Bilder im Kopf

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Felix' Sicht

Kawus und ich saßen noch eine Weile an der Bar, ehe auch bei mir die Müdigkeit kickte und ich mich verabschiedete. Julian schien auch nicht wieder zu kommen. Wahrscheinlich war er selber schon besoffen in's Bett gefallen.
Taumelnd betrat ich mein Hotelzimmer. Vor mir auf dem Boden lag mein Koffer, über den ich beinahe gestolpert wäre bei dem Versuch, über ihn zu steigen. Fuck, bin ich betrunken.
Ich streifte mir die Schuhe von den Füßen, schmiss mich auf's Bett, holte mein Handy hervor und öffnete WhatsApp.
„Hör auf mich an zu rufen oder mir zu schreiben. Es ist vorbei, versteh's endlich. Du hast es verkackt." las ich die Nachricht von Melissa, meiner Exfreundin, auf dem Display. Unter ihrer Nachricht stand eine kleine Notiz. Dieser Kontakt hat sie blockiert.
Scheiße.
Ich schmiss mein Handy bei Seite und legte den Kopf auf's Kissen.
3 Jahre. 3 Jahre waren Melissa und ich zusammen gewesen und nun schmiss sie alles weg, wegen eines kleinen Fehlers den ich begangen hatte.
Ja, ich hatte ihr Vertrauen missbraucht und nein, natürlich hatte sie das nicht verdient, aber jeder machte doch mal Fehler, oder? Ich war schließlich auch nur ein Mensch.
Ich erinnerte mich an ihre braunen, lockigen Haare, ihre haselnussbraunen Augen und an ihre wunderschöne, makellose, braune Haut.
Ich seufzte. Plötzlich schoß mir Olivia in den Kopf. Sie sah aus wie sie. War es masochistisch von mir, sie mit auf Tour zu nehmen? Ein wenig. Mochte ich sie? Absolut nicht. Aber sie machte einen guten Job und nur darauf kam es an. Das hatte rein gar nichts damit zutun, dass sie aussah wie Melissa.
Ich drehte mich in meinem Bett hin und her, als ich plötzlich verdächtige Geräusche aus dem Nebenzimmer hörte.
Das ist doch wohl nicht deren Ernst?
Ich drückte mir das Kissen auf die Ohren. Vergeblich.
Mit geschlossenen Augen lag ich auf dem Rücken und hatte keine andere Wahl, als den Geräuschen aus dem Nebenzimmer zu zuhören.
Vor meinem geistigen Auge erschienen plötzlich Bilder. Nicht, wie mein Bruder drüben Olivia wegknallte, nein.
Die Bilder in meinem Kopf zeigten mir, wie ich derjenige war, der sie so zum stöhnen brachte.
Ich riss die Augen auf. Nein, niemals würde ich die anpacken.
Ich schnellte hoch aus dem Bett, zog meine Klamotten aus,  stieg unter die Dusche und lies das eiskalte Wasser meinen Körper herunter laufen. Erst als die Gedanken meinen Kopf vollständig verlassen hatten, verließ ich die Dusche wieder. Ich trocknete mich ab und ging zurück in's Bett.
Ruhe. Endlich war Ruhe.

Am nächsten Morgen klingelte mich mein Wecker unsanft aus meinem rastlosen Schlaf. Ich fühlte mich wie von einem LKW überfahren. Das hatte aber wenig mit dem Alkohol der letzten Nacht zutun. Ich fühlte mich jeden Morgen so, auch wenn ich den Abend vorher nichts getrunken hatte.
Ich zog mir frische Klamotten an, packte mein restliches Zeug zurück in den Koffer und ging schon mal in die Hotellobby.
Kawus saß bereits mit einem Kaffee bewaffnet auf einem der großen Ledersessel.
„Na, hast'n Kater?" fragte er amüsiert.
„Geht. Ist Julian noch nicht hier?" ich sah mich um.
„Hab ihn noch nicht gesehen." antwortete Kawus und zuckte mit den Schultern.
Ich entschied mich dazu, erstmal einen Kaffee zu bestellen und eine rauchen zu gehen.
Vor dem Hotel stand Becci, die sich ebenfalls grade eine Zigarette angezündet hatte.
„Na? Wie läufts mit Liv und der Organisation?" fragte sie neugierig.
„Fantastisch." antwortete ich emotionslos, als ich an meiner Zigarette zog.
„Ich bin so froh, dass wir uns darum endlich keine Sorgen mehr machen müssen. Die Tour wird super, glaub mir." freute sie sich.
Na, wenn sie das sagt.
Wenn man vom Teufel spricht. In dem Moment kam Olivia durch die große Tür nach draußen.
„Guten Morgen." begrüßte sie uns mit so einer dermaßen überheblichen Freundlichkeit, dass ich fast kotzen musste.
„Guten Morgen, Liv." begrüßte Becci sie freundlich. „Na, wie ist es bisher so für dich auf Tour?" fragte sie nach.
„Ich kann mich nicht beschweren." grinste Olivia.
Ohja, das glaube ich dir.
„Nächster Stop ist Nürnberg, wir haben also eine etwas längere Fahrt vor uns. Allerdings ist die Show auch erst morgen, also stresst euch nicht." informierte Becci uns und ich nickte.
„Können wir los?" fragend schaute ich zu Olivia rüber.
„Ja, klar." lächelte sie mich freundlich an. Egal was mein Bruder heute Nacht mit ihr gemacht hat, er sollte es bitte nie wieder tun. Diese gute Laune war ja nicht zum aushalten.
Kurze Zeit später trat auch Julian zu uns und wir verabschiedeten uns bis Nürnberg von Becci und den anderen.
Ich setzte mich an's Steuer meines AMGs und startete den Motor.
„Gar keine Musik, Bruderherz?" wunderte sich Julian auf dem Beifahrersitz neben mir.
„Nee, danke. Bin noch ein bisschen taub von gestern Nacht." erwiderte ich genervt und konnte im Augenwinkel Julians dämliches Grinsen erkennen.
„Ich will euch beide nur daran erinnern, dass ich euer Chef bin und euch jederzeit beide kündigen kann, wenn ich das für richtig halte." machte ich klar und sah durch den Rückspiegel zu Olivia, die mich beschämt ansah.
„Ach komm, du kannst diese Tour ohne uns gar nicht meistern. Du wüsstest nicht mal, in welches Hotel du einchecken musst." amüsierte sich mein Bruder und ich warf ihm einen bösen Blick zu, als wir den Parkplatz des Hotels verließen.

Alles albern (Felix Lobrecht)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt