Grandiose Neuigkeiten

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„Moment, also nur damit ich das richtig verstehe: der Typ, mit dem du gevögelt hast, ist der Bruder von dem Typen, den du nicht leiden kannst." erläuterte Toni am nächsten Morgen die Ausführung meiner Geschichte, die ich ihm grade erzählt hatte.
„Ganz genau." antwortete ich und legte meinen Kopf auf den Esstisch.
„Unangenehm. Hat es sich wenigstens gelohnt?" er setzte seine erzähl-mir-jedes-schmutzige-Detail-Stimme ein.
„Das tut doch hier gar nichts zur Sache." entgegnete ich genervt.
„Du strahlst jeden Falls mehr. Also so von innen heraus, meine ich."
„Toni!" fuhr ich ihn an und sah zu ihm auf.
„Ist ja gut, Mensch. Reg dich ab." versuchte er mich zu beruhigen. „Also sind wa' mal ehrlich, wie hoch sind die Chancen, dass du den einen oder den anderen jemals wieder siehst?"
„Ich hoffe nicht so hoch." seufzte ich.
„Na siehst du, Schätzchen. Also, genieß es einfach, dass du endlich mal wieder Sex hattest. Das wurde nämlich auch höchste Zeit wenn du mich fragst. Das glich bei dir da unten ja quasi einer 100 Jahre alten Gruft." er sah mich vorwurfsvoll an.
„Oh, Ja sorry, dass ich nicht jeden X-beliebigen Typen aus irgendeinem Club mit nachhause schleife so wie du."
„Dafür musst du dich nicht entschuldigen, es kann nicht jeder so eine 1A Quote haben wie ich." er klopfte sich stolz auf die Schulter und ich verdrehte die Augen.
„Ich werde dann mal zur Arbeit gehen." ich schnappte mir meine Tasche und schlurfte los.
„Rücken grade machen und Brust raus, mein Schatz! Du bist eine starke, wunderschöne Frau." rief mein bester Freund mir hinterher und ich schmunzelte.

Im Büro angekommen kam Sarah, wie von der Tarantel gestochen, auf mich zu gerannt. „Liv, oh mein Gott, Liv!!! Hat Herr Bolters schon mit dir geredet?" fragte sie mich aufgeregt.
„Was? Nein! Warum sollte er? Was ist passiert?" Flashbacks des gestrigen Abends zogen vor meinem inneren Auge entlang. Oh Gott, er weiß es. Ich werde gefeuert. Eindeutig. Ich kann mir direkt einen Karton unter der nächsten Brücke bei all den anderen Pennern reservieren.
„Felix Lobrecht und seine Managerin waren vorhin bei ihm im Büro."
Mir wurde schwummrig. Würde ich gleich in Ohnmacht fallen?
„Was wollten sie?" fragte ich, fast atemlos.
Frau Becker, kommen sie bitte sofort in mein Büro!" rief Herr Bolters aus seiner Tür in meine Richtung.
Die paar Meter zu seinem Büro kamen mir vor wie eine Ewigkeit. Innerlich schaufelte ich mir schon mein eigenes Grab.
„Herr Lobrecht und Frau Staal haben mich vorhin hier in meinem Büro besucht." fing er an, noch bevor ich die Tür hinter mir schloß.
„War alles zu deren Zufriedenheit, gestern Abend?" fragte ich vorsichtig nach und stellte mich schon auf das Schlimmste ein.
„Absolut." antwortete er und ich konnte meinen Ohren nicht trauen.
„Wirklich?" fragte ich etwas zu ungläubig nach.
„Natürlich. Sie sind fantastisch in ihrem Beruf, Frau Becker. Das habe ich nie bezweifelt. Deswegen wundert es mich auch nicht, dass-„ er machte kurz Pause und schüttete sich heißes Wasser in eine Tasse ein. „dass die Frau Staal sie gerne für die gesamte Tour in ihrem Team hätte." beendete er den Satz und meine Kinnlade fiel nach unten.
„Wie bitte?" ich war mir nicht sicher, ob man es sehen konnte, aber mein rechtes Auge fing wie wild an zu zucken.
„Das ist doch fantastisch für sie. So lernen sie auch andere Venues außerhalb von Berlin kennen. Zudem müssen sie sich dann in der nächsten Zeit nicht mit vielen verschiedenen Künstlern arrangieren, sondern nur mit dem Herrn Lobrecht und mit dem scheinen sie ja wundervoll klar gekommen zu sein."
Ach, wirklich?
Ungläubig starrte ich meinen Chef einfach nur an.
„Na jetzt freuen sie sich doch mal ein bisschen, Frau Becker! Das sind doch grandiose Neuigkeiten!"
Oh ja, Juhu!
„Ja, klar. Ich bin grad nur ein bisschen... sprachlos vor lauter Freude." stammelte ich.
„Sie haben ja bis Morgen Zeit, das Ganze zu verarbeiten." freute sich Herr Bolters.
„Morgen?"
„Ab Morgen geht es für sie direkt los auf große Deutschland Tour. Ich gebe ihnen natürlich heute den Tag über frei. Sie müssen bestimmt noch einige Dinge klären und ihre Koffer packen. Ich weiß, das ist alles etwas kurzfristig, aber sie sind ja flink."
Er schob mich quasi aus seinem Büro heraus.
„Achja, noch etwas. Sie sollen heute noch mal kurz im Büro von Frau Staal vorbei kommen, das ist die Adresse." er drückte mir ein Stück Papier in die Hand. „Ich zähle auf sie, Frau Becker." er grinste von einem Ohr zum anderen und schloß die Tür vor meiner Nase.
Was zur Hölle ist da grade passiert?

Noch immer wie in Trance ging ich durch die Straßen Kreuzbergs auf dem Weg zu der Adresse auf dem Zettel, den mir mein Chef in die Hand drückte. Das konnte nie im Leben Felix Idee gewesen sein. Wieso sollte er mich auf seiner ganzen Tour dabei haben wollen? Er mochte mich nicht und das beruhte auf Gegenseitigkeit. Das konnte nur eins bedeuten...
„Lobrecht!" rief ich Julian und Felix zu, die vor der Tür des Büros standen.
„Wen von uns meinst du?" fragte der kleinere Bruder verwirrt.
„Beide." ich ging schnellen Schrittes auf sie zu, schaute mich um und vergewisserte mich, dass sonst niemand da war.
„Wer von euch hatte die dämliche Idee, mich mit auf Tour zu nehmen?" fragte ich und sah beide böse an.
„Ich." Felix zuckte gleichgültig mit den Schultern.
„Warum glaube ich dir das nicht?" fragte ich mit hochgezogener Augenbraue.
„Du machst halt n' guten Job, auch wenn du unausstehlich bist."
„ICH bin unausstehlich? Kennst du das Sprichwort: wie man in den Wald hinein ruft, so schallt es auch wieder heraus?" fragte ich aufgebracht.
„Achso, sorry. Ich wusste nicht, dass man dich erst bumsen muss, damit du freundlich wirst." erwiderte er und zwinkerte mir provozierend zu. Mir blieb eine schlagfertige Antwort im Hals stecken.
Nein. Auf keinen Fall werde ich mit diesem aufgeblasenen Oberarsch durch ganz Deutschland touren. Da kann sich Herr Bolters auf den Kopf stellen.
„Sie müssen Frau Becker sein." eine junge Frau mit dunklen Haaren und freundlichem Gesicht kam aus dem Gebäude neben uns.
„Ja, genau. Die bin ich." antwortete ich kleinlaut in der Hoffnung, dass sie unsere kleine Auseinandersetzung grade nicht gehört hat.
„Kommen sie rein, es gibt noch ein paar Dinge die ich mit ihnen besprechen muss." sie bat mich durch die Tür und ich folgte ihr.
„Setzen sie sich. Möchten sie einen Kaffee?" fragte sie, als sie an einer kleinen Küchenzeile stand und auf den großen Tisch vor mir deutete.
„Ja, gerne." ich setzte mich.
„Also zuerst ein Mal möchte ich, dass wir uns dutzen. Das tun wir alle hier. Ich bin Becci." sie hielt mir die Hand entgegen. „Liv." entgegnete ich und schüttelte ihre Hand.
„Okay, Liv. Felix erzählte mir, dass du gestern tolle Arbeit bei der Organisation und Planung der Venue geleistet hast. Er war richtig begeistert." sie setzte eine Tasse Kaffee vor mir ab und setzte sich neben mich. „Deswegen möchten wir dich für die ganze Tour dabei haben. So können wir sicher sein, dass jeder Auftritt reibungslos ablaufen wird." sie sah mich erwartungsvoll an.
„Ja, naja also das Ding ist-„ fing ich an, doch sie unterbrach mich.
„Natürlich wissen wir, dass das alles sehr kurzfristig für dich ist und mit viel Verzicht einhergeht. Darum zahlen wir dir auch das Doppelte deines jetzigen Gehalts und wir erstatten dir natürlich die Kosten für Unterkunft und Verpflegung, die du während der Tour haben wirst."
„Ich muss nichts selber zahlen?" fragte ich verwirrt.
„Nein, wir kommen für alles auf." versicherte sie mir.
„Wo ist der Haken?" fragte ich und beantwortete mir die Frage sofort im Kopf selber. Wochenlang mit Felix auf Tour zu sein ist der Haken.
„Es gibt keinen. Gute Arbeit muss belohnt werden." freute sich Becci. „Also, bist du dabei?"
Sie sah mich mit einem Hundeblick an, dem man einfach nichts abschlagen konnte.
Ich seufzte. „Bin dabei."
Oh Liv, das wirst du so bereuen. sprach ich mir innerlich zu.

Alles albern (Felix Lobrecht)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt