22 Wahrheiten

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Der Tag verläuft schleppend und Leandro habe ich seit dem Essen nicht mehr zu Gesicht bekommen. Eigentlich sollte er sich ausruhen. Ein wenig schlafen oder zumindest im Bett liegen. Bei seiner Verletzung kann es gefährlich enden sich zu viel zu bewegen. Aber was kümmert es mich schon? Soll er eben machen was er will und am Ende noch verbluten.

Ein leichter Schauer überläuft mich. Die Gedanken, die mir manchmal durch den Kopf schweifen, seit ich hier bin, erschrecken mich. Nie habe ich darüber nachgedacht jemanden den Tod zu wünschen oder gar ein Leben zu nehmen. Das Risiko für den Tod eines Menschen verantwortlich zu sein, ist in meinem Beruf zwar durchaus gegeben, allerdings ist die Chance, leben zu retten wesentlich größer und das konnte ich in einigen Außendiensten auch schon beweisen. Ich wollte nie jemanden etwas Böses und mein schlechtes Gewissen kommt bereits hervor, wenn ich nur versehentlich eine Mücke zerquetsche. Umso erschreckender sind die Gedanken, die mir hier manchmal durch den Kopf schießen. Wünsche ich Leandro wirklich den Tod? Wäre ich dann zufrieden? Würde ich dann frei kommen? Ich weiß es nicht. Und wahrscheinlich werde ich es nie erfahren. Denn sind wir mal ehrlich. Selbst wenn ich die Möglichkeit hätte. Am Ende hätte ich nicht den Mut ihn zu töten. Er hat sich also das perfekte Entführungsopfer ausgesucht. Bravo Katrina.

Ein leises klopfen an meiner Tür reißt mich aus meinem Gedanken. Verwirrt runzele ich die Stirn und blicke zur Tür, die sich wenige Augenblicke zaghaft öffnet. Die großen Augen eines kleinen Mädchens blicken mir entgegen und es dauert nicht lange, da erkenne ich sie.

,,Jamila!" rufe ich aus und stehe augenblicklich vom Bett auf. Sie kommt langsam herein und sieht dabei auf den Boden.

,,Ich wollte dich besuchen" ihre Stimme ist leise.

,,Du... ich..." beginne ich verwirrt ,,wie geht es dir?"

,,Besser. Meine Bauchschmerzen sind wieder fast weg. Ich darf nur nicht alles essen was ich will" sie zieht einen Schmollmund und klettert dabei auf mein Bett rauf, ehe sie weiter spricht ,,Aber das ist okay. Abuelita kocht mir trotzdem immer gute Sachen" sie grinst.

,,Abuelita?" jetzt müssen mir endgültig die Gesichtszüge entfallen ,,Bedeutet das Ela ist deine Großmutter?"

,,Natürlich. Wer soll sie denn sonst sein?" Jamila sieht mich an als wäre ich blöd und als würde es doch offensichtlich sein das Ela ihre Großmutter ist. Mir hingegen bleibt weiter der Mund offen stehen. Wenn Ela wirklich Jamilas Großmutter ist, dann ergibt es sogar Sinn, dass sie hier ist. Dann ist sie bestimmt Pablos Tochter! Und Leandro hat sie hergeholt damit sie bei ihrem Vater sein kann. Aber wieso ein Kind entführen? Und wieso haben Jamilas andere Großeltern nie ein Wort über die Familie väterlichen seitens verloren? Wahrscheinlich wussten sie einfach nicht, dass sie existieren. Es hieß ja, Jamilas Vater sei nur ein One Night Stand gewesen und unauffindbar. Trotzdem ergibt es für mich wenig Sinn, dass sie Jamila dann direkt entführen müssen, um sie zu sich zu holen. Ihre Großeltern wären doch mir Sicherheit froh gewesen die väterliche Seite der Familie kennenzulernen.

,,Jamila, bist du freiwillig hier?" vielleicht ist ihr gar nicht bewusst, das die halbe Welt nach ihr sucht und ihr Gesicht überall in den Nachrichten kommt.

,,Ja, wo sollte ich denn sonst sein?" Ihre Augen blicken mich so unschuldig und verwirrt an, sie hat wirklich absolut keine Ahnung was für ein Trubel um sie herrscht.

,,Du warst doch eigentlich bei deinen anderen Großeltern. Vermisst du sie denn nicht?" frage ich vorsichtig.

,,Nein" erwidert sie unbeteiligt und fummelt dabei an meiner Bettdecke rum.

Nein. Ein kleines Wort, mit doch so großer Bedeutung.

,,Jamila-" setzte ich an, doch der knall der Tür, die gegen die Wand schlägt unterbricht meine Worte.

,,Was zur Hölle fällt dir ein?!" donnert Leandros Stimme auch schon durch den Raum. Ich blicke zu Jamila, die mich verängstigt anschaut. Na toll.

,,Sie wollte nur wissen wie es mir geht, nichts weiter" versuche ich das kleine Mädchen zu verteidigen.

Leandro kommt in drohenden Schritten auf mich zu, was mich schlucken lässt.

,,Ich hab nicht mit Jamila gesprochen" sagt er gefährlich leise.

,,W-was?" stottere ich.

,,Jamila, geh bitte in dein Zimmer" wendet er sich nun an sie. Seine Stimme klingt immer noch dunkel, aber trotzdem um einiges freundlicher, als sie es bei mir ist. Sie nickt direkt verstehend und springt auf. Wirft mir noch einen entschuldigenden Blick zu.

,,Ich wiederhole mich ungern... Was zur Hölle fällt dir ein mit Jamila zu sprechen!?" Seine Stimme wird von Wort zu Wort lauter und ich zucke dabei erschrocken zusammen.

,,Sie ist hier rein gekommen. Sie wollte nur wissen wie es mir geht, ich...ich"

,,Es interessiert mich einen scheiß Dreck was sie wollte" brüllt er mich an und fasst mir dabei grob in die Haare.

,,Du wirst NIE WIEDER mit ihr sprechen! HAST DU DAS VERSTANDEN!?"

,,J...ja" versuche ich zu antworten, doch seine Hand, die noch immer fest in meine Haare gekrallt ist, lässt mich stottern.

,,Und hör verdammt nochmal auf zu stottern!" Das wars. Seine Hand verlässt meine Haare und klatscht stattdessen gegen meine Wange. Ich halte sofort meine Hand davor um dass brennen zu mindern und schaue ihn aus bereits rot gewordenen Augen an. Meine Tränen kann ich auch nicht länger zurückhalten.

,,Jetzt fang nicht auch noch an zu heulen. Ansonsten gebe ich dir einen richtigen Grund dazu" Die letzten Worte murmelt er und ich konnte sie nur leicht verstehen. Doch ich habe sie verstanden und mir wird sofort wieder klar, was Leandro für ein Mensch ist. Die kurzen Zeiten in denen er gut zu mir war, bedeuten nichts. Am Ende bin ich nur seine gefangene.

,,Ich war viel zu nachsichtig mit dir. Das wird sich jetzt ändern. Ohne meine Erlaubnis wirst du das Zimmer nicht mehr verlassen und du wirst mit niemandem sprechen, außer mit mir, verstanden?"

,,Ob du mich verstanden hast?!" seine Stimme wird wieder lauter.

,,Ja" hauche ich und blicke dabei auf den Boden. Würde ich ihn jetzt anschauen, würden meine Tränen mir wahrscheinlich wie ein Wasserfall aus den Augen fließen. Wieso muss ich auch so schrecklich emotional sein?

,,Gut" ,,Dann bleib jetzt hier sitzen und überleg dir besser, was du tun wirst um es wieder gut zu machen" Mit diesen Worten verlässt er das Zimmer, welches mit einem lauten Krach zufliegt. Augenblicklich beginne ich zu schluchzen. Was habe ich denn falsch gemacht? Ich kann doch nichts dafür, dass Jamila zu mir gekommen ist. Hätte ich sie rausschmeißen sollen? Leandro ist doch selber schuld, wenn er nicht auf sie aufpassen kann.

Aber immerhin weiß ich jetzt, dass es ihr gut geht. Und vor allem, warum sie hier ist. Und dass sie nicht gezwungen wird. Trotz meines momentanen Heulanfalls fällt dadurch eine kleine Last von mir ab. Jamila ist nicht Tod. Nur werde ich sie noch befreien müssen? Wenn sie wirklich freiwillig hier ist, wird das wohl kaum nötig sein. Trotzdem haben ihre anderen Großeltern ein Recht zu erfahren, wo ihre Enkelin ist. Sie machen sich doch auch nur Sorgen und befürchten wahrscheinlich immer noch das schlimmste.

Immerhin ist jetzt eins klar. Jamila wird hier nichts angetan. Ganz egal, wie wütend ich Leandro mache, er behandelt sie wie Seide. Er hat also kein Druckmittel mehr, womit er mir drohen könnte. Das Risiko bei einer erneuten Flucht, dass er mich umbringen wird, werde ich in kauf nehmen. Früher oder später werde ich hier doch sowieso sterben. Ich muss zumindest weiterhin versuchen zu entkommen. Denn nach gerade eben, ist mein Hass gegen ihn nur umso mehr gewachsen.





Heute mal ein recht kurzes Kapitel, aber ich hoffe es gefällt euch trotzdem :))

Was denkt ihr, wird es Katrina diesmal gelingen zu fliehen?

Dunkles Vertrauen - Kein Weg zurückWo Geschichten leben. Entdecke jetzt