Unsere Tradition

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„Ich bin Zuhause!" rief ich, als ich die Tür meiner Wohnung aufschloss. 6 Wochen war ich unterwegs gewesen und freute mich auf ein paar Tage Ruhe und Entspannung über die Weihnachtstage, ehe es danach mit der Tour weiter ging.
„Toni???" Ich stellte meine beiden Koffer im Flur ab und ging in's Wohnzimmer. Kein Toni zu sehen. Wahrscheinlich war er noch arbeiten oder bei einer seiner zahlreichen Liebschaften. Ich ließ mir einen Kaffee ein, setzte mich an den Esstisch und sah mich um. In unserer Wohnung hing noch keine einzige Lichterkette, geschweige denn der Baum wurde schon aufgestellt.
Ich hörte, wie sich die Haustür öffnete. „Liv???"
„Warum ist hier noch nicht geschmückt?" überfiel ich ihn im Flur.
„Hallo erstmal." lachte Toni. „Ich wollte auf dich warten und mit dir zusammen schmücken. Ich hatte schon Angst, du würdest Weihnachten dieses Jahr absagen und mit deinem Stecher weiter durch Deutschland reisen."
„Wir reisen nicht, wir touren." berichtigte ich ihn. „Aber natürlich nicht über Weihnachten."
„Also steht unser Date am 1. Weihnachtstag noch?"
„Natürlich. Das ist doch Tradition." ich ging auf ihn zu und gab ihm eine dicke Umarmung.
„Schön, dass du wieder zuhause bist." freute er sich. „Wo ist denn der Lobinator?" er wackelte mit den Augenbrauen auf und ab.
„Nenn' ihn nicht so." lachte ich. „Er ist Zuhause. Wir müssen ja nicht 24/7 aufeinander hocken."
„Was ist das jetzt eigentlich zwischen euch?" fragte Toni, als wir uns an den Esstisch setzten. „Seid ihr zusammen?"
„Nein!" entgegnete ich, ein bisschen zu schnell. „Naja, keine Ahnung. Wir haben in den letzten Wochen jede freie Minute miteinander verbracht. Am Ende hat Julian uns sogar nur noch ein Zimmer zusammen gebucht, weil mein Zimmer sowieso immer leer war. Und wir hatten verdammt viel Sex..." meine Gedanken schweiften ab und Toni schnipste vor meinem Gesicht herum. „Erde an Liv."
„Hm? Ahja, sorry." Ich schüttelte kurz meinen Kopf. „Aber wir haben jetzt nicht darüber geredet, was wir sind."
„Willst du denn mit ihm zusammen sein? So richtig offiziell?" fragte er und sah mich ungläubig an. Ich zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht."
Toni verdrehte die Augen. „Du und deine Bindungsängste. Dir ist aber schon klar, dass er dich auch in dem Stadium verletzen kann, in dem ihr jetzt steckt, oder? Hat er denn noch andere Weiber am Start?"
„Ich glaube nicht."
„Glauben kannst du in der Kirche, Schätzchen. Ich würde es wissen wollen."
„Weißt du, jetzt grade möchte ich das einfach nur genießen. Was auch immer „das" ist. Es wird sich schon alles so fügen, wie es soll." mit einem zufriedenen Lächeln sah ich ihn an und er hob skeptisch eine Augenbraue.
„Na gut. Ich nehme dir diesen spirituellen Bullshit zwar nicht ab, aber diese Liv ist mir immer noch lieber als das negative Wrack, dass hier vor ein paar Wochen noch vor mir stand."

Nachdem wir unseren Kaffee ausgetrunken hatten machten wir uns daran, die Wohnung zu schmücken. Ich kümmerte mich um unseren alten, aber immer noch sehr gut aussehenden, künstlichen Weihnachtsbaum, hing rote und goldene Kugeln und eine lange Lichterkette daran während Toni die Lichterketten an die Fenster hing und den Adventskranz bestückte. Im Hintergrund liefen, was auch sonst, natürlich Weihnachtslieder.
„Wir müssen dringend noch Kekse backen." fiel mir ein, während ich die Lichterkette im Baum positionierte.
„Ich habe schon alle Zutaten hier. Wir können gleich anfangen, wenn du willst." entgegnete mir Toni.
„Auf jeden Fall." glücklich tanzte ich um den Baum herum, als mein Handy plötzlich klingelte.
Felix Lobrecht ruft an.
„Hallo?" rief ich durch die laute Musik in den Lautsprecher und deutete Toni, dass er diese ein bisschen leiser drehen sollte.
„Hey, wo bist du?" fragte Felix am anderen Ende der Leitung.
„Zuhause, warum?" erwiderte ich.
„Mir fällt alleine Zuhause die Decke auf den Kopf. Kann ich vorbei kommen?"
„Klar. Aber wir wollten gleich Kekse backen." ich warf Toni einen entschuldigenden Blick zu. „Also wenn du nichts gegen eine Weihnachtsbäckerei hast..."
„Du wolltest mir doch den Weihnachtszauber näher bringen, oder nicht?" sprach er amüsiert.
„Stimmt." erwiderte ich. „Dann komm vorbei."
„Bis gleich dann." antwortete er und legte auf.
„Was soll das denn werden?" fragte Toni ein wenig genervt. „Das ist UNSERE Tradition."
„Hey, viele Hände, schnelles Ende, oder wie sagt man so schön?" sprach ich vorsichtig enthusiastisch, aber ich erntete nur einen bösen Blick. „Jetzt guck mich doch nicht so an. Das wird bestimmt lustig. Unsere Weihnachtsfilm-heiße-Schokolade-Tradition machen wir nur zu zweit, versprochen."
„Na gut." antwortete er zögerlich. „Aber ich verziere die Kekse. Ihr Heteros seid dafür nicht gemacht."
„Ist in Ordnung." lachte ich.

Alles albern (Felix Lobrecht)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt