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"Michael Hanson ist tot", murmelte ich vor mich hin. "Was?!" Jake fuhr zu mir herum. "Lilly hat gerade eben geschrieben, dass Michael Hanson tot in dem Verhörraum gefunden wurde. Die Polizei geht von Selbstmord aus, doch das glaube ich nicht wirklich. Ich glaube eher, dass sie sich nicht eingestehen wollen, dass ihr Revier doch nicht so sicher ist, wie immer behauptet wird. Jake, ich muss mit Alan Bloomgate reden, nur er kann mir Genaueres dazu sagen!" Jake sah mich total entgeistert an. "Ist das dein Ernst?! Ein Mörder treibt sich auf dem Polizeirevier herum und du willst ihm direkt in die Arme laufen? Hattest du mir nicht erst vor paar Stunden versprochen, dass du dich nicht mehr absichtlich in Gefahr begibst?", zischte er wütend. Ich zuckte zusammen, ich hatte Jake noch nie so verdammt wütend gesehen und die Angst, die mich seit meiner Ankunft in Duskwood begleitete, machte meine Reaktion auch nicht besser. Ich wich vor ihm zurück.

Jake bemerkte dies und versuchte sich wieder zu beruhigen, er wollte mich eigentlich nicht verängstigen. Egal, was ich tue, irgendjemand würde immer in Gefahr sein. Da war es mir lieber, wenn mir etwas passierte anstelle der anderen. Sie hatten das alles nicht verdient, ich vermutlich schon. Warum hätte Hannah oder ihr Entführer sonst eine Nachricht mit meiner Nummer verschickt? Weil ich mit drinnen steckte und meine Deckung aufgeben sollte, was ich auch getan hatte. Ich war jetzt direkt vor Ort und genauso nutzlos wie vorher. Jake war die ganze Zeit unentschlossen, ob er zu mir kommen sollte oder nicht. "Jake, ich habe dich nicht um deine Erlaubnis gefragt, ich kann sowas alleine entscheiden. Ich wollte dich lediglich darüber informieren. Es tut mir leid, aber denkst du allen Ernstes, dass sich der Mörder immer noch auf dem Polizeirevier befindet? Das ist doch mehr als unwahrscheinlich...."

"Julia, du verstehst nicht so ganz, was du da tun willst.", unterbrach mich Jake verzweifelt. "Selbst wenn der Mörder weg sein sollte, hätte er jederzeit wieder die Möglichkeit, in das Revier zu kommen, das hat er doch schon bewiesen. Und außerdem bist du dort nicht diejenige, die die Fragen stellt, sondern die Polizei. Du bist die Verdächtigte, genauso wie ich. Sie werden dir auch Fragen über mich stellen. Ich möchte nicht, dass du in das alles hineingezogen wirst und ich könnte es mir nie verzeihen..." "Hör auf Jake! Wir wissen ja nicht einmal, ob meine Theorie stimmt. Das ist auch einer der Gründe, weshalb ich dorthin gehen muss. Es tut mir leid Jake, aber du kannst mich nicht davon abhalten. Und ich stecke schon längst mitten drin!"

Wütend verließ ich das Motelzimmer und eilte die Treppen herunter. Was bildet er sich nur ein?! Geht es ihm wirklich um meine Sicherheit  oder hat er eigentlich nur Angst, dass ich der Polizei etwas über ihn verraten könnte? Als ob ich sowas jemals tun würde! Ich suchte im Internet die Adresse des Polizeireviers raus und schrieb Alan Bloomgate eine Nachricht.

Ich: Hallo, passt es Ihnen, wenn ich gleich auf die Polizeiwache komme?

Alan Bloomgate: Sie melden sich ja auch mal. Natürlich würde es passen, ich warte auf Sie.

Gut, jetzt hab ich immerhin meinen Besuch angekündigt. 

Auf dem Weg zur Polizeiwache überlegte ich, wie viel ich den Polizisten verraten konnte. Das mit Jake ja auf jeden Fall nicht. Und über unsere Ermittlungen waren sie ja weitgehend informiert. Was wollten sie dann eigentlich von mir? Ich wusste, was ich wollte: neue Informationen über den Fall. Es würde zwar schwierig werden, an diese Informationen zu gelangen, aber das würde ich hoffentlich schon hinbekommen.

Am Eingang des Polizeireviers entdeckte ich Alan Bloomgate, er wartete schon auf mich. Er war etwa Mitte 40, etwas stämmiger als Jake, aber kleiner und hatte sicherlich auch einige Kilo zu viel auf den Rippen. Genauso stellte ich mir immer die Polizisten vor, die den ganzen Tag mit Donut essen und Kaffee trinken auf der Wache verbrachten. Vielleicht taten sie ja auch nichts anderes und kamen deshalb nicht in dem Fall voran.

"Guten Tag, Frau... äh, wie ist eigentlich Ihr Nachname?", fragte Alan. Ernsthaft? Er war nicht einmal in der Lage gewesen, meinen vollständigen Namen herauszufinden. Wow, Jake hatte recht, als er die Polizei aus Duskwood als inkompetent bezeichnete. "Hallo, meinen Namen könnten Sie doch auch selber herausfinden, oder nicht?" "Naja, Sie kommen nicht aus Duskwood und haben noch keine Straftat begangen... Obwohl, das stimmt nicht ganz. Lassen Sie uns doch innen weiterunterhalten." Alan Bloomgate führte mich durch das Gebäude, bis wir an einem Verhörraum ankamen. "Das ist aber nicht der Verhörraum, in dem Michael Hanson ermor... äh tot aufgefunden wurde?", fragte ich scheinheilig. "Nein, der Tatort ist noch gesperrt. Wie kommen Sie auf die Idee, dass er ermordet wurde?" Tja, das war eine gute Frage, ich wusste es ja selbst nicht. So überzeugend wie möglich sagte ich: "Das war reine Intuition, aber anscheinend liege ich ja mit meiner Annahme gar nicht so falsch."

"Vergessen Sie es, ich stelle hier die Fragen. Wir kennen Ihren Ermittlungsstand bis zu dem Zeitpunkt, als Ihre Freunde Thomas und Jessica in das ehemalige Haus von Michael Hanson eingebrochen sind. Wir haben uns das zusammengereimt", meinte Alan Bloomgate, als er meinen verwirrten Gesichtsausdruck wahrnahm. "Wir wissen auch, dass Sie irgendwie in die ganze Sache verwickelt sind, aber genaueres können nur Sie uns sagen. Also: Warum hat Hannah Donfort Ihre Handynummer an ihren Freund weitergegeben? Sie müssen sie ja irgendwoher kennen", mutmaßte er. Ich räusperte mich. "Nein, nicht das ich wüsste. Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals zuvor in Duskwood gewesen zu sein und an Hannah kann ich mich auch nicht erinnern." "Sind Sie sich absolut sicher?" "Ja."

"Okay, könnten Sie mir dann vielleicht verraten, wie ein weltweit gesuchter Hacker in diesen Fall verwickelt ist?" Mist, es ging hier also wirklich um Jake. "Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen. Ich habe keinen Kontakt zu irgendwelchen Hackern." "Leugnen ist nutzlos. Wir wissen, dass Sie mit Jacob zusammenarbeiten. Sie sollten lieber die Wahrheit sagen und sich selbst schützen statt ihn." Mein Herz klopfte laut. Ich wusste nicht, was Jake getan hat, warum er von der Regierung gesucht wird, aber ich wusste, dass ich ihn niemals verraten könnte. Alan Bloomgate versuchte mich, in die Enge zu treiben, jedoch würde ich nicht nachgeben. Stattdessen sagte ich: "Und was tun Sie? Sie belügen alle Einwohner Duskwoods und behaupten, dass Michael Hanson Suizid begangen hätte, nur um nicht zugeben zu müssen, dass Sie versagt haben und jemand in Ihrer Obhut ermordet wurde. Also ich finde, dass Sie erstmal den Menschen die Wahrheit sagen sollten, statt sie in Sicherheit zu wiegen, das haben sie nämlich nicht verdient." Ich stand auf. "Mister Bloomgate, ich bin hier freiwillig hergekommen und werde jetzt gehen. Sie haben keine Beweise gegen mich oder Jacob in der Hand, Sie können mich hier also nicht festhalten. Ich habe Ihnen nichts mehr zu sagen."

Verdattert sah Bloomgate zu, wie ich zur Tür ging und den Raum verließ. Damit hatte er wohl nicht gerechnet. Auf dem Gang stieß ich fast mit einem anderen Polizisten zusammen, der gerade aus dem Raum hinter der Spiegelglas kam. Wütend funkelte ich ihn an und ging zum Ausgang. Ich war kein Stückchen weiter vorangekommen, ich habe nur meine Zeit verschwendet. Ich hatte heute kaum auf die Zeit geachtet, doch ein Blick auf den Himmel sagte mir, dass es bald dunkel werden würde. Wow, wie schnell die Zeit hier vergeht. Eigentlich wollte ich nicht zurück ins Motel, jedoch war es vor allem für junge Frauen gefährlich, so spät noch alleine unterwegs zu sein, noch dazu in einer Stadt wie Duskwood. Ich hoffte, dass Jake mittlerweile wieder in seinem Hinterzimmer wäre, damit ich mich auf das Gespräch mit ihm vorbereiten könnte.

Ich merkte nicht, dass ich verfolgt wurde, dafür war ich einfach zu wütend. Ich merkte es erst, als mich jemand von hinten packte und in eine Seitengasse zog. Erschrocken sah ich mich nach der Person um, konnte jedoch nichts erkennen. Mein Atem ging hektisch, ich versuchte langsam tief ein- und auszuatmen. Nach einer Weile hatten sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt und ich konnte erkennen, wer mich so überrumpelt hatte: Es war der Polizist, in den ich vorhin fast reingelaufen bin.

𝙳𝚞𝚜𝚔𝚠𝚘𝚘𝚍 ~ 𝚈𝚘𝚞 𝙰𝚛𝚎 𝚃𝚑𝚎 𝙺𝚎𝚢Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt