Jake und ich gingen zum Motel, den ganzen Weg über schwieg er. Gedankenversunken lief er neben mir und streichelte mir über den Handrücken. Aber auch ich war mit meinen Gedanken woanders. Ich habe das vorhin zwar echt genossen, doch so langsam setzt mein Verstand wieder ein. Mir war die ganze Sache vorhin irgendwie total unangenehm, ich knutsche normalerweise nicht einfach so mit Personen, die ich erst seit ein paar Stunden kenne und vor allem schlafe ich nicht fast mit ihnen. Was habe ich mir vorhin nur dabei gedacht? Ich habe gar nicht gedacht, das ist ja das Problem, ich habe nur auf ihn reagiert. Aber das ist keine Entschuldigung dafür, dass ich wie ein Alien sein Gesicht abgeschlabbert habe. Oh Gott. Es ist aber idiotisch, dass ich mir jetzt Gedanken darüber mache, er hat es ja auch gewollt... glaube ich.
Was ist das nur zwischen uns? Jake hat noch nicht wirklich etwas dazu gesagt, und ich weiß es nicht. Ich weiß nur, was ich mir wünsche. Aber Wünsche und Realität sind nicht das gleiche, wie ich schon oft feststellen musste. Davon abgesehen lagen zwischen Jakes Wünschen und meinen Welten. Er war sein halbes Leben lang auf der Flucht vor der Regierung und ich wusste nicht einmal, weshalb. Und so wie es aussah, würde ich es auch nie erfahren.
Nach einer Weile registrierte ich, dass Jake lächelte. Ich dachte eigentlich, dass ihn die Sache mit Hannah mehr mitnehmen würde, aber vielleicht unterdrückt er einfach seine Gefühle genauso wie Jessy am Anfang getan hat. Obwohl... das passte einfach nicht zu Jake. Und dennoch sah er glücklich aus...
"An was denkst du gerade?", fragte ich neugierig. Jake wurde ein bisschen rot und antwortete: "Ich habe gerade an dich gedacht." "Oh. Und warum lächelst du dann die ganze Zeit?" Jake dachte kurz nach, und schließlich fing er an zu sprechen. "Ich fühle mich ehrlich gesagt schlecht, dass ich in letzter Zeit so glücklich bin, weil Hannah irgendwo da draußen ist und um ihr Leben kämpft. Und doch hat seit Hannahs Verschwinden die glücklichste Zeit meines Lebens begonnen, nicht weil sie verschwunden ist, sondern weil du einen Fuß in mein Leben gestellt hast und mich um meinen Verstand bringst. Ich sollte versuchen, Hannah zu retten, doch ich kann mich nicht auf den Fall konzentrieren, weil meine Gedanken immer bei dir landen, wenn ich mal kurz unaufmerksam bin." "Es tut mir leid", ich fand es schrecklich, dass ich Jake so sehr ablenkte, dass wir Hannah kaum näher gekommen sind. Wenn sie deshalb sterben würde... ich könnte es mir nicht verzeihen. "Du musst dich nicht dafür entschuldigen", war alles, was er dazu sagte.
Im Motel angekommen wollten Jake und ich gerade hoch in mein Zimmer gehen, als die Empfangsdame meinen Namen rief, meinen falschen Namen. Jake zog nur eine Augenbraue fragend hoch, blieb jedoch gelassen. Die Frau gab mir zwei Briefe. Langsam musste es die Angestellten hier echt nerven, dass alles für mich an diese Adresse geschickt wurde. Schnell bedankte ich mich und ging mit Jake zu meinem Zimmer. Dort angekommen fragte er mich: "Was hast du denn da bekommen?" "Bist du etwa neugierig?", zog ich ihn auf und streckte die Zunge raus. Jake kniff die Augen zusammen. "Nein, ich wusste nur nicht, dass du hier auch Briefe empfängst. Also verrätst du mir nun, was sich in den Briefen befindet?" Ich verdrehte die Augen. "Jake! Ich weiß es doch selber noch nicht, lass mich doch erstmal hier richtig ankommen. Deine Neugier ist ja wirklich kaum auszuhalten." "Okay, wenn du meinst..." "Danke."
Eigentlich müsste ich meine Haare waschen, mit der Platzwunde würde es aber nahezu unmöglich werden. Und von Jake wollte ich mir nicht helfen lassen, er hat mir in den letzten paar Stunden schon genug geholfen. Ich setzte mich an den Tisch und musterte die Briefumschläge. Der eine Brief kam vom Gefängnis, der andere kam mir bekannt vor. Sehr bekannt. Um mich von dem mysteriösen Brief abzulenken, bevor Jake etwas merkte, öffnete ich den Brief vom Gefängnis. Ted Madruga hatte sich mit dem Treffen einverstanden erklärt. Endlich einmal gute Neuigkeiten! Ich konnte Jake wohl kaum mein Vorhaben vorenthalten, also sagte ich es ihm gleich. "Jake? Ich habe einen Brief vom Gefängnis bekommen. Ich darf Ted Madruga besuchen! Das sind endlich gute Neuigkeiten." "Oh ja, das ist es in der Tat. Aber bist du dir sicher, dass ausgerechnet du dahin gehen willst? Ich meine, im Gefängnis ist es sehr gefährlich..." "Jake, ich bin kein kleines Kind mehr, okay? Ich bin erwachsen und kann selbst auf mich aufpassen. Lass mich gehen", sagte ich mit all der Autorität, die ich zustande bringen konnte. Jake schien mit sich zu kämpfen, aber dann seufzte er ergeben und meinte: "Du bist hier sowieso nirgendwo sicher und vielleicht bringt es uns wirklich weiter." "Danke."
Ich musste nun den zweiten Brief öffnen, ob ich wollte oder nicht. Jake sah sich momentan im Zimmer um und war somit abgelenkt. Mit zitternden Händen faltete ich den Brief auf. Nächstes Mal hast du nicht so viel Glück, ich werde dich holen und davor wird das Blut deiner Freunde fließen! Mein Hand vibrierte. Ich wollte gerade nachsehen, wer mir geschrieben hatte, auch wenn ich es mir schon denken konnte, doch in dem Moment fragte Jake: "Woher hast du das?" Er hob die Kette mit der Rabenfeder hoch und beäugte sie misstrauisch. "Die hab ich mal geschenkt bekommen", murmelte ich, nahm sie aus Jakes Hand und legte sie wieder hin. Er inspizierte den Raum weiter. Ich tippte auf die Nachricht, die mir die unbekannte Nummer geschickt hatte, es war wieder ein Link. Ich machte den Ton meines Handys aus, sodass Jake nichts davon mitbekam. Das Video zeigte ein Paar im Partnerlook, wie es händchenhaltend in der Dunkelheit die Straße entlang ging. Es zeigte eindeutig Jake und mich. Er wusste von Jake. Mir wurde schlecht. Wenn er solche Informationen an die Polizei weitergeben würde, wäre Jake verloren. Oh Gott. Eine weitere Nachricht kam an, diesmal handelte es sich um ein Bild. Ein Bild von Jake und mir, als wir beide schliefen. Wie hatten wir das nur nicht bemerken können?
Ich merkte gar nicht, dass Jake seine Inspektion vollendet hatte und näher kam. Deshalb erschrak ich auch furchtbar, als er plötzlich hinter mir stand. Ich bekam einen halben Herzinfarkt. "Julia?", drang Jakes Stimme zu mir durch. Mir war verdammt schlecht, ich glaube, ich muss mich übergeben. Langsam wurde mir schwarz vor Augen. Mein Atem ging schnell und flach, ich steuerte direkt auf eine Panikattacke zu. Ich versuchte, mich zu beruhigen, tief ein- und auszuatmen, doch es half alles nichts. Schließlich fand ich mich in Jakes Armen wieder. Beruhigend redete er auf mich ein, doch ich verstand kein Wort. Ich konzentrierte mich ausschließlich auf den Klang seiner Stimme und ließ meinen Tränen freien Lauf. Er bettete meinen Kopf an seinen Oberkörper und streichelte mir sanft über meine Haare. Nach und nach ging es mir tatsächlich wieder besser und ich beruhigte mich. Als die letzten Tränen versiegten, blickte ich Jake in die Augen und sah, dass auch sein Gesicht feucht war. Hatte er etwa wegen mir geweint? "Danke Jake", stotterte ich, "es tut mir leid." Warum war er überhaupt noch hier?
Es dauerte eine Weile, bis Jake das Wort ergriff. "Julia, was ist los? Du bist komplett verstört, du hattest gerade eine Panikattacke! Sag mir bitte, was los ist!" Ich fing wieder an zu Schluchzen. "Es tut mir leid, Jake. Ich bringe euch alle nur in Gefahr!" "Julia, wovon sprichst du?" Doch ich schüttelte nur den Kopf, ich konnte es ihm nicht sagen. Er hob mein Handy auf, welches auf den Boden gefallen war und entsperrte es. Ich wollte ihn zwar daran hindern, aber dafür war ich zu geschwächt. Er ging in den Messenger und klickte auf die Links und das Foto. Und ich konnte nur tatenlos zusehen. Schließlich sah er mich an. "Julia, das tut mir so leid. Ich konnte ja nicht ahnen, dass er dich auch verfolgte...." Er musste schlucken. "Diese Videos sind verstörend, warum hast du mir nichts davon erzählt?" Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. "Ich konnte es einfach nicht. Ich wollte nicht, dass du dir noch mehr Sorgen um mich machst." Aber jetzt machte er sich noch mehr Sorgen.
Mein Handy vibrierte wieder und ich nahm es Jake aus der Hand, um nachzusehen, wer mir geschrieben hatte. Eine neue Nachricht aus dem Gruppenchat. Ich öffnete ihn. Lilly hatte gerade geschrieben, dass Michael Hanson tot ist!
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𝙳𝚞𝚜𝚔𝚠𝚘𝚘𝚍 ~ 𝚈𝚘𝚞 𝙰𝚛𝚎 𝚃𝚑𝚎 𝙺𝚎𝚢
FanfictionJulia hält es nicht mehr aus. Nach einem verhängnisvollen Anruf lässt sie alles stehen und liegen und fährt mit dem nächsten Zug nach Duskwood, um vor Ort ermitteln zu können. Allerdings hatte sie nicht damit gerechnet, dass ihr Aufenthalt in Duskwo...