58 Kennenlernen

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Ich schlage Diego ins Gesicht. Erst mit der flachen Hand, dann mit der ganzen Faust. Einmal. Zweimal. Dreimal. Viermal. Und noch ein fünftes Mal. Aus seiner Nase rinnt Blut, vermutlich ist sie gebrochen. Doch er verzieht keine Miene. Er sagt nicht mal etwas. Er hängt einfach nur da und sieht starr an die Wand gegenüber.

,,Ich hasse dich!" ich schlage noch ein sechstes Mal zu. Noch immer kein Laut.

Dann nehme ich die Waffe, die Leandro mir gegeben hat und entsichere sie. Ich drücke ihm den Lauf an die Brust. Dann an die Stirn. An die Schläfe.

Meine Finger verkrampfen sich um den Abzug und meine Hände beginnen zu zittern.

,,Du verdienst es zu sterben" spucke ich ihm entgegen und gehe dann zwei Schritte zurück. Die Waffe noch immer fest auf ihn gerichtet.

,,Du verdienst es" hauche ich erneut, wobei meine Stimme diesmal heiser klingt und mir die ersten Tränen in die Augen treten. Ich sollte ihn töten. Ich sollte ihm das geben, was er verdient. Ich habe die Macht und die kann mir im Moment keiner nehmen.

,,Na los, tu es" Raunt mir Leandro zu, doch ich kann mich nur vage auf seine Worte konzentrieren. Ich bin viel zu sehr auf meine Wut fixiert. Auf den Schmerz. Auf die Gerechtigkeit. Gerechtigkeit...

Meine Sinne werden wieder klarer und mit einem Mal drücke ich den Abzug. Die Kugel fliegt mit einem lauten Knall heraus und trifft Diego direkt in seiner Schulter. Diesmal bleibt er nicht still. Er schreit auf und das ziemlich laut.

Ein letztes Mal knalle ich ihm die Waffe gegen den Kiefer, sodass sein Kopf zur Seite fliegt.

,,Du verdienst mehr als den Tod" meine Stimme klingt abscheulich. So wie mein Hass auf ihn sich anfühlt.

,,Liefer ihn der Polizei aus. Ich möchte, dass er den Rest seines Lebens hinter Gittern verbringt" spreche ich zu Leandro und lasse die Waffe vor seinen Füßen auf den Boden fallen. Mit gestrafften Schultern verlasse ich den Keller, doch sobald ich oben bin, beginnt sich mein Körper zu schütteln und ich weine. Ich weine richtig.

Ich hätte Diego töten können. Ja das hätte ich. Aber ich konnte nicht. Ich bin Polizistin. Polizisten töten nicht einfach Menschen. Sie sorgen dafür, dass sie eingesperrt werden. Und das ist es, was ich Diego wünsche. Das er den Rest seines Lebens im Gefängnis sitzt und sich jeden Tag wünscht, er wäre Tod.

- -

,,Du hast ihn nicht getötet" Leandro kommt ins Schlafzimmer und mustert mich. Meine Tränen sind inzwischen längst getrocknet. Er war lange weg.

,,Hast du es getan?" übergehe ich seine Bemerkung ,,Hast du ihn der Polizei ausgeliefert?"

,,Ja. Ich habe dafür gesorgt, dass sie ihn festnehmen"

Ich nicke registriert und schaue aus dem Fenster ,,Was ist mit Sergio? Ist er auch noch da draußen?" die Frage brennt mir schon die ganze Zeit auf der Zunge.

,,Nein. Ich habe ihn bereits getötet. Er war eine Gefahr für uns" Ich sollte bei Leandros Worten fliehen, ihn verlassen und ihm vorwerfen, er seie ein Mörder. Doch nichts der gleichen tue ich. Denn um ehrlich zu sein fühlt sich der Gedanke, das Sergio tot ist, gut an. Zu gut.

Ich spüre Leandros Finger auf meinen Hüften, ehe er mich zu sich umdreht und leicht in den Arm nimmt.

,,Ich bin froh, dass... das du wieder hier bist" murmelt er in mein Haar und mein Herz freut sich dabei mehr als es sollte.

,,Ich vertraue dir noch nicht" bemühe ich mich zu sagen, entferne mich dabei allerdings nicht aus der Umarmung.

,,Ich weiß, aber mit der Zeit wird es besser werden. Ich gewinne dein Vertrauen" in seiner Stimme schwingt Zuversicht mit und ich bin mir noch immer nicht ganz sicher, ob das wirklich der Mann von damals ist. Ich kenne seine andere Seite. Seine aggressive und brutale Seite. Aber jetzt in diesem Moment ist er wieder so wahnsinnig sanft.

Dunkles Vertrauen - Kein Weg zurückWo Geschichten leben. Entdecke jetzt