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drei Jahre später

Ein guter Freund hat mir mal Folgendes erzählt: Im Leben sind wir dazu verdammt, immer in die gleiche Richtung zu gehen. Vorwärts. Wir können die Zeit weder anhalten, noch zurückspulen. Wir müssen uns ihr beugen und mitlaufen. Egal, wie schwer das auch sein mag.
Und in den letzten drei Jahren war dies mehr als nur schwer. Es kommt mir manchmal so vor, als würde die Zeit nur ganz langsam vergehen. Doch gleichzeitig rinnt sie mir durch die Finger.

Irgendwie habe ich es in den letzten Monaten geschafft, zu überleben. Sogar mehr als das. Ich habe in ganz kleinen Schritten angefangen, wieder zu leben. Wieder schönes in der Welt zu entdecken. Wieder zu lieben. Doch besonders letzteres war ein langer und steiniger Weg und es hat Monate, Jahre gedauert, bis ich ohne Schuldgefühle gegenüber Louis diese drei so bedeutungsvollen Worte sagen konnte. Ich liebe dich. Doch ich habe es geschafft. Und ich weiß, solange ich an Louis denke, wird er nie weg sein. Und er wird mir niemals böse sein. Er hat es sich genau so gewünscht.

Wie oft ich an Louis denke, das liegt ganz in meiner Hand. In manchen Wochen, da denke ich jeden Tag an ihn. In anderen fällt es mir einfach, in dem Moment zu leben und keine Gedanken an die Vergangenheit zu verlieren.
Doch das ist okay.

Das ist ein Satz, den ich in den letzten drei Jahren so unglaublich oft gehört habe. Am allermeisten von meinem Freund. Zum Beispiel, als ich mir das Tattoo auf meinem Handgelenk habe stechen lassen. Ein Tau, das eine acht bildet, dessen Enden jedoch an meinem Handgelenk nicht miteinander verbunden sind. Dieses Tattoo ist Louis gewidmet.
Aber ich habe diese Worte auch zu hören bekommen, als ich noch nicht in der Lage war, die Ich liebe dich's zu erwidern.

Manchmal da frage ich mich, womit ich es verdient habe, neben Louis noch so einen wundervollen Menschen in meinem Leben gefunden zu haben. Doch darauf habe ich bis jetzt noch keine Antwort gefunden.
Nachdem ich kurz nach Louis' Beerdigung die ersten kleinen Zettelchen gefunden habe, habe ich erfahren, dass auch Niall, Liam und Zayn Briefe bekommen habe. Und auch seiner Mutter hat Louis etwas hinterlassen.

Und natürliche meinem Freund. Zwar wurde diesem schon im Krankenhaus von Louis ein Auftrag für die Zeit, in der er selbst nicht mehr da ist, hinterlassen, doch auch Andy hat noch einen Brief bekommen. In den letzten Monate habe ich oft darüber nachgedacht, ob Louis früher als ich über meine eigenen Gefühle Bescheid wusste. Über meine Gefühle für Andy.

Wir beide sind unheimlich glücklich zusammen, auch wenn es mal ein bisschen kracht. Danach haben wir uns nur umso lieber. Andy weiß von Louis. Und er akzeptiert, vielmehr unterstützt er, dass dieser immer einen kleinen Teil in meinem Herzen behält. Dafür liebe ich Andy. Aber das ist natürlich nicht der einzige Grund, nur einer von vielen. Einer, der mir viel bedeutet und für den ich sehr dankbar bin.

Vor knapp einem Monat sind wir zusammen in eine kleine Wohnung gezogen. Und auf dem Weg genau dahin befinde ich mich gerade. Als ich vor der Tür stehe und klingele, überrollt mich eine kleine Welle Nervosität, doch Andy, der amüsiert, „Schon wieder den Schlüssel vergessen, Haz?", grinst, noch bevor er die Tür ganz geöffnet hat, nimmt mir diese sogleich wieder. Ich nicke schuldbewusst und genieße den Anblick des wie in Trance wirkenden Andys vor mir.

Er starrt auf meine Haare und scheint vergessen zu haben, wie man atmet. Kichernd stupse ich gegen sein Kinn und hole meinen Freund damit zurück. Er schließt den Mund und schüttelt den Kopf. „Harry..." „So lautet mein Name", grinse ich und fahre mir durch die kurzen Locken. „Du wolltest sie dir doch nicht abschneiden."

Ich nicke. Louis hat meine Haare geliebt. Und ich habe ihn geliebt. Darum habe ich es nie über mich gebracht, meine Haare abzuschneiden. Jedenfalls bis heute morgen...

„Gerade heute?", fragt Andy mich und ich zucke mit den Schultern. Natürlich weiß ich, dass heute Louis' dritter Todestag ist, doch es war an der Zeit. Und es hat sich einfach richtig angefühlt. So als wäre ich ein kleines bisschen mehr ich selbst geworden.

„Du siehst gut aus", meint Andy nun und zieht mich zu sich, um mir einen Kuss auf die Lippen zu drücken. Lächelnd schließe ich die Augen und lehne mich gegen ihn.

Einige Stunden später machen Andy und ich uns auf den Weg zum Friedhof. Natürlich statten wir Louis an diesem Tag einen Besuch ab. Am Grab treffen wir Jay. Wir unterhalten uns kurz, bevor sie sich auf den Weg nach Hause macht. Ich hocke mich ans Grab, während Andy etwas abseits wartet und mir meine Privatsphäre gibt.

Ich rede mit Louis, erzähle ihm von meiner Woche, meinem Friseurbesuch und allem möglichen anderen Kram. Ich sitze oft hier am Grab und rede mit ihm. Es tut mir gut.

Als ich wieder aufstehe, löst sich eine kleine Träne aus meinem Auge und rollt über meine Wange. Ich gehe zu Andy, der mich wortlos in die Arme nimmt. Die Träne tropft von meinem Kinn auf den Rasen. Andy drückt mich enger an sich und ich schließe die Augen.

In Gedanken wiederhole ich immer wieder Andys Worte: Tag für Tag.

You can do it day by day...

(869 Wörter)

Den Sternen so nah - Larry StylinsonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt