Reiß dich zusammen

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Nachdem wir die Show mit ein paar technischen Problemen und der ein oder anderen stichelnden Bemerkung gegeneinander beendet hatten, fuhren Felix und ich wieder zurück in's Hotel. Ich schmiss mich direkt auf's Bett und schaltete den TV ein, während er auf direktem Weg im Badezimmer verschwunden war.
„Titanic? Sag mal, geht's dir noch gut?" amüsierte sich Felix, als er frisch geduscht zurück ins Zimmer kam.
„Ist'n Klassiker." verteidigte ich mich. „Außerdem lief der Sender schon, als ich den Fernseher eingeschaltet habe."
„Ich kann mir das nicht geben, man." lachte er und griff nach der Fernbedienung, die neben mir auf dem Bett lag.
„Finger weg!" empört gab ich seiner Hand einen leichten Klaps.
„Samma?! Ich guck' das nicht!" beschwerte er sich.
„Dann geh halt raus." demonstrierte ich und schaute unbeirrt auf den Fernseher vor mir. Felix seufzte, legte sich, mit genügend Abstand, neben mich und tippte auf seinem Handy herum. Immer mal wieder schaute er rüber auf den großen Bildschirm.
„Doch ganz interessant?" fragte ich neckend.
„Absolut nicht." machte er klar und schaute wieder auf den Display seines iPhones. Bis zum Ende des Films schwiegen wir uns an.

Nun wissen sie, dass es einen Mann namens Jack Dawson gab, und dass er mich gerettet hat, in jeder Hinsicht in der ein Mensch von einem anderen nur gerettet werden kann.

Ich sah kurz zu Felix rüber, der tief versunken in den Tiefen Social Medias versunken zu sein schien. Irgendwie hatte auch er mich gerettet. In gewisser Weise. Mit ihm hatte ich mich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder lebendig gefühlt. Begehrt. Geliebt. Egal, welche Dämonen mich nachts wach hielten, ich wusste, dass ich sicher war. Bei ihm. Mit ihm. In seinen Armen.
Ich spürte, wie sich in meinem Hals ein Kloß bildete.
Oh nein.
Ich hatte diesen Film X-Mal gesehen, aber nie nahm mich diese Stelle so mit wie heute. Lag es an meiner, eh schon instabilen, mentalen Verfassung? Mit Sicherheit.
Verdammt, Liv. Reiß dich zusammen!
Ich versuchte, die Tränen, die sich ihren Weg nach oben bahnten, wegzuzwinkern und schniefte einmal leise. Felix Kopf drehte sich in meine Richtung. „Alter, weinst du?"
„Nein." erwiderte ich mit gebrochener Stimme.
„Lüg nich', ick seh das doch."
Ich merkte, wie eine Träne meine Wange runterlief und drehte meinen Kopf zur Seite.
„Och Gottchen." gab er mitleidig von sich und streichelte meinen Arm.
„Nicht anfassen!" pampte ich ihn an und stand aus dem Bett auf.
„Es ist doch nur ein Film." sprach er, vollkommen überfordert mit der Situation.
„Es geht nicht um diesen beschissenen Film!" in diesem Moment konnte ich meine Tränen nicht mehr halten. „Ich.. ich muss hier raus." stammelte ich, schnappte mir meine Jacke und mein Handy und verließ das Zimmer.
Erst als mir die kalte Luft ins Gesicht schlug hatte ich das Gefühl, wieder atmen zu können. Die Straßen wurden noch immer mit Weihnachtslichtern erleuchtet und ich steuerte ziellos die Straße herunter während ich versuchte, mich zu beruhigen. Wut stieg in mir auf. Bis grade eben hatte ich mich und meine Gefühle einigermaßen im Griff und dann sowas. Ich war sauer auf mich. Sauer auf ihn. Sauer auf die ganze Welt. Ich konnte das nicht. Ich konnte ihn nicht den ganzen Tag sehen, mir ein Zimmer mit ihm teilen, mit ihm in einem Bett schlafen. Wie sollte ich das überleben?
Jedes Mal wenn wir uns berührten, und sei es nur versehentlich, sehnten sich mein Herz und mein Körper nach mehr. Ich wollte ihn umarmen, seine Wärme spüren, ihn küssen. Ich wollte ihn lieben. Es zerriss mich innerlich diesem Verlangen nicht nachgeben zu können.
Ich weiß nicht, wie lange ich draußen unterwegs war. Irgendwann hatte ich jegliches Zeitgefühl verloren. Als ich wieder vor dem Hotel ankam, schaute ich kurz auf mein Handy.
WhatsApp Felix Lobrecht: Wo bist du? Ich habe dich überall gesucht. Mache mir Sorgen. Melde dich, bitte.
Es war wirklich nicht fair von mir gewesen, einfach zu verschwinden. Er war sichtlich überfordert mit meinem Gefühlsausbruch und ich verstand, weshalb er sich Sorgen machte.
Ich ging zurück in unser Zimmer und öffnete leise die Tür. Der Fernseher lief noch und im flackernden Bildschirmlicht erkannte ich, dass Felix auf dem Bett eingeschlafen war.
Schleichend ging ich in's Bad, zog mir meine Klamotten aus und mein Schlafshirt an. Dann legte ich mich zu ihm in's Bett, machte den Fernseher aus und lauschte seinem lauten Atmen. Es war verrückt, wie sehr mich das immer wieder beruhigte. Eigentlich hasste ich es, wenn jemand laut atmete oder gar schnarchte. Bei Felix war das von Anfang an kein Problem gewesen, ganz im Gegenteil. Wenn ich ohne ihn schlief, konnte ich meist stundenlang nicht einschlafen, weil es mir so fehlte.
Vorsichtig rutschte ich näher an ihn heran, drehte mich zu ihm und legte meinen Arm um ihn. Ich wollte nur einmal kurz seine Wärme spüren. Für einen winzig kleinen Moment.
Plötzlich legte er seinen Arm über meinen, hielt ihn ganz fest und drückte ihn näher an sich. „Du bist wieder da." murmelte er kaum hörbar.
„Bin ich." erwiderte ich flüsternd.
Zufrieden grummelnd drückte er seinen Körper näher an mich und schlief sofort wieder ein. Ich lag noch eine Weile wach da. Wie sollte das alles weiter gehen? Ich hatte keine Ahnung. Jetzt grade wollte ich einfach nur seine Nähe und seinen Duft, welcher mir in die Nase stieg, genießen. War das falsch? Möglich. Aber ich war zu müde, zu erschöpft um mir Gedanken darüber zu machen. Das hin und her in meinem Kopf machte mich wahnsinnig.

Alles albern (Felix Lobrecht)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt