42 Vertrauensvolle Freiheiten

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322, 323,324... im stillen zähle ich die Sekunden, die ich wach bin. Es war kein Traum! Ganz und gar nicht. Leandro war da und er hat mich mitgenommen. Nein, anders. Er hat mich betäubt und dann mitgenommen. Als ich meine Augen eben geöffnet habe, saß er direkt vor meinem Bett, die Augen aus dem Fenster gerichtet. Nie in meinem Leben habe ich meine Augen so schnell wieder geschlossen.

Ich weiß, dass er mich ansieht. Ich spüre es. Aber ich weiß auch, dass er darauf wartet, dass ich aufwache. Wie war das nochmal? Leandro ist nicht so schlimm wie Sergio und ich wäre lieber wieder bei ihm? Nun... Ich habe es mir anders überlegt. Der Tatsache ins Auge sehend, dass ich Leandro hintergangen, geflüchtet und auch noch Marcelo befreit habe, sollte für ihn wohl Grund genug sein, mich zu hassen. Mich zu foltern. Und schließlich zu töten. Das er mich betäubt hat, macht nur deutlich, wie wütend er ist. Er hat mich zurückgeholt. Zurückgeholt, um mich weiter zu benutzen und zu bestraf-

Ich fahre zusammen, als ich seine Hand über meinen Bauch streifen spüre. Seine Finger hinterlassen ein kribbeln und automatisch sind meine Gedanken verblasst. Denn als ich zu ihm aufsehe und seine Grünen Augen mich intensiv mustern, ist es als würde mein Herz sich mehrfach überschlagen. Das brennen der roten Striemen an meinem Körper verblasst und zurück bleibt bloß ein ziehen in meinem Unterleib.

,,Leandro ich.. es... es tut mir lei-" er unterbricht meine stotternde Entschuldigung und reißt mich zu sich rüber. Ich ziehe hektisch die Luft ein und stelle mir vor, wie er mich hier und jetzt erwürgt. Doch nichts dergleichen passiert. Stattdessen streicht er mir bloß sanft über den Rücken und presst mit leichtem Druck meinen Kopf an seine Brust.

,,Wieso bist du weggelaufen" Seine Stimme ist kaum mehr als ein raues Flüstern und bei jedem seiner Worte, schießen mir ein paar mehr Tränen in die Augen.

,,Ich... ich hatte Angst und wollte nachhause" hauche ich, wobei meine ersten Tränen sein Shirt bedecken ,,Außerdem hatte ich Mitleid mit Marcelo, ich konnte nicht verstehen, warum du ihm sowas antun konntest"

,,Und jetzt weißt du es?" seine Stimme wird dunkel.

,,Ja" flüstere ich und schmiege mich ein wenig mehr an ihn. Leandro kann in der einen Sekunde ein gefährlich Mann sein. Ein Mann der tötet. Ein Mann der keine Rücksicht hat. Und in der nächsten ist er plötzlich wahnsinnig liebevoll und fürsorglich. So sehr ich auch Angst hatte, er würde mich töten, in diesem Moment könnte ich mich nicht sicherer fühlen.

Wir verharren noch ein paar Momente in unserer Umarmung, ehe ich die Worte, die mir auf der Zunge brennen doch ausspreche.

,,Wirst du mich jetzt töten? Also weil ich abgehauen bin...?" Leandro beginnt leise in sich hinein zu lachen und ich löse mich von ihm, um ihm in die Augen zu schauen.

,,Darling, du solltest mittlerweile wissen, dass ich das niemals werde"

,,Aber du hast gesagt, wenn ich nochmal weglaufe, wirst du es tun!" Ich weiß nicht wieso meine Stimme so vorwurfsvoll klingt. Eigentlich sollte ich froh darüber sein, dass er mir nichts antun möchte.

,,Betrachte es als ein paar leere Drohungen". Er grinst.

,,Dann bist du also nicht sauer, dass ich mit Marcelo abgehauen bin?"

,,Doch. Ich hätte ihn gerne selbst getötet"

,,Aber...?" hake ich vorsichtig nach.

,,Aber..." beginnt er ,,mir würde mit Sicherheit etwas einfallen, wie du es wieder gut machen könntest" Seine Lippen fahren behutsam über meine Wange, hin zu meiner Nase und schließlich zu meinem Mund. Unsere Zungen bewegen sich im Gleichklang und ich stöhne in den Kuss hinein.

Leandros Finger bewegen sich unter den Saum seines T-Shirts, welches ich trage und er streift es mir in einer Bewegung über den Kopf. Shorts trage ich keine und nun wird mein Körper bloß noch von meiner Unterwäsche bedeckt.

Ich robbe mich ein wenig mehr zu ihm, sodass mich sein großer Körper komplett bedeckt.

,,Berühr mich, Leandro" hauche ich verzweifelt und bewege seine Hände über meinen Körper, doch anstatt meiner Bitte nachzukommen, stoppt er seine Berührungen und verharrt bloß über mir. Ich sehe zu ihm auf, doch seine Augen liegen nicht in meinen, sondern ausdruckslos auf meinem Körper. Ich sehe ein wenig verunsichert an mir herunter. Mein Atem stockt als ich bemerke wie schlimm ich wirklich aussehe. Ich krieche unter Leandro hervor und laufe ins Badezimmer. Im Spiegel kann ich meinen ganzen Körper sehen. Mein Bauch, mein Dekolletee, meine Beine, mein Rücken, eigentlich mein ganzer Körper, sind voll mit dunklen Striemen. Ein paar Stellen sind verkrustet. Ich wusste ja, dass welche da sein würden, doch das ich wirklich so schlimm aussehe, hätte ich nicht gedacht.

,,Ich werde ihm bei lebendigem Leib, jeden einzelnen Finger abschneiden, mit dem er dich berührt hat" knurrt Leandro hinter mir und ich sehe ihn im Spiegel an, während erneute Tränen meine Wange bedecken.

Leandro ist nach dem kleinen Zwischenfall wütend aus dem Zimmer gestürmt. Jetzt ist er wieder da und hat mir essen gebracht mit der Aussage ich seie zu dünn. Stillschweigend schaut er mir beim Essen zu und irgendwie fühle ich mich dabei unbehaglich.

,,Ich habe nachgedacht" unterbricht er schließlich die Stille.

,,Und?" ich kaue schnell zu Ende und sehe ihn dann neugierig an.

,,Du bist abgehauen, weil du dein altes Leben vermisst. Als ich sagte das du für immer hier bleiben wirst, habe ich nicht gelogen. Aber ich möchte dir trotzdem etwas entgegenbringen"

,,Und was?"

,,Freiheiten. Du darfst dich nicht nur in der kompletten Villa, sondern auch im Garten aufhalten. Und wenn ich dabei bin mehr"

,,Mehr?"

,,Wir werden nach draußen gehen. Essen. Einkaufen. Spazieren. Was auch immer du möchtest. Meine einzige Bedingung ist, dass ich dabei bin" Mir stockt der Atem und ich sehe ihn mit großen Augen an. Tausende Gedanken schwirren mir durch den Kopf. Wieso sollte er mir plötzlich all das erlauben? Ich erinnere mich an sein Gespräch mit Pablo. Er sagte er braucht mich nur für Informationen. Er hat nur mit mir geschlafen, um mich um den Finger zu wickeln. Er hat mich benutzt. Bei dem Gedanken bildet sich ein Klos in meiner Kehle und ich bekomme fast das Gefühl zu ersticken. Ich sollte ihn darauf ansprechen. Sollte ihn anschreien. Ihm Vorwürfe machen und letztens darauf hoffen, dass er das alles nie gesagt hat und ich bloß geträumt habe. Doch vielleicht wäre es besser, es für mich zu behalten. Soll er mir meine Freiheiten lassen. Soll er denken, ich wüsste von nichts und würde ihm verfallen sein. Dann werde ich wieder abhauen und zurück zu meinen Freunden kommen. Zu meiner Familie. Auch wenn mein Herz sich etwas anderes wünscht.

,,Das wäre sehr großzügig von dir" erwidere ich daher nur und sehe ihn mit einem netten Lächeln an.

,,Ich weiß"

--

Es ist später Abend. Ich liege in Leandros Bett. In seinem Arm, um genau zu sein und ich frage mich noch immer wieso er plötzlich so nett ist. Ist das Teil seiner Masche? So sehr ich ihn für seine Worte auch hassen möchte, kann ich nichts gegen das zufriedene Gefühl in meinem Magen tun, als er mich näher an sich zieht. Trotzdem kann ich nicht bleiben. Ich kann ihm nicht vertrauen. Und seit ich von Lucia weiß, muss ich erst recht hier raus. Du könntest ihn um Hilfe bitten, flüstert mir meine innere Stimme zu, doch ich halte es für idiotisch. Ich werde einfach das Gefühl genießen, dass er mir jetzt gibt. Und dann werde ich mir überlegen, wie ich zu Lucia kommen kann. Wenn ich erstmal zuhause bin, kann ich auf dem Revier um Hilfe bitten. Mateo wird wissen, was zu tun ist. Und dann wird alles gut. Ich werde das tun, was ich schon vor langer Zeit hätte tun soll. In eine Therapie gehen. Nicht nur um Vergangenes aufzuholen, sondern vor allem um zu verkraften, was mir in den letzten Wochen passiert ist. Wenn man gefoltert und entführt wird, lässt einen das nicht einfach so kalt. Ich denke im Moment habe ich noch nicht ganz begriffen, was überhaupt alles vorgefallen ist. Aber sobald ich allein sein werde, werden all diese schrecklichen Geschehnisse auf mich einprasseln. Und darauf möchte ich vorbereitet sein.

Dunkles Vertrauen - Kein Weg zurückWo Geschichten leben. Entdecke jetzt