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Zwei Wochen später:

Heute sollte die letzte Entscheidung gefällt werden. Die Entscheidung, die bestimmt, ob und wie lange Jake ins Gefängnis muss. Ich war vor knapp einer Woche aus dem Krankenhaus entlassen worden und hatte danach wirklich alles versucht, um Jake zu unterstützen. Lilly sprach nicht mehr mit mir, sondern war wütend, weil Jake jetzt vermutlich ins Gefängnis kommen würde, Hannah wusste nie, wie sie sich in meiner Gegenwart verhalten sollte, da sie ja selber mal in Jake verknallt war, und sie offensichtlich neidisch auf mich war, aber sie war wenigstens so freundlich und hatte einen Kumpel ihres Vaters kontaktiert, welcher Anwalt war und hatte ihn davon überzeugen können, Jake zu vertreten. Wir wussten leider nicht, wie es um die Beweislage aussah, aber die Polizei konnte Jake ja unmöglich ohne Beweise festhalten. Naja, sie hatten schon mal ein Geständnis von Jake, das war eigentlich das größte Problem.

Wieso musste dieser Idiot auch sofort zu solchen Mitteln greifen? Die Polizisten hätten mich auch so gerettet, sonst wären sie schließlich für den Tod eines unschuldigen Mädchens verantwortlich gewesen. Und aus dieser Sache wäre die Polizei nicht mehr herausgekommen. Aber nein, zuerst musste Jake die Polizisten abhören, weil er mir offensichtlich nicht genug vertraute und dachte, dass ich das nicht hinkriegen würde, was dummerweise der Fall gewesen ist, und dann musste er auch noch sofort zur Polizei rennen und sich selbst dort verraten!

Ich zupfte an meinem schwarzen, enganliegenden Kleid herum und sah mich im Spiegel an. Nein, so konnte ich unmöglich im Gerichtssaal erscheinen, das Kleid war viel zu kurz. Rasch zog ich das Kleid aus und warf es zu den anderen Klamotten, die ich schon anprobiert hatte, auf den Haufen. Es konnte doch nicht so schwer sein, etwas halbwegs Passables fürs Gericht zu finden!

Gedankenverloren musterte ich mich im Spiegel, meine Haut war noch immer mit grüngelblichen Flecken übersäht. Die Wunden an meinem linken Arm waren glücklicherweise schon verheilt, sie hinterließen teilweise dennoch noch Narben, welche aber nicht einmal halbwegs so auffällig waren wie die Narbe, die ich an meinem Oberarm hatte. Michael Hanson hatte mich da zwar nur leicht geschnitten, aber die Narbe war dennoch auffällig und dick. Doch das war immer noch gar nichts im Gegensatz zu der fast vollständig verheilten Wunde an meinem Bauch. Mittlerweile spürte ich sie zwar gar nicht mehr, aber sie erinnerte mich an sehr viele schmerzhafte Dinge, die in Duskwood geschehen sind, und sie würde mich wahrscheinlich bis in alle Ewigkeit daran erinnern.

Das leise Klopfen an meiner Tür ließ mich aufschrecken, dann atmete ich erleichtert aus, weil ich erkannte, dass es nur Jessy war. "Hey, ich wollte dich nicht erschrecken", sagte sie leise und schloss die Tür wieder hinter sich. "Schon gut, ich bin nur in letzter zeit generell etwas schreckhaft seit..." Meine Stimme versagte, doch Jessy wusste schon, was ich sagen wollte. "So ging es jedem von uns am Anfang, aber uns kann nichts mehr passieren. Michael Hanson ist tot und kann dir nie wieder etwas antun", flüsterte sie eindringlich, doch sie konnte mich damit keineswegs beruhigen. Ich hatte niemandem von Michaels und meiner Unterhaltung auf dem Dach erzählt, daher konnte Jessy auch unmöglich wissen, dass der Spuk wahrscheinlich nur vorübergehend vorbei war und dass das eigentliche Ziel schon immer nur ich gewesen bin. Amy, Hannah, Richy und ich waren zwar alle am Vorfall beteiligt gewesen, aber alle dienten nur dazu, mich nach Duskwood zu locken.

"Ich habe dir etwas zum Anziehen mitgebracht, ich dachte mir schon, dass du nichts passendes dabei hättest", meinte Jessy schmunzelnd und sah zwischen dem Klamottenhaufen und mir hin und her. Mein Blick fiel auf das dunkelblaue, luftige Langarmshirt, den schwarzen Rock und die schwarze Strumpfhose. "Gib's zu, ich habe dich gerade gerettet", behauptete Jessy lachend, sie wusste nicht, wie richtig sie damit lag. "Oh ja, und wie du mich gerettet hast. Danke", sagte ich lächelnd und nahm die Klamotten entgegen.

Das dunkelblaue Oberteil sah recht schön aus, ich konnte mir aber nicht vorstellen, dass mich Jessy in diesen Rock kriegen würde. Was einfach daran lag, dass ich kein Fan von Röcken bin. Misstrauisch inspizierte ich den Rock, er war eindeutig viel zu kurz. Als ob ich so viel von meinen Oberschenkeln zeigen würde. "Julia, guck nicht so, das ist nicht zu kurz. Das ist genau perfekt, du wirst schon sehen", versicherte mir Jessy, ich zweifelte immer noch. "Wenn du die Sachen nicht anziehen möchtest, musst du dir schnell andere suchen, denn die Gerichtsverhandlung beginnt in zwanzig Minuten", erwähnte Jessy nebenbei. Was, es war schon so spät?! Ich nehme es zurück, es war doch nicht so schwierig, mich in den Rock zu bekommen. Nicht, wenn ich nur noch fünfzehn Minuten Zeit hatte, um mich fertigzumachen.

𝙳𝚞𝚜𝚔𝚠𝚘𝚘𝚍 ~ 𝚈𝚘𝚞 𝙰𝚛𝚎 𝚃𝚑𝚎 𝙺𝚎𝚢Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt