keine fünf Sekunden später in einen Mann hinein und wäre beinahe hingefallen, wenn er mich nicht im letzten Moment aufgefangen hätte. Nach Atem ringend versuchte ich etwas Platz zwischen mir und dem fremden Mann zu schaffen, allerdings hielt er mich noch immer fest. Mit hochroten Kopf entschuldigte ich mich für meine Ungeschicklichkeit und wartete darauf, dass mich der Mann loslassen würde, jedoch tat er das nicht. 

Irgendwie wirkte er besorgt, denn nach ein paar Sekunden fragte der Mann: "Alles in Ordnung bei Ihnen?" "Ähm, klar", stotterte ich wie eine Idiotin und sah auf den Asphalt. "Also für mich sah es so aus, als ob Sie vor etwas weggerannt wären." Er klang immer noch besorgt. "Äh, nein, alles okay, mir geht es gut, wirklich. Sie können mich jetzt wieder loslassen. Ich renne nicht nochmal in Sie rein." 

Zu meiner Überraschung kicherte der Mann. Lachte er mich jetzt allen Ernstes aus?! "Ich muss jetzt weiter, ich habe heute Abend noch etwas vor", murmelte ich vor mich hin. Schließlich ließ mich der Mann los, während er immer noch lachte. "Worüber lachen Sie denn so", fragte ich verärgert. Zu gerne würde ich in sein Gesicht sehen, aber mir war die ganze Situation immer noch so verdammt peinlich. "Sie sind witzig, mich bringen nicht viele Leute zum Lachen. Naja, dann wünsche ich Ihnen sehr viel Spaß heute Abend." Er lief davon und ließ mich verdattert zurück. 

Ich ging zurück ins Motelzimmer, mir blieb nun fast keine Zeit mehr, mich fertigzumachen. Schnell zog ich mir mein dunkelblaues Lieblingskleid an, welches ich normalerweise nur zu wichtigen Anlässen anzog. Es war kurz und schmeichelte meine Figur sehr, die Farbe ließ meine Augen noch blauer strahlen. Dazu zog ich schicke, silberfarbene Stilettos an und machte mir meine Ohrringe rein. Meine Haare mussten jetzt so bleiben, sie waren von gestern noch gelockt und fielen über meine Schultern. 

Kritisch betrachtete ich mich in meinem Spiegel. Ich schminkte mich noch ein wenig und stopfte in meine kleine, schwarze Handtasche mein Portemonnaie und mein Handy rein. Schnell warf ich mir meine schwarze Strickjacke über und machte mich auf dem Weg zur Bar. Ich hatte zwar noch nie richtig geflirtet, aber allzu schwer konnte das ja nicht werden.

Vor der Aurora stellte ich mein Handy auf lautlos. In Gedanken ging ich nochmal meinen Plan durch. Schließlich gab ich mir einen Ruck und ging hinein.


𝙳𝚞𝚜𝚔𝚠𝚘𝚘𝚍 ~ 𝚈𝚘𝚞 𝙰𝚛𝚎 𝚃𝚑𝚎 𝙺𝚎𝚢Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt