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Egal, wie sehr ich meinen Kopf durchforste, die Erinnerung an Louis' Beerdigung ist so gut wie nicht vorhanden. Ich kann mich lediglich daran erinnern, dass sein Vater da war und dass Jay und meine Mutter mit mir gemeinsam diesen schrecklichen Tag verbracht haben.

Andy war auch da, und Niall, Liam und Zayn natürlich auch, doch an mehr kann ich mich nicht erinnern. Irgendwer hat eine Rede gehalten. Louis sei jetzt im Himmel, welchen er immer so sehr geliebt hatte. Jay hatte mich gefragt, ob ich auch ein paar Worte sagen möchte. Ich habe abgelehnt. Ein paar trostlose Worte wären Louis nicht gerecht geworden, finde ich. Egal, was ich gesagt hätte, es wäre Louis nicht gerecht geworden. Also habe ich gar nichts gesagt. Stattdessen richte ich jeden Tag im Privaten meine Worte an Louis. Damit er weiß, dass ich ihn hier unten nicht vergesse. Dass ich eines Tages zu ihm kommen werde.

Doch bis dahin, lebe ich hier mein Leben. Der Job in Zayns Fotostudio hilft mir, mich abzulenken und ganz neue schöne Seiten des Lebens kennenzulernen. Auch wenn ich mich noch immer so gut es geht vor den Paarshootings drücke. Viel lieber übernehme ich die Familien.
Ihre Liebe zueinander, die auf den Bilder so sichtbar wird, berührt mein kaltes Herz und schenkt mir einen Funken Wärme.

So auch das heutige Shooting. Es verlief ohne Komplikationen und ich steige zufrieden ins Auto. Dort checke ich noch einmal schnell, dass ich sowohl Kamera als auch die Ersatzakkus wieder dabei habe und nichts an der Location verloren gegangen ist. Dabei fällt mir ein vertrocknetes Blatt in der Kamerataschen auf und ich seufze leise. Dieser verfluchte Winter. Ich lege die Kamera und die Akkus vorsichtig auf den Beifahrersitz und schüttele die Tasche durch die offene Fahrertür aus. Einige weitere Blätter, die beim Shooting hineingefallen sein müssen, segeln zu Boden.

Dazwischen ein zusammengefalteter weißer Zettel. Stutzig beuge ich mich nach draußen und fische nach dem Zettel. Ich habe nie irgendeinen Zettel in meine Kamerataschen gelegt. Vielleicht ist er von Zayn. Doch schon während ich ihn auseinander falte, fällt mir die Handschrift ins Augen. Der Zettel ist nicht von Zayn.

Aber was macht dieser Zettel von Louis in meiner Kamerataschen? Und vor allem, wann hat er ihn dort platziert? Ich falte ihn langsam auf und sehe einen einzigen Satz darauf stehen.

Schalte deinen Kopf mal für eine Sekunde aus und höre auf dein Herz, Haz.

Unverkennbar Louis' Wortlaut. Meine Mundwinkel biegen sich ein klein wenig in die Höhe, als ich mich an die unzähligen Momente erinnere, in denen Louis mir ähnliches bereits sagte. Meistens ging es um meine Zukunft.

Und plötzlich weiß ich, warum Louis diesen Zettel in meiner Tasche platziert hat. Ich schnappe mir mein Handy und öffne die Seite der Universität hier in Doncaster. Wenige Minuten später habe ich mich für das nächste Semester eingeschrieben und darf mich als zukünftiger Fotografiestudent bezeichnen.

Ich lehne den Kopf gegen die Rückenlehne des Fahrersitzes und lache leise. „Was mache ich hier nur?" Noch nie habe ich so schnell, leichtfertig und spontan eine Entscheidung bezüglich meiner Zukunft getroffen. Kopfschüttelnd schließe ich die Fahrertür und will gerade den Zettel beiseite legen, als mir einige Zahlen und Buchstaben auf der Rückseite ins Augen stechen. Was ist das denn? Ich starre auf die Zeichen, bis ich darauf komme, dass es sich hierbei höchstwahrscheinlich um Koordinaten handelt.

„Louis William Tomlinson", murmele ich kopfschüttelnd vor mich hin, während ich die Koordinaten in mein Handy eingebe. Sie führen genau zu dem See, bei dem Louis und ich uns das erste Mal geküsst haben. Wir waren mit einem Stand-Up-Paddling-Board auf der Mitte des Sees, als es passiert ist. Lächelnd schüttele ich den Kopf. Was hat Louis sich hier nur ausgedacht?

In diesem Augenblick klingelt mein Handy. Zayn. Schnell hebe ich ab und erkläre meinem Chef, warum ich noch nicht wieder zurück bin. Auch wenn ich mehr als neugierig bin, was mich am See erwartet, verschiebe ich dies auf den morgigen Tag und mache mich jetzt erst einmal zurück auf den Weg ins Studio.

Als ich am nächsten Tag vom See zurückkomme, halte ich den nächsten kleinen, zusammengefalteten Zettel in meinen Händen.

Lass-uns-die-zeit-anhalten-Momente sind die schönsten. Höre nicht auf, sie zu erleben, nur weil wir sie nicht mehr zusammen erleben.

Auf der Rückseite klebt ein kleines Foto von der Fensterbank in Louis' Zimmer.

In der nächsten Zeit klappere ich Tag für Tag die genannten Orte ab und finde immer wieder neue Zettel von Louis. Alle mit einem Ort und einem Satz verbunden, die eine große Rolle in unserer Beziehung gespielt haben.
Eigentlich würde ich am liebsten den ganzen Tag im Bett liegen und nichts machen. Doch diese kleinen Zettelchen halten mich davon ab und bringen mich dazu, raus zu gehen. Und vielleicht ist es genau das, was Louis damit erreichen wollte. Er hätte nicht gewollt, dass ich Zuhause hocke und mein Leben verpasse.
Also tue ich ihm diesen Gefallen.

Auf dem Zettel, den ich in Louis' Zimmer finde, nachdem ich erst mit Jay einen Tee getrunken und mich etwas unterhalten habe, steht folgendes:

Vergiss nicht: TPWK Babycakes

Wie auch bei den vorigen Zetteln holt mich die Erinnerung ein und wehmütig denke ich an die Momente zurück, die Louis und ich gemeinsam auf seiner Fensterbank verbracht haben. Auf der Rückseite stehen die zwei Worte:

Ladies first

Ich weiß sofort, wo sich der nächste Zettel befindet. Und tatsächlich ist unter dem Holzbrett der Schaukel das nächste Zettelchen befestigt.

Nur eine kleine Erinnerung daran, wie wundervoll du bist.

Auf der Rückseite finde ich ein Foto von meinem Auto. Auch dort werde ich nicht enttäuscht und finde nach einigem Suchen den nächsten Zettel.

Everyone has a „titanic for the first time" face. Deins werde ich nie wieder vergessen. Es war wunderschön.

Der Satz wird gefolgt von erneuten Koordinaten. Diesmal führen sie mich ins Tattoostudio, wo tatsächlich ein Zettelchen für mich hinterlegt wurde.

Ein guter Freund hat mal zu mir gesagt: „Manche Ewigkeiten halten länger als andere".
Unsere ist zwar vorbei, doch du hast noch so viele weitere Unendlichkeiten vor dir. Nutze sie.

Auf diesem Zettel steht zum ersten Mal auch auf der Rückseite ein vollständiger Satz.

Du bist mein Pilot, der mich zu den Sternen bringt.

Ich sitze im Auto auf dem Parkplatz des Tattoostudios und schüttele schief grinsend den Kopf. „Wie soll ich denn jetzt nach Kanada kommen, Lou. Was machst du hier nur?"

Auch wenn es schmerzt, der nächste Zettel muss auf mich warten. Doch ich verspreche es, irgendwann werde ich auch diesen finden.

(1084 Wörter)

Den Sternen so nah - Larry StylinsonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt