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Es war nachts. Leise konnte ich die Regentropfen hören, die noch immer vom Himmel fielen. Obwohl der Mond eigentlich hell leuchten müsste, konnte ich meine Hand kaum vor meinen Augen erkennen, aber mit der Zeit gewöhnten sich meine Augen an die Dunkelheit. Ich sah mich um, doch ich konnte nur Bäume erkennen. Offensichtlich befand ich mich in einem Wald. Neugierig wie ich bin ging ich tiefer in den Wald hinein, die Kälte störte mich in diesem Moment nicht.

Plötzlich hörte ich etwas neben mir rascheln, doch es war nur ein Rabe, der auf einem der Äste des Baums gelandet ist. Er krähte und es lief mir eiskalt den Rücken runter. Außenstehende würden vermutlich denken, dass meine Reaktion total übertrieben ist, doch ich musste an die Legende vom Mann ohne Gesicht denken, in der bei dem toten Jungen Rabenfedern entdeckt wurden und der Vater schließlich aus Rache die Jungen, die an dem Tod seines Sohnes beteiligt waren, und deren Familien kaltblütig umbrachte.

Der Rabe flog weg und ich folgte ihm, bis ich ein schwaches Licht durch die Bäume sah. Der Rabe flog direkt darauf zu und ich näherte mich langsam dem Licht. Vorsichtig lugte ich hinter einem Baum hervor. Vor mir erstreckte sich eine Lichtung, in der Mitte befand sich eine kleine Hütte. Die Lichter in dieser Hütte waren an, das war also das Licht, welches ich vorhin gesehen hatte. Im Inneren des Hauses bewegte sich eine Person, allerdings konnte ich sie nur von hinten sehen. Ich konnte auch nicht erkennen, was die Person da tat.

Schließlich verschwand sie aus meinem Sichtfeld, das Licht blieb weiterhin an. Ich wollte gerade näher an das Haus heran, als ich einen ohrenbetäubenden Schrei hörte. Ich zuckte zusammen, die Tür der Hütte öffnete sich. Vor Schreck erstarrt blieb ich hinter den Baum stehen, weglaufen konnte ich nicht. Wieder hörte ich einen Schrei und mir wurde bewusst, dass es der Schrei eines Menschen war, der Schrei eines Mädchens, einer Frau. Ich sah wieder zur Hütte. Ein Mann und eine junge Frau verließen gerade das Gebäude, die Frau wehrte sich zwar, aber ihr Gegner war zu stark, sodass sie nichts anderes tun konnte als sich von ihm tiefer in den Wald ziehen zu lassen.

Die Frau sah sich hilfesuchend um und da erkannte ich sie. Hannah. Leise folgte ich den beiden tiefer in den Wald, schon bald hielten sie an. Hannah schluchzte und versuchte nun wieder, dem Mann zu entfliehen, doch es war nach wie vor ein aussichtsloser Fall. Verzweifelt sah ich zu, wie der Mann sie an den Baum fesselte und ihr einen Jutesack über den Kopf stülpte. Wieder hörte ich Raben krähen, und zwar ganz in der Nähe. Ich wusste, was nun passieren würde: der Mann würde Hannah umbringen, noch heute Nacht.

Angst und Verzweiflung machten sich in mir breit, wodurch ich wie gelähmt war. Ich konnte mir das nicht ansehen. Leise fing ich an zu Schluchzen und lehnte mich an den Baum. Der Mann hörte dies anscheinend, denn er sah sich um und lauschte. Für einen Moment hatte ich sein Gesicht gesehen oder viel mehr seine Maske: es war der Mann ohne Gesicht. Mein Herz pochte so laut, dass ich befürchtete, es könnte meine Anwesenheit verraten. Nach ein paar Sekunden, die sich wie eine halbe Ewigkeit anfühlten, wendete er sich wieder Hannah zu und ich rannte weg.

Ich weiß, wie feige es von mir war, Hannah alleine zu lassen, aber ich konnte das alles nicht mehr ertragen. Tränen liefen mir übers Gesicht und machten es mir unmöglich, etwas zu erkennen, ich musste weg von diesem Ort, weit weg. Plötzlich blieb ich mit meinem Fuß an einer Wurzel hängen und fiel zu Boden. Ich wollte aufstehen, doch die höllischen Schmerzen in meinem Fuß hinderten mich daran. Alles drehte sich. Trotz meiner Schmerzen im Fuß bemerkte ich einen dumpfen Schmerz an meinem Kopf, der stärker wurde. Verwundert tastete ich nach der schmerzenden Stelle und spürte etwas warmes, klebriges an meiner Hand. Es war Blut.

Schritte näherten sich und ich sah auf, es war der Mann ohne Gesicht. Ich versuchte nochmal aufzustehen, allerdings war mir immer noch verdammt schwindelig und mein Blut breitete sich mit rasender Geschwindigkeit auf dem Waldboden aus. Der Mann ohne Gesicht kam immer noch auf mich zu und ich versuchte instinktiv auf allen vieren zu fliehen, obwohl das natürlich nutzlos war. Es war aussichtslos. Mit dem schwindenden Blut verabschiedete sich auch mein Bewusstsein. Meine Augenlider senkten sich und ich ließ mich erleichtert in die Dunkelheit fallen.

𝙳𝚞𝚜𝚔𝚠𝚘𝚘𝚍 ~ 𝚈𝚘𝚞 𝙰𝚛𝚎 𝚃𝚑𝚎 𝙺𝚎𝚢Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt