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Der Regen ließ nicht nach, im Gegenteil: es fing regelrecht an zu stürmen. Doch das war mir egal, die Kälte und den Regen nahm ich kaum wahr. Als ich jemanden zu mir rennen hörte, schaute ich auf. Was macht Lilly hier? "Julia, bin ich froh, dich gefunden zu haben. Was hast du dir nur dabei gedacht, zuerst abzuhauen und dann nicht mal auf meine Nachrichten zu reagieren! Und das bei dem Wetter! Manchmal habe ich echt das Gefühl, dass du lebensmüde bist. Komm mit, ich bin mit meinem Auto hier." Verwirrt ließ ich mir von Lilly hochhelfen und wir rannten gemeinsam zu ihrem Wagen. Lilly öffnete ihr Auto und ich schmiss mich auf den Beifahrersitz, Lilly tat dasselbe. Atemlos schnallten wir uns an, Lilly machte den Motor an und fuhr los. 

Lilly sah kurz zu mir rüber und drehte die Heizung höher. Erst jetzt merkte ich, dass ich zitterte. "Danke Lilly." Lilly lächelte kurz, dann seufzte sie. Was kommt jetzt? "Was hat mein Halbbruder diesmal angestellt?", fragte sie schließlich misstrauisch. Moment, sie hat mit Jake gesprochen? "Du hast mit Jake gesprochen?" Lilly räusperte sich. "Ja, er hat mich angerufen und mich gebeten, nach dir zu suchen. Er hat sich echt Sorgen um dich gemacht. Was hat er denn jetzt so schlimmes gemacht?" Ich schluckte, eigentlich wollte ich nicht einmal darüber nachdenken. "Jake hat mich belogen. Er weiß, wieso Hannah oder ihr Entführer meine Nummer an Thomas geschickt hat und er hat sich geweigert, mir die Wahrheit zu sagen. Kann sein, dass ich etwas überreagiert habe, aber ich habe ein Bild von meiner Familie und einer Frau auf seinem Computer gesehen und so wie es scheint, hat diese Frau auch etwas damit zu tun. Nur kann ich mich nicht daran erinnern, obwohl ich ja mit ihr auf dem Foto war und Jake will es mir nicht verraten, dabei ist es wirklich wichtig!", jammerte ich. Lilly schien meiner Meinung zu sein. "Das geht ja mal gar nicht von ihm. Er recherchiert zuerst über dich und dann belügt er dich auch noch? Aber ich hätte wahrscheinlich auch gar nichts anderes von ihm erwartet, er ist ja schließlich ein Hacker", sagte sie grinsend. 

"Habt ihr schon überlegt, wann ihr euch treffen wollt?", fragte ich neugierig. Ich wünschte mir trotz allem immer noch, dass Jake endlich Kontakt zu seiner Familie haben würde, nachdem er all die Jahre alleine war. Lilly hat anscheinend nicht mit dieser Frage gerechnet, denn das Auto schlenkerte kurz. Erschrocken krallte ich mich an meinem Sitz fest und sah ich zu ihr herüber. "Lilly! Willst du uns etwa umbringen?! Und du behauptest, ich wäre lebensmüde!" Lilly lachte auf. Ihr Ernst?! Sie fährt fast in den Graben und lacht eine Sekunde später?! "Du hättest mal deine Reaktion sehen sollen. Keine Sorge, ich bringe uns schon nicht um, ich war nur so überrascht, dass du ausgerechnet das gefragt hast. Bist du Hellseherin oder so?" 

Dieses Mädchen macht mich echt fertig, sie ist genauso schlimm wie ihr Halbbruder. Kann sie nicht einfach Klartext reden?! "Was meinst du?" Lilly sah mich an und ich klammerte mich sofort fester an den Sitz, es ist ja nicht gerade unwahrscheinlich, dass sie die Kontrolle über diesen Wagen verliert. Wenn Jake gewusst hätte, dass seine Halbschwester so Auto fährt, hätte er wahrscheinlich Jessy oder so darum gebeten. "Na, ich treffe mich heute Abend mit Jake. Konntest du natürlich nicht wissen, deshalb war ich ja auch so verwirrt, als du mich gefragt hast." "Ooookaaay? Versteh ich zwar nicht so ganz, aber egal. Es freut mich, dass ihr euch heute schon treffen werdet." Ich lächelte Lilly aufrichtig an und sie erwiderte mein Lächeln. 

"So, wir wären jetzt wieder zurück beim Motel. Du kannst dich bei mir melden, wenn du vielleicht etwas näher zu uns willst. Wir würden sicherlich einen Unterschlupf für dich finden." Beinahe hätte ich zugesagt, doch dann fiel mir ein, dass ich vom Mann ohne Gesicht verfolgt werde und ich die anderen dadurch in Gefahr bringen würde. Das kann ich einfach nicht. "Danke für das Angebot, vielleicht werde ich mal darauf zurückkommen." Lilly umarmte mich und sagte: "Ich war dir anfangs zwar sehr misstrauisch, aber ich weiß jetzt, dass du uns zu Hannah führen und sie retten wirst. Du bist die einzige, die das kann. Ich verstehe, was Jake da in dir gesehen hat." Lilly löste sich wieder von mir und ich starrte sie sprachlos an. Ich mag es nicht, wenn man an mich glaubt, obwohl ich selber noch nicht einmal an mich glaube. Und wenn wir Hannah doch nicht finden würden? Es wäre schrecklich, dass die anderen ihre letzte Hoffnung in mich gesetzt haben. "Ciao Julia, ich muss mich noch für den Abend fertigmachen. Sorg bitte dafür, dass Jake auch wirklich kommt und keinen Rückzieher macht", kicherte sie. Ich verdrehte die Augen. "So schlimm ist er nicht, keine Sorge, ich bin mir sicher, dass er sich euer Treffen nicht entgehen lassen will." Ich zwinkerte ihr zu. "Wir sehen uns bald."

Als ich die Tür zu meinem Zimmer öffnete, blieb ich stehen. Wo ist Jake? Sein ganzes Computerzeugs war nicht mehr hier und generell sah das Zimmer verdächtig leer aus. Ist er jetzt allen Ernstes einfach so abgehauen?! Ohne sich von mir zu verabschieden? Klar, ich war sehr wütend gewesen, aber es war jetzt nicht so schlimm, dass man vor mir davon rennen müsste. Er ist echt ein Feigling. Jetzt wäre ich so wütend, dass man mir nicht über den Weg laufen will, aber das liegt nur daran, dass mich dieses Arschloch einfach so alleine zurücklässt und nicht einmal eine Nachricht hinterlässt! Aber okay, wie er will, ich würde ihn nicht anbetteln, zurückzukommen. Das dachte ich jedenfalls, denn keine zwei Minuten später saß ich am Handy und überlegte, was ich ihm schreiben sollte. Ich öffnete den Messenger und stutzte. Hatte Jake mich jetzt echt blockiert?! Sind wir etwa im Kindergarten?! Dieser Typ regt mich echt auf. Wütend wählte ich seine Nummer, ich hoffte, dass ich ihn trotzdem noch anrufen konnte. Und der Anruf wurde auch durchgestellt. 

"Ja?" "Jake, spinnst du? Du kannst nicht einfach abhauen! Willst du mich eigentlich verarschen?", schrie ich ins Handy. "Tut mir leid, Julia, das ganze ist zu gefährlich für dich. Du solltest wieder nach Hause fahren." Okay, er spinnt wirklich. Als ob ich jetzt einfach meine Freunde im Stich lasse. "Nein, ich werde nicht nach Hause fahren, bevor du mir nicht endlich die verdammte Wahrheit gesagt hast! Obwohl, selbst dann würde ich noch hier bleiben." "Julia, ich bitte dich. Ich kann dir nicht die Wahrheit sagen", nuschelte Jake verzweifelt. "Ist das dein Ernst? Wie...." Jake hatte aufgelegt, einfach so. Ich atmete tief ein und aus, versuchte, meine Wut zu unterdrücken, die hilft mir nämlich auch nicht weiter. 

Gut, wenn Jake nicht mit mir reden wollte, würde ich eben meine Mom fragen, von ihr würde ich sicher antworten bekommen. Ich wählte ihre Nummer und sie ging nach einigen Sekunden dran. "Hallo Schlamperle", begrüßte mich meine Mom. Sie wusste, dass ich es hasse, so genannt zu werden. Wie schade, dass sie nicht sehen konnte, wie ich meine Augen verdrehte. "Hey Mom, ich wollte dich etwas fragen. Es geht um eine Frau, die sich vor 12 Jahren ziemlich gut mit Volker verstanden hat. Sie war da Anfang 20." Ja, wenn ich über meinen Erzeuger mit meiner Mom sprach, nannte ich immer seinen Vornamen. Keine Ahnung wieso, aber er hatte die Bezeichnung "Vater" nicht verdient und ich wollte nicht daran denken, dass ich wirklich mit ihm verwandt bin. Meine Mom schwieg eine ganze Weile, bis sie schließlich fragte: "Wieso willst du das wissen? Weißt du, wie sie aussieht?" Ich schüttelte den Kopf, dann bemerkte ich, dass sie das ja gar nicht sehen konnte. Mist, warum habe ich kein Bild von dem Foto gemacht? Ich hätte mir ja wenigstens merken können, wie sie aussah, aber nein, ich war so abgelenkt davon gewesen, dass ich mich nicht erinnern konnte, dass ich es mir nicht gemerkt habe. 

"Nein, ich kann mich nicht mehr erinnern. Und ich möchte das wissen, weil ich ein Foto gesehen habe, auf dem wir alle drauf waren. "Hmm, dein Vater hatte nicht so viel Kontakt zu jungen Frauen, aber warte, du sagtest vor 12 Jahren? Da lebte deine Halbschwester Jennifer noch." Warte, was? Wieso wusste ich gar nichts davon, dass ich noch eine Schwester habe? "Ich habe noch eine große Schwester?" "Nein, sie ist vor 10 Jahren leider bei einem Autounfall gestorben. Ich weiß nicht viel über sie, sie war nämlich schon erwachsen, als ich sie kennengelernt hatte. Sie hat sich richtig gut mit deinem Vater verstanden. Anscheinend hatte Volker eine Affäre mit ihrer verheirateten Mutter, weshalb er Jennifer auch kaum gesehen hat. Ihr Stiefvater wusste glaub ich auch nicht, dass er gar nicht ihr biologischer Vater war. Dein Vater war am Boden zerstört, als er von ihrem Tod erfahren hatte." 

Ich ließ mir das alles durch den Kopf gehen. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei dieser Jennifer um Jennifer Hanson handelte? "Mom, weißt du, was ihr Nachname war?" "Na klar, sie hieß Hanson. Ihre Mutter war Iris Hanson und ihr Stiefvater ein gewisser Michael Hanson. Ich hoffe, du steckst nicht in Schwierigkeiten oder so?" Gut, Michael Hanson war also nicht mein Vater und ich weiß jetzt, wie ich in Verbindung zu Hannahs Entführung stand, wenn die Frau auf dem Bild auch wirklich Jennifer Hanson war, aber ich war mir eigentlich ziemlich sicher. Jetzt ergab auch alles Sinn. "Danke Mom, ich hab dich lieb. Wir hören uns bald wieder, ja?" "Natürlich, ich hab dich auch lieb. Ciao."

𝙳𝚞𝚜𝚔𝚠𝚘𝚘𝚍 ~ 𝚈𝚘𝚞 𝙰𝚛𝚎 𝚃𝚑𝚎 𝙺𝚎𝚢Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt