~XIX~

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Ich wollte Julia ursprünglich ins Krankenhaus bringen, da sie sich im Wald schwer verletzt haben muss und ich mir deswegen furchtbare Sorgen machte. Sie erinnerte mich jedoch daran, dass sie dort keineswegs sicher wäre, weshalb ich beschloss, sie selber zu untersuchen. Ich kannte mich ein wenig mit sowas aus und ich musste sichergehen, dass es nicht zu schlimm ist. Außerdem wollte ich sie zu mir "nach Hause" bringen, damit sie einen Einblick in mein Leben bekam. Als wir dort endlich ankamen, untersuchte ich sorgfältig ihre Wunden. Ihre Platzwunde sah zwar schlimm aus, aber sie war nicht so lang und tief, dass man sie nähen müsste. An ihrem Knöchel konnte ich auch nichts weiter als eine Schwellung feststellen. Ich holte schnell einen Hoodie und eine Jogginghose von mir und gab sie Julia. Sie würden ihr zwar zu groß sein, aber es war immerhin besser als ihre nassen Klamotten.

Während Julia sich im Badezimmer umzog, checkte ich schnell, ob sich irgendetwas verdächtiges getan hat, was allerdings nicht der Fall war. Schließlich drehte ich mich um, um zu sehen, ob Julia schon wieder da war und tatsächlich stand sie vor mir in meinen Klamotten. Sie sahen echt gut an ihr aus. Ich konnte mein Lächeln nicht unterdrücken. "Lass mich raten, ich sehe absolut lächerlich aus", sagte Julia. Wie kann sie nur von sich behaupten, dass sie lächerlich aussah! Sie war die hübscheste Person, der ich jemals begegnet bin. Ich sagte ihr, dass es mir gefällt, was sie mir offensichtlich nicht abkaufte, weshalb sie die Wahrheit von mir verlangte. Und ich sagte ihr auch die Wahrheit, als ich sagte, dass sie wunderschön sei. 

Ich weiß nicht, was dann in mich gefahren ist, aber ich überbrückte die Distanz zu ihr mit wenigen Schritten, umarmte sie und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Als ich merkte, was ich gerade getan hatte, ließ ich sie wieder los, hatte Angst, dass ich sie überrumpelt hätte. Außerdem befürchtete ich, dass ihr ein Nervenzusammenbruch bevorstand, also lud ich Julia zum Essen ein. Als sie fragte, ob das ein Date sei, wusste ich es selber nicht. War es ein Date? Ich wurde rot und stotterte eine Antwort, mir war meine Unsicherheit extrem peinlich. Julia sagte dann, dass ich entscheiden dürfe, wo wir Essen gehen wollen. Und sie lächelte mich an. An ihr hübsches Lächeln würde ich mich wahrscheinlich nie gewöhnen. Ich konnte es mir zumindest nicht vorstellen.

Nach dem Date schwiegen wir größtenteils. Ich war so unsicher und wusste nicht, wie ich mit der ganzen Situation umgehen sollte. Am liebsten würde ich Julia küssen, doch wir kannten uns gerade erst ein paar Stunden. Und ich hatte Angst vor meinen Gefühlen. Es war eben alles so ungewohnt und neu für mich. Als mir bewusst wurde, dass der gemeinsame Abend mit Julia bald vorbei sein würde, durchfuhr mich ein schrecklicher Schmerz. Anders als die Schmerzen, die ich bisher hatte. Ich wollte sie noch nicht jetzt gehen lassen, ich würde sie fragen, ob sie bei mir im Zimmer die Nacht verbringen wollte. Und was, wenn sie nein sagt? Ich war so verdammt nervös, als ich sie schließlich fragte, ich konnte ihr nicht einmal in die Augen sehen. Als sie dann jedoch mit "Ja, gerne" leise antwortete, sah ich sie wieder an. Ihre Wangen waren leicht gerötet, ihre Augen strahlten. Ich konnte nicht anders, ich musste lächeln. Ich war in diesem Moment einfach so verdammt glücklich. Und nach ihrem Gesichtsausdruck zu urteilen, war Julia es auch.

Den restlichen Weg über gingen wir händchenhaltend zurück. Ich dachte in der Zeit darüber nach, was wir sind. Sind wir überhaupt etwas? Waren wir Freunde? Oder doch schon mehr? Ich bin mir sicher, dass ich mich in Julia verliebt hatte. Zwar wusste ich nicht, wie es dazu gekommen ist, aber es ließ sich nicht mehr abstreiten. Sie ist der wichtigste Mensch in meinem Leben, ich liebe sie. Doch ich wusste nicht, was sie für mich empfindet. Empfindet sie das gleiche für mich? So oder so, ich würde es schon irgendwie herausfinden. Ich wollte ihr so gerne sagen, dass ich sie liebe, aber ich hatte Angst, dass sie es nicht hören wollen würde.

Irgendwann war Julia so müde, dass ich sie stützen musste. Als wir dann bei meinem Zimmer ankamen, konnte sie sich vor Müdigkeit kaum noch auf den Beinen halten und ich führte sie zur Couch. "Leg dich ruhig hin, du bist müde, geh schlafen", sagte ich sanft und ging gerade weg, um ihr eine Decke zu holen. Doch sie legte sich nicht hin und murmelte trotzig: "Ich will aber nicht schlafen." Leise lachte ich auf. Ich setzte mich auf die Couchkante und bemerkte: "Du brauchst aber jetzt dringend Schlaf, ruh dich aus." Julia verdrehte die Augen, legte sich aber schlussendlich hin. Ich legte ihr die Decke über und sie lächelte zufrieden. Ich wollte gerade aufstehen, als sie fragte: "Jake?" "Ja?" "Danke." "Wofür?" "Für alles." Und im nächsten Moment war sie auch schon eingeschlafen.

Ich sah ihr noch eine Weile beim Schlafen zu, dann setzte ich mich an meinen Computer und recherchierte über unseren Fall. Wir sind leider kein bisschen vorangekommen und der Mann ohne Gesicht schmiedete weiter seine Pläne. Beinahe wäre Julia wegen ihm draufgegangen. Ich hatte solche Angst, sie zu verlieren. Wenn ich mir das nur vorstelle... Nein, daran wollte ich nicht denken. Ich hatte vor kurzem etwas in Hannahs Cloud gefunden, was erklären könnte, warum Julia in die ganze Sache verwickelt war. Was, wenn es dem Täter in Wirklichkeit nur um Julia ging?

Es fiel mir so schwer, mich zu konzentrieren, dass ich mich schließlich ebenfalls auf die Couch schleppte, mich hinlegte und Julia von hinten umarmte. Ich vergrub mein Gesicht in ihr Haar und lächelte. Ich würde schon eine Lösung finden, wie wir zusammenleben können, wenn sie es wollte. Wenn endlich wieder Normalität in ihr Leben eintritt.

𝙳𝚞𝚜𝚔𝚠𝚘𝚘𝚍 ~ 𝚈𝚘𝚞 𝙰𝚛𝚎 𝚃𝚑𝚎 𝙺𝚎𝚢Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt