Die nächsten 24 Stunden vergingen wie im Flug. Ich erzählte Lilly, wohin ich gegangen bin, sah mir die Bilder an, die Amy gezeichnet hatte, recherchierte über dissoziative Amnesie (obwohl ich das eigentlich nicht machen wollte, aber ich war doch zu neugierig) und dachte an meine Kindheit zurück. Diese Gedächtnislücke war mir echt nie aufgefallen. Das einzige, was nicht schnell verging, war die Nacht. Wieder plagten mich Albträume, die mich fast die ganze Nacht wachhielten. Jake war nur kurz mal vorbeigekommen, um sicherzugehen, dass ich genug esse. Irgendwie war er in letzter Zeit distanzierter als zuvor und das machte mir fast schon mehr Angst als die Tatsache, dass sich Hannahs Entführer nicht mehr bei mir gemeldet hatte.
Heute war der Tag, an dem das Pinegladefest stattfinden würde. Jessy und Lilly sind schon mittags bei mir vorbeigekommen, da sie anscheinend irgendeinen Plan verfolgten und mich deshalb herausputzten. Sie schleppten mich ins Bad und schmierten mir zigtausend verschiedene Pflegecremes auf meine Haut. Nach einer Stunde hielt ich diese Ungewissheit nicht aus. "Kommt schon Leute, was habt ihr vor? Ich merke doch, dass ihr irgendetwas ausheckt", klagte ich. Beide fingen an zu kichern und flüsterten verschwörerisch: "Unser Plan wird ein großer Erfolg." "Was für ein Plan?", fragte ich verwirrt, ich verstand gar nichts mehr. Die beiden hecken etwas aus, worin ich verwickelt war und sie informierten mich nicht darüber?! "Sagt es mir oder ich werde heute nicht das Zimmer verlassen", stellte ich trotzig das Ultimatum.
Sofort hörten beide mit ihrem Gekicher auf und sahen mich betroffen an. "Das kannst du doch nicht machen, Julia! Du musst unbedingt mitkommen", sagte Lilly und zog einen Flunsch, doch ich blieb dabei. "Nein, ich möchte wissen, was ihr vorhabt. Schließlich gehöre ich zu eurem Plan dazu, da wäre es nur fair, wenn ihr mich einweiht", erwiderte ich. Jessy sah Lilly fragend an und mir wurde bewusst, dass Jessy da nur wegen Lilly mitmachte. Also wandte ich mich direkt an Lilly. "Ich höre?" Lilly schluckte und meinte schließlich: "Zuerst musst du mir versprechen, mitzumachen. Egal, worum es geht." Oh weh, das hörte sich aber gar nicht gut an... "Nein Lilly, entweder weihst du mich ein oder ich bleibe hier, du hast die Wahl!", sagte ich schulterzuckend. Lilly seufzte und gab auf. Gut so, sonst hätten wir noch 10 Stunden diskutiert.
"Wir wollen dich mit Jake verkuppeln!", platzte sie mit der Sprache raus. "Was?! Nicht euer Ernst!", sprach ich meine Gedanken laut aus. Ein bisschen arg laut. "Ach komm schon, Julia. Es sieht sogar ein Blinder, dass ihr beide total ineinander verknallt seid, aber niemand von euch will den ersten Schritt machen", sagte Lilly. "Ihr seid echt durchgeknallt. Ich mach da nicht mit, egal, was ihr im Schilde führt", stellte ich klar. "Komm schon Julia", bettelte nun Jessy. "Du musst auch fast nichts machen. Wir machen dich für heute zu der schönsten Frau der Welt, du gehst zu dem Pinegladefest, verführst Jake und lässt dich ordentlich von ihm flachlegen." Ich wurde knallrot und stammelte: "Oh mein Gott, du hast das gerade nicht laut ausgesprochen, oder? Das du sowas denkst, ist schon schlimm genug, aber es dann auch noch zu sagen..."
"Aber willst du nicht mit ihm zusammen sein?", fragte nun Lilly. "Nein... doch... Ach, ich weiß doch auch nicht, was das zwischen uns ist. Er empfindet nicht dasselbe für mich wie ich für ihn", sagte ich niedergeschlagen. "Also ich sehe das anders", meinte Lilly schulterzuckend. "Du wärst genau die Freundin, die ich mir für meinen großen Halbbruder wünschen würde. Du machst ihn glücklich." "Trotzdem ist euer Plan einfach nur hirnrissig. Er würde auf sowas niemals eingehen und ich würde sowas auch niemals machen." "Warum nicht?", fragte Jessy verwirrt. "Weil... ach, vergiss es, ist nicht so wichtig", winkte ich ab.
Sie konnten ja nicht wissen, dass ich ziemlich schlechte sexuelle Erfahrungen gemacht hatte und nicht wusste, wie ich reagieren würde, wenn ich tatsächlich mein "richtiges" erstes Mal haben würde. So wie ich mich einschätze, würde ich total Panik kriegen und mich zum Affen machen und darauf konnte ich getrost verzichten. "Du hattest noch nie Sex?", fragte Jessy fassungslos. "Zumindest nicht freiwillig", murmelte ich eher für mich selbst. Lilly atmete erschrocken ein. "Aber es war doch nicht..." "Nein, keine Sorge, ihr seid noch rechtzeitig gekommen. Ich möchte ehrlich gesagt nicht darüber reden." "Dann musst du eben gute Erfahrungen sammeln", meinte Jessy. "Und Jake mag dich, wieso solltet ihr es also nicht mal versuchen?" "Weil Jake keine Person für eine feste Beziehung ist? Weil er mich nicht so will, wie ich ihn will? Weil er ständig auf der Flucht ist? Weil er niemals für längere Zeit bei mir bleiben würde? Weil er nur das macht, was er gerade will?....", zählte ich verzweifelt auf.
"Du gibst ihm doch nicht Mal eine Chance", unterbricht mich Lilly. "Ich glaube wirklich, dass du ihm sehr viel bedeutest. Natürlich musst du selber entscheiden, ob du ihm diese Chance geben willst, aber du musst mit ihm ja auch nicht unbedingt heute Nacht ins Bett springen, auch wenn er sicher nichts dagegen hätte", meinte sie zwinkernd. An sich hätte ich ja eigentlich nichts dagegen, aber ich habe einfach furchtbare Angst, dass ich mich vor Jake blamieren könnte oder das er mich eben nicht so mag.
Jessy warf mir irgendetwas entgegen und ich fing es auf. Als ich sah, was das war, wurden meine Augen riesig. "Jessy, ich weiß nicht so recht, ob das eine gute Idee ist...", stotterte ich, während ich auf die Dessous in meiner Hand blickte. "Nur für den Notfall, falls du es dir anders überlegen solltest", versuchte mich Jessy zu beruhigen, doch ich fand das keineswegs beruhigend. "Zieh dich schonmal um, damit wir deine Haare machen und dich schminken können", sagte Lilly aufgeregt.
Seufzend ging in mein Zimmer, um mich in Ruhe umziehen zu können. Ich starrte auf die Dessous und dachte nach. Sollte ich wirklich den ersten Schritt machen? Eigentlich war ich immer eher zurückhaltend und wusste nicht, ob ich mich wirklich trauen würde, den ersten Schritt zu machen. Andererseits wollte ich auch herausfinden, was das zwischen uns ist. Aber ist das die richtige Vorgehensweise? Es wäre an sich besser, ihn einfach zu fragen, aber ob ich mich das trauen würde? Ach scheiß drauf, das entscheidest du dann einfach spontan, dachte ich mir. Außerdem hatte nicht nur ich das zu bestimmen, sondern auch Jake. Ich schlüpfte in die Reizwäsche und zog mir mein Kleid obendrüber. Hinten am Rücken konnte man zwar meinen BH sehen, aber das war mir komplett egal, denn der passte eigentlich voll gut zu dem Kleid.
"Oh mein Gott, Julia. Du siehst ja jetzt schon wunderschön aus", quietschte Jessy entzückt. "Ähm ja, danke", sagte ich wenig überzeugt. Wie sollte ich mich denn hübsch finden, wenn Jessy neben mir steht, die Inkarnation reiner Schönheit? Jessy stupste mich an. "Hey, was ist denn los? Freust du dich denn gar nicht auf heute Abend?", fragte sie mich. Ich räusperte mich. "Doch schon, ach ich weiß doch selber nicht, was mit mir los ist." "Bei dir spielen wohl die Hormone ganz schön verrückt", stellte Jessy fest. Lilly sah währenddessen auf die Uhr. "Wir müssen uns langsam echt beeilen. Wir müssen ja nicht nur dich, sondern auch noch uns fertigmachen. Also Hop, wir machen dir heute noch Locken rein, deine Haare sind so schön lang, da wäre es schade, wenn wir dir eine Hochsteckfrisur machen würden. Ich kümmere mich um deine Haare, Jessy schminkt dich", sagte sie und beide machten sich an die Arbeit.
Nach einer weiteren Stunde war ich soweit. Lilly und Jessy schleiften mich beide vor den Spiegel im Bad und ich betrachtete mein Gesicht erstaunt. Jessy hatte meine Lippen dunkelrot und mir Smokey Eyes geschminkt. Außerdem hat sie mir Rouge aufgetragen und meine Augenringe mit Concealer abgedeckt. Wimperntusche und Eyeliner durften natürlich auch nicht fehlen. Meine Fingernägel hatte Lilly noch dunkelrot angemalt, da sie mit meinen Locken schon fertig gewesen ist, während Jessy noch voll in ihrem Element gewesen ist.
"Seid ihr euch sicher, dass Jake auch kommen wird?", fragte ich nervös. Lilly nickte. "Er wird ganz sicher kommen, ich hab ihn sogar extra nochmal gefragt." Na toll, jetzt bin ich noch nervöser als vorher. Was wird Jake denken, wenn er mich sieht? Wird er denken, dass ich heiß aussehe? Langweilig? Verzweifelt? Naja, verzweifelt werde ich ganz sicher aussehen.
Ich bedankte mich bei Lilly und Jessy und half ihnen dabei, sich selbst fertigzumachen. Am Ende hätten wir alle in einem Musikvideo mitmachen können. Nervös biss ich mir auf meine Unterlippe, bald würde ich Jake wiedersehen. Wird er einen seiner Hoodies tragen oder wieder ein Hemd? Jeans oder Jogginghose? An sich wäre es mir egal, Hauptsache, er ist endlich wieder bei mir, dann würde diese Nervosität auch wieder von mir abfallen.
Um 18 Uhr waren auch Jessy und Lilly fertig und wir machten einige Selfies. Wenn ich hier wieder weggehen werde, werde ich die beiden echt vermissen. Sie sind mir in dieser kurzen Zeit so gute Freunde geworden. Ich würde sie definitiv nochmal besuchen, wenn dieser ganze Spuk ein Ende genommen hat. Nachdem wir genug herumgealbert und Fotos geschossen hatten, verließen wir um 19 Uhr mein Motelzimmer und machten uns auf den Weg zu der Lichtung, bei der das Pinegladefest stattfand.
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𝙳𝚞𝚜𝚔𝚠𝚘𝚘𝚍 ~ 𝚈𝚘𝚞 𝙰𝚛𝚎 𝚃𝚑𝚎 𝙺𝚎𝚢
FanfictionJulia hält es nicht mehr aus. Nach einem verhängnisvollen Anruf lässt sie alles stehen und liegen und fährt mit dem nächsten Zug nach Duskwood, um vor Ort ermitteln zu können. Allerdings hatte sie nicht damit gerechnet, dass ihr Aufenthalt in Duskwo...