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Die letzten Tage habe ich nicht mehr mit Louis gesprochen. Lediglich von Mum weiß ich, dass Jay sich freigenommen hat und jede Minute mit ihrem Sohn verbringt.

Ein beängstigend großer Teil in mir möchte in diesem Augenblick genau das Gleiche: Jede kostbare Sekunde bei Louis sein.

Doch da ist noch ein anderer Teil in mir, ein kleinerer, der so weit wie möglich weg von Louis möchte. Der ihn am liebsten aus meinem Herzen verbannen möchte. Der Angst hat. Angst vor dem Tag, an dem Louis nicht mehr hier sein wird.

Ich wusste, dass Louis nicht mehr so viel Zeit auf dieser Erde hat, wie andere Menschen in seinem Alter, doch trotzdem hat sich dieser Gedanke immer so weit entfernt angefühlt. Als würde der Tag niemals kommen. Und nun ist er greifbar nah und hat mich völlig aus der Bahn geworfen. Hat meine so liebevoll aufgebaute Welt mit ihm erschüttert und in Scherben liegend zurückgelassen. Scherben, die nur ein Mensch auf dieser Welt wieder zusammensetzen könnte. Doch dieser Mensch ist nicht mehr lange auf dieser Welt.

Ich unterdrücke die erneut aufsteigenden Tränen und presse die Lippen aufeinander. Das Klingeln an der Haustür durchbricht die Stille, die seit Tagen in meinem Leben herrscht. Doch das Geräusch dringt nicht vollständig zu mir hindurch. Ich sitze weiterhin auf meinem Bett und starre Löcher in die Luft.

Es klopft an meiner Zimmertür und aus den Augenwinkeln nehme ich wahr, wie eine Person mein Zimmer betritt.

„Mum, bitte. Ich möchte gerade alleine sein..." Meine Stimme ist kratzig und hört sich seltsam fremd in meinen Ohren an. „Vielleicht solltest du gerade aber nicht alleine sein." Ich drehe meinen Kopf ruckartig zur Tür. Das ist nicht die Stimme meiner Mutter. Im Türrahmen lehnt Andy, ein trauriges Lächeln auf den Lippen. „Darf ich reinkommen?"

Ich nicke und Andy schließt die Tür hinter sich, bevor er sich langsam zu mir aufs Bett setzt. Er sieht sich um und sein Blick bleibt an dem Polaroid hängen, das am Kopfende meines Bettes an der Wand hängt. Es zeigt Louis und mich.

„Schönes Zimmer." „Deswegen bist du nicht hier." Andy nickt langsam, sein Blick noch immer auf das Bild von Louis und mir gerichtet. „Louis war vor ein paar Tagen bei mir." Andy räuspert sich und mustert mich aus seinen aufmerksamen blauen Augen. „Ich dachte, du möchtest vielleicht reden."

Ich schüttele den Kopf. „Ich will nicht reden." „Okay." Er nickt und streicht sich eine blonde Strähne aus der Stirn. „Möchtest du etwas anderes? Schreien, auf jemanden einschlagen, schweigen...?" Meine Mundwinkel wandern ein klitzekleines bisschen in die Höhe, bevor ich schnell wieder eine undurchdringliche Miene aufsetze. „Hab' ich schon."

Andys Blick fällt auf meinen Handrücken, der noch von den Schlägen auf den Boden zeugt. „Und wer war der Arme, der es aushalten musste?", hakt Andy vorsichtig nach und lächelt mich sanft an. „Der Boden." Ein Schmunzeln wandert über Andys Gesicht, bevor wir in Schweigen verfallen.

Und überraschenderweise stört mich Andys Anwesenheit neben mir keineswegs. Ganz im Gegenteil. Obwohl ich die letzten Tage, außer ab und an mit Mum, mit niemandem geredet habe und auch nicht das Bedürfnis hatte, unter Menschen zu gehen, finde ich Andys Anwesenheit nun angenehm. Er strahlt unglaubliche Ruhe und gleichzeitig Zuversicht aus.

Ich streiche mir eine Strähne aus der Stirn und räuspere mich dann. „Ich wusste immer, worauf ich mich einlasse...ist mein Verhalten jetzt gerade nicht total unfair gegenüber Louis?" Andy schüttelt den Kopf, lässt sich aber Zeit mit seiner Antwort.

„Dein Verhalten ist total verständlich, Harry. Du gehst auf Abstand. Das ist bis zu einem gewissen Grad auch völlig okay und keineswegs unfair gegenüber Louis. Auch wenn du wusstest, worauf du dich mit Louis als Freund einlässt, heißt es nicht, dass du jetzt in jeder Situation wissen musst, wie du dich zu verhalten hast. Zwischen dem Wissen, dass man etwas erleben wird und dem wirklichen Erleben liegen große Unterschiede. Niemand erwartet von dir, dass du diese Situation perfekt zu händeln weißt. Ganz besonders nicht Louis."

Den Sternen so nah - Larry StylinsonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt