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Vor Lillys Tür sind wir ein paar Polizisten begegnet, die mich jedoch alle nicht erkannten, wodurch wir unbemerkt aus dem Krankenhaus rauskamen. Ich würde mit der Polizei sprechen, wenn ich mich etwas ausgeruht und beruhigt habe. Schweigend gingen wir zu Jakes Auto und stiegen ein. Ich war so froh, dass Lilly noch lebt, aber es tat trotzdem weh, sie so zu sehen. Jake fuhr los und fragte leise: "Ist alles okay?" Ich könnte lügen und behaupten, dass es mir gut ginge, aber ich konnte Jake nicht belügen. "Nein, ist es nicht", sagte ich nur und sah aus dem Fenster. Jake war so freundlich und hakte nicht nach. 

Schließlich hielten wir vor einem mir unbekannten Gebäude und ich sah Jake fragend an. "Wo sind wir hier?", fragte ich, als Jake Anstalten machte, auszusteigen. "Bei der Apotheke, schließlich musst du ja noch ein Rezept einlösen", antwortete Jake und stieg jetzt wirklich aus. Er öffnete die Beifahrertür, doch ich blieb sitzen. Verwirrt sah mich Jake an. "Kommst du?" Ich schüttelte den Kopf. "Kannst du mich bitte einfach zurück ins Motel bringen?", flehte ich ihn an, doch jetzt war er es, der den Kopf schüttelte. "Du hast das Rezept nicht ohne Grund bekommen, also komm jetzt bitte. Es ist doch nur für deine Gesundheit." 

Ich verdrehte genervt meine Augen, stieg aber endlich aus und versuchte, Jakes Grinsen zu ignorieren. Ich gebe ihm manchmal echt zu schnell nach, das muss sich in Zukunft echt ändern. "Kannst du bitte aufhören, so dumm zu grinsen?", fragte ich bissig und ging voran. "Du gehst in die falsche Richtung", sagte Jake und musste ein Lachen unterdrücken. Wütend drehte ich um und lief in die andere Richtung. Jake kam mir nach. "Warum bist du denn jetzt wütend?", fragte Jake verwirrt. Tja, das war eine gute Frage, warum war ich denn wütend? Ich seufzte und wandte mich ihm zu. "Ich bin nicht wütend auf dich, sondern auf mich. Tut mir echt leid, dass ich meine Wut an dir auslasse", sagte ich zerknirscht und wollte weitergehen, doch Jake zog mich unmittelbar in eine feste Umarmung. 

"Hör auf, dich zu entschuldigen. Du hast meine kleine Schwester gerettet. Weißt du, wie dankbar ich dir dafür bin?", flüsterte er. Ich schüttelte verzweifelt den Kopf. "Ich war doch erst der Grund dafür, dass sie überhaupt in Gefahr ist, Jake. Ich habe ihn im Wald gesehen, er hatte seine Maske auf und ich dachte zuerst, dass ich mir das nur eingebildet hätte, doch dann sah ich ihn nochmal und... Wenn ich schneller reagiert hätte, wären nicht so viele Menschen verletzt worden oder gestorben", wisperte ich niedergeschlagen. 

Ich teilte ihm nicht mit, dass ich mir mittlerweile sicher war, dass es zwei Täter sind. Wenn ich mir die Erscheinung des Manns ohne Gesicht nicht vorgestellt habe, was auch anscheinend der Fall ist, dann müssen es zwei Täter sein. Die Person, die gestern beim Pinegladefest war, war um einiges älter und korpulenter, während die Person, vor der Jessy und Thomas in Michael Hansons Haus geflüchtet sind, eher schlank und jung wirkte. Es konnte unmöglich die gleiche Person sein. Doch wer waren sie nur?

"Julia, es ist ein Wunder, dass du ihn überhaupt bemerkt hast. Du hast dadurch seinen Plan vereitelt, was insgesamt sehr gut ist, für dich jedoch eher schlecht, da du dich jetzt mitten in seine Schussbahn geworfen hast", sagte Jake besorgt. Als ob es mich interessieren würde, ob ich in Gefahr bin oder nicht. Er sollte sich mal nicht so viel sorgen. "Pass auf Jake, nicht dass du noch graue Haare bekommst", spottete ich, was Jake jedoch nur mit einem Schulterzucken abtat. "Du musst dir echt keine Sorgen um mich machen, ich komme auch gut alleine klar", sagte ich trotzig. Jake griff nach dem Rezept und wollte gerade weitergehen. "Was machst du da?", fragte ich ihn mit misstrauisch zusammengekniffenen Augen. "Ich löse das Rezept ein, du kannst meinetwegen wieder zum Auto gehen. Hier", er warf mir den Autoschlüssel hin, den ich geschickt auffing, und ließ mich alleine verdattert stehen. Ernsthaft? Er kann dieser Diskussion doch nicht so aus dem Weg gehen! 

Trotzdem ging ich wieder zurück zum Auto und setzte mich rein. Dort checkte ich erstmal meine Nachrichten, die jedoch alle ziemlich unwichtig waren, weshalb ich beschloss, sie erst später zu beantworten. Plötzlich klingelte mein Handy, unterdrückte Nummer. War ja klar, dass er - nein, genau genommen sie - sich früher oder später wieder bei mir melden würden. Ich ging ran, ich hatte sowieso keine andere Wahl. Zuerst hörte ich gar nichts, weshalb ich auf meinen Handybildschirm sah. Jake wurde gerade dabei gefilmt, wie er die Apotheke wieder verließ, dann schwenkte die Kamera in eine andere Richtung, in meine. Gebannt starrte ich auf den Bildschirm, bis ich mich umsah, um ausmachen zu können, wo sich Hannahs Entführer befand, doch ich konnte ihn nicht entdecken. "Wie konntest du es nur wagen, meinen Plan zu vereiteln?! Du wirst dafür bezahlen", zischte er wutentbrannt in das Telefon und lachte gespenstisch. Er legte wieder auf, seine Worte und dieses gruselige Lachen hallten in meinem Kopf nach. 

Jake hatte recht, ich hatte mich durch diese Aktion noch mehr in Gefahr gebracht, doch es war mir eigentlich ziemlich egal. Hauptsache, wir finden endlich Hannah und niemand von meinen Freunden stirbt. Hoffentlich lässt er sie jetzt alle in Ruhe. Ich würde nahezu alles dafür tun, damit sie alle wieder in Sicherheit sind. Als Jake nach einiger Zeit immer noch nicht zurückgekommen ist, machte ich mir Sorgen. Was, wenn der Mann ohne Gesicht jetzt auch noch Jake entführt oder sogar... umbringt? Unruhig rutschte ich auf dem Sitz hin und her. Sollte ich nach ihm suchen?

Nach einer halben Ewigkeit kam Jake endlich zurück und ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen. Weder meine Angst wegen dem Anruf noch meine Sorge um ihn. Wir fuhren los und ich betrachtete Jake. Wo war er nur so lange gewesen? Es war eine gute Viertelstunde seit dem Anruf vergangen und man konnte eindeutig sehen, dass er in dem Moment das Gebäude verlassen hatte. Warte, war das vielleicht gar nicht die Apotheke gewesen? Er hatte zwar das Medikament mitgebracht, aber das schließt ja nicht aus, dass er noch woanders gewesen ist. 

"Wo warst du?", platzte es aus mir heraus und ich schlug mir eine Hand vor den Mund. Fuck, habe ich das gerade allen ernstes gefragt? Wie leichtsinnig! Jake sah mich für eine Sekunde schuldbewusst an, dann sah er verwirrt aus. Oh Gott, ich hatte also recht, er war irgendwo anders gewesen und wollte es mir nicht verraten. "Ich war bei der Apotheke, das weißt du doch", meinte Jake nervös und umklammerte mit seinen Händen fest das Lenkrad. Er dachte doch nicht ernsthaft, ich würde es dabei belassen? "Das weiß ich, aber ich wollte wissen, wo du sonst noch warst", präzisierte ich. Als Jake mir nicht antwortete, wurde ich ungeduldig. "Jetzt mal ganz ehrlich Jake, du möchtest, dass ich dir bedingungslos vertraue und dann sagst du mir selber nicht die Wahrheit?" 

Jake seufzte auf. "Ich werde es dir verraten, das verspreche ich dir, nur... noch nicht heute, okay?" Ich bemerkte, dass er das wirklich ernst meinte und nuschelte trotzig: "Meinetwegen." "Gut. Da ich jetzt ehrlich zu dir war, würdest du mir bitte verraten, was dich beschäftigt?", fragte Jake. Na toll, er hat es also bemerkt. "Ich habe mir nur Sorgen um dich gemacht, weil du so lange weg warst", murmelte ich und sah aus dem Fenster. Jake ließ diese Aussage unkommentiert.

𝙳𝚞𝚜𝚔𝚠𝚘𝚘𝚍 ~ 𝚈𝚘𝚞 𝙰𝚛𝚎 𝚃𝚑𝚎 𝙺𝚎𝚢Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt