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Ich halte Louis' zitternden Körper in den Armen und nehme die Welt um mich herum kaum wahr. Wie durch Watte dringt ein entferntes Martinshorn an mein Ohr. Die Gestalten, die bis eben auf der Bank saßen, kommen herübergestürmt. Niall, Liam und Zayn. Mit geröteten Wangen und verwuschelten Haaren. Doch mein Kopf stellt keine weiteren Überlegungen an. Meine Aufmerksamkeit gilt einzig und alleine Louis in meinen Armen.

Er hat aufgehört, Blut zu spucken, und klammert sich kraftlos an mein T-Shirt. Mein Mund öffnet sich, ich möchte etwas sagen. Irgendwas, doch kein einziger Ton verlässt meinen Mund. Auch Louis bleibt stumm. Wir gucken uns in die Augen und sprechen kein Wort. Sein Blick bohrt sich in meinen und ich erkenne die Angst darin. Und ich weiß, dass Louis diese auch in meinen Augen finden wird.

Ich hebe meine Hand und streiche ihm über die Wange. Seine Haut ist viel zu kalt. Wir schauen uns weiterhin in die Augen und klammern uns an den jeweils anderen. Versuchen einander Halt zu geben, den wir beide nicht haben. Unsere gemeinsame Welt, die nur uns beiden gehört, beginnt zu zerbrechen. Die schützende Blase um uns wird löchrig und bricht schließlich scheppernd ineinander zusammen. Kleine Splitter übersähen den Boden, der von Rissen gezackt wird.

Ein weiteres Scheppern. Diesmal in der wirklichen Welt. In der Welt, in der Louis immer schlapper in meinen Armen hängt und eine gelbe Trage herangeschoben wird. In der Sanitäter in ihren grellen Uniformjacken um uns herumwuseln und Louis von mir entreißen wollen. Seine Hand krallt sich in mein T-Shirt und ich ziehe ihn enger zu mir.

„Nein", flüstere ich leise. „Lasst ihn bei mir." Eine Sanitäterin redet auf mich ein. Ich kann sehen, wie sich ihre Lippen bewegen, doch kein einziger Ton dringt an mein Ohr. Das Blaulicht des Krankenwagens flackert über ihr Gesicht.

„Harry." Diese Stimme durchbricht die Stille und erreicht mich. Andy steht neben mir und legt seine Hand vorsichtig auf meine Schulter. „Louis muss dringend ins Krankenhaus." Ich weiß. Aber ich möchte ihn nicht gehen lassen. Ich habe Angst, dass er nicht wiederkommt. Dass er, wenn er einmal weg ist, nie wieder da sein wird. Dass ihn dieser Krankenwagen nicht nur weg von mir, sondern auch weg von dieser Welt bringen wird. Für immer.

„Wir fahren ihnen direkt hinterher, Harry." Andys Stimme ist voller Verständnis und ich löse meinen Griff um Louis. Andy nimmt Louis' Hand in seine und löst seinen klammernden Griff von meinem T-Shirt. Er ist kaum noch bei Bewusstsein. Die Sanitäterin stützt Louis, bis ein Kollege dabei hilft, ihn auf die Trage zu heben. Er wird mit einem Gurt angeschnallt und öffnet flatternd seine Augen. Sein Blick findet augenblicklich meinen.

Blau trifft auf grün.

Bis er in den Krankenwagen geschoben wird und die Tür zuknallt. Plötzlich fühle ich mich unheimlich leer und schwach und lasse mich zu Boden sinken. Andy ist sofort bei mir und nimmt mich in den Arm. „I-ich habe ihm nicht gesagt, dass ich ihn liebe." Meine Stimme hört sich fremd und gleichzeitig doch so vertraut an.

„Du wirst ihn wiedersehen, Harry. Wir alle werden ihn wiedersehen." Ich lehne mich gegen Andy. „Versprichst du es mir?" Andy schluckt. Seine Augen haben einen traurigen und wehmütigen Schimmer angenommen. „Ich wünschte, ich könnte es."

Ich schließe die Augen und atme zittrig ein und aus. Andys Arme lösen sich von mir und im nächsten Augenblick wird mir eine Jacke über die Schultern gehängt. Ich habe gar nicht bemerkt, wie kalt es mittlerweile ist und wie stark meine Hände zittern. Dankbar kuschele ich mich in den warmen Stoff.

„Lass uns ins Krankenhaus fahren." Ich nicke, lasse meine Augen jedoch weiterhin geschlossen. Wenn ich sie öffne, dann muss ich der harten und schmerzhaften Realität ins Auge blicken. Und dafür bin ich noch nicht bereit. Ich will nicht das Blut auf dem grauen Asphalt sehen. Den Krankenwagen, wie er mit Blaulicht den Parkplatz verlässt. Ich will mir nicht vorstellen, wie Louis auf dieser Trage festgeschnallt darin gefangen ist und sich mit jeder Sekunde, die verstreicht, weiter von mir entfernt. Bis ich ihn irgendwann nicht mehr erreichen kann. Und es auch nie wieder können werde.

Den Sternen so nah - Larry StylinsonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt