!Bonuskapitel!

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Ich hatte oft Angst davor, dass Artur die Charakterzüge seines Vaters annehmen würde. Das er ins Mafia Geschäft einsteigen würde oder plötzlich eines Tages mit einer Waffe in der Hand vor mir stehen würde. Das war nicht das, was ich für meinen Sohn wollte. Niemals. Leandro hat es zwar geschafft in der Anfangszeit, als Melodie und Artur noch klein waren weitgehend auszusteigen, aber uns war beiden klar, dass das keine Dauerlösung war.

Am Ende hat er sich wieder an den Geschäften beteiligt, hat seinem Namen wieder alle Ehren gemacht und kam oft erst spät nachhause. Manchmal hatte er Blut an seinem Hemd. Aber ihm fehlten die Wunden dazu. Es war nicht sein Blut. Es gab Momente, da war ich kurz davor ihn zu verlassen. Wie könnte ich mit einem Mann zusammenleben, der so offensichtlich gegen das Gesetz und gegen das Recht verstößt? Wo ich doch Polizistin bin?

Was soll ich sagen? Am Ende konnten wir es immer wieder gemeinsam schaffen, an unserer Ehe festzuhalten. Für uns. Für unsere Kinder. Leandro behandelt mich gut. Er hat mir nie mehr einen Grund gegeben, ihn für seine Taten mir gegenüber zu verlassen. Ganz im Gegenteil. Auch nach 10 Jahren, überhäuft er mich noch immer mit Geschenken. Überrascht mich mit kleinen Ausflügen. Zeigt mir seine Liebe. Er wird immer Leandro Martinez bleiben. Der Mann, vor dem sich viele Menschen fürchten. Der Mann, der eine Macht besitzt, die man gar nicht erwarten könnte. Aber er wird auch immer mein Leandro bleiben. Mein liebender Ehemann, der sich für mich in vielerlei Hinsicht geändert hat.

Ich habe es mit der Zeit immer mehr zu akzeptieren gelernt, dass das was er macht, nicht wegfallen wird. Und trotzdem blieb meine Angst. Was, wenn Artur genauso wird?

Nun... Ich habe mich geirrt. Nicht Artur kommt nach seinem Vater. Sondern Melodie. Die kleine süße Melodie, die als Baby fast nie geschrien hat. Die kleine süße Melodie, in die sich jeder verliebt hat, wenn sie nur gelacht hat.

Sie ist jetzt 13 Jahre alt und  besitzt im Vergleich zu ihrem Bruder ein unfassbares Selbstbewusstsein. Sie bewundert ihren Vater. Bewundert seinen Stolz, seine Dominanz und seine Macht. Genau wissen die beiden natürlich nicht, was er tut und das soll auch so bleiben. Aber sie sehen ihn als einen einflussreichen Geschäftsmann an. Melodie wird von Jahr zu Jahr mehr wie er. Sie ist noch immer ein wahnsinnig hübsches und liebes Mädchen. Aber sie lässt sich nichts gefallen. Als Artur letzte Woche in der Schule von zwei Mitschülern geärgert wurde, hat sie dem einen doch tatsächlich ins Gesicht geschlagen. Ja. Sie hat ihm ins Gesicht geschlagen. Und das mit so einer Wucht, das der Junge ins Krankenhaus musste, um genäht zu werden. Das beeindruckende an dieser Sache ist, dass der Junge den sie geschlagen hat, wesentlich größer und stärker war als sie. Aber das ist meine Melodie. Sie hat weder Angst, ihre Meinung zu sagen, noch die, die sie liebt, zu verteidigen. Aber ich kann mir schon denken, dass Leandro dahinter steckt. Schließlich ist er derjenige gewesen, der auch mir damals schon sagte, dass es im Kampf nicht um die Größe und Stärke geht, sondern um die Taktik.

Schon verrückt, was sich in ein paar Jahren alles verändern kann. Früher war es Artur, der nur Quatsch im Kopf hatte und von Zuhause abhauen wollte, um eine Weltreise zu machen. Zum Glück konnte ich ihn damals davon abhalten. Zwar ging das nur mit einer kleinen Bestechung und ich musste ihm erlauben, vor dem schlafen gehen Schokolade zu essen, aber immerhin ist er dann wieder mit ins Haus gekommen. Tja, mein verrückter kleiner Artur. Artur, der sich nicht gescheut hat, anderen Kindern vors Schienbein zu treten, wenn sie gemein zu ihm oder seiner Schwester waren. Heute ist es Melodie, die so ist.

Aber was wundert es mich? Bei der vielen Zeit, die sie mit ihrem Vater verbringt, war davon abzusehen, dass sie seine Stärke annimmt. So oft ich es mir auch vorgestellt hatte, mit meiner Tochter Wellness Wochenenden zu machen, während Leandro etwas mit seinem Sohn unternimmt, kam es dann schließlich andersherum. Zwar unternehmen wir auch oft Ausflüge zu viert, aber die meiste Zeit bin ich mit Artur unterwegs und Leandro mit Melodie. Ich wusste nie genau, was für Ausflüge die beiden unternehmen, aber als wir letztens alle zusammen auf einer Kirmes waren und Melodie wie selbstverständlich am Schießstand ein paar Rosen geschossen hat, konnte ich es mir schon denken. Sie hat kein einziges Mal verfehlt, während mein armer Artur kein einziges Mal getroffen hat. Super gemacht, Leandro...


,,Leandro" beginne ich schließlich das Gespräch. Es ist nach 22Uhr. Die Kids übernachten bei Freunden und wir haben endlich mal wieder einen Abend nur zu zweit verbringen können.

,,Hm?" Er haucht mir einen Kuss auf die Schläfe und zieht die Bettdecke ein Stückchen höher über meinen nackten Körper.

,,Versprich mir, dass egal was kommt, du Melodie aus deinen Geschäften raushalten wirst"

Er setzt sich leicht auf, um mir in die Augen zu sehen.

,,Katy, ich habe es dir schon damals versprochen und ich tue es gerne wieder. Melodie und auch Artur, werden niemals da weitermachen, wo ich irgendwann mal aufhören werde"

,,Okay" wispere ich, weil mich seine Antwort wirklich beruhigt. Das Melodie zu einer starken, unerschrockenen Frau heranwächst ist ja eigentlich nichts schlechtes.

,,Du hättest Melodie aber trotzdem sagen können, dass es nicht richtig war, diesen Kerl zu verprügeln" Jetzt grinst Leandro und ich schlage ihm spielerisch gegen die Brust ,,Leandro ich meine es ernst! Es ist wie bei Artur damals! Gewalt ist keine Lösung!"

,,Dieser Kerl hat es nicht anders verdient!" Leandro lacht noch immer und ich gebe es Kopfschüttelnd auf. Diese Sache wird sich wohl nie ändern.


*Jamila Pov:

Ich starre Gedankenverloren auf den Grabstein vor mir. In meiner Kindheit konnte ich es lange Zeit nicht begreifen, aber das die alten Wunden irgendwann aufgerissen werden, hätte mir klar sein sollen. Meine Therapeutin sagt, es wäre ganz normal, dass all die schlechten und negativen Dinge aus der Kindheit oft verdrängt werden und sich erst Jahre später bemerkbar machen.

Manche Kinder haben einen Gewalttätigen oder strengen Vater, der oft nicht zuhause ist und flüchten sich in ihren 20ern in eine ungesunde Beziehung, weil ihr Unterbewusstsein dies für Normal hält. Mein Vater ist früh gestorben. Genau wie meine Mutter. Ich habe nicht viele Erinnerungen an die beiden und vielleicht ist das auch der Grund, wieso ich als Kind immer so fröhlich war. Ich konnte all das nie wirklich begreifen.

Aber jetzt bin ich 21 und die alten Wunden scheinen mich einzuholen. Der Grabstein meiner Großeltern ist noch frisch. Sie sind letztes Jahr gestorben. Kontakt hatte ich keinen zu ihnen. Leandro hat mir erzählt, sie waren nicht gut zu mir. Sie haben meinen Vater in den Tod getrieben und waren keine guten Menschen. Er hat Recht. Ich erinnere mich an die Zeit, in der ich bei den beiden war. Die Zeit bevor mich mein Onkel von ihnen weggeholt hat und ich bei ihm wohnen konnte. Meine Nana Ela, war immer für mich da und sie war die beste Großmutter, die man sich wünschen konnte. Sie ist die beste Großmutter.

,,Kommst du zurecht, liebes?" Nehme ich auch schon ihre Stimme hinter mir war. Ich wische mir ein paar Tränen weg und drehe mich dann mit einem müden lächeln zu ihr um.

,,Ja, danke Nana. Danke das du mit mir hergekommen bist" Ich denke ich brauchte das einfach, um besser mit all dem abschließen zu können. Um damit abschließen zu können, dass meine damaligen Großeltern nicht immer das Beste für mich wollten, dass meine Eltern Tod sind und das ich nicht die Kindheit hatte, die ein Kind haben sollte.

Auf der Fahrt zurück zu meiner Wohnung schaue ich stillschweigend aus dem Fenster, bis wir schließlich davor halten und ich mich von Nana verabschiede. Vor einem halben Jahr bin ich aus Leandros Villa ausgezogen, um endlich etwas mehr Selbständigkeit zu erlangen. Es läuft ganz gut. Ich studiere Marktwissenschaften und bin daran auch die meiste Zeit beschäftigt. 2 mal die Woche gehe ich zu meiner Therapeutin und die restliche Freizeit verbringe ich mit Melodie und Artur.

Eigentlich läuft mein Leben ganz gut und wer weiß. Vielleicht finde ich ja auch irgendwann die Liebe meines Lebens, so wie Leandro sie in Katy gefunden hat.





Hey Leute,

Da der Wunsch nach einem Bonuskapitel kam, dachte ich, ich schreibe noch ein letztes. Es ist nicht besonders lang, aber ich hoffe es gefällt euch trotzdem :)

Ich habe auch einmal kurz die Sicht von Jamila mit eingebaut, es interessiert bestimmt einige, was aus ihr so geworden ist 😊

-Leni_2410

Dunkles Vertrauen - Kein Weg zurückWo Geschichten leben. Entdecke jetzt