Kurz nach Mitternacht kamen sie im Hotel an und fuhren gleich auf die Dachterrasse. Herr Tsikos stellte ihnen die halbvolle Flasche Ouzo vom Vorabend auf den Tisch. Die einzigen anderen späten Gäste waren die vier Australier, die holländisches Bier vor sich stehen hatten. Einer von ihnen winkte Nikos zu, und sie marschierten samt Wasser, Ouzo und Gläsern zu dem Quartett.
Randy, der ungefähr so groß war wie Nikos, aber sicher 10 Kilo schwerer, hatte braune Haare, die ihm wirr vom Kopf standen, und war offensichtlich der Boss. Er lud sie ein, sich zu setzen und stellte noch einmal seine Kommilitonen vor. Manny war etwas kleiner, hatte dunkle Haare und eine runde Metallbrille, wie sie früher die Wissenschaftler trugen. Sandy hieß so wegen seiner strohblonden Haare und strahlte sie aus blauen Augen an. Rudy war ein kleiner, muskulöser Mann, etwas älter als die anderen, und seine schwarzen Haare waren ebenso ungeordnet wie die von Randy. Tom schätzte sie auf etwa 21, 22.
Wahrscheinlich gab es so etwas wie eine Kunsthistoriker-Expeditions-Uniform, denn alle vier trugen abgeschnittene Militärhosen, Khakis genannt, und hellbraune Hemden, die irgendwie nach Pfadfinder aussahen. Fehlte nur noch das Halstuch, dachte er.
Die vier beäugten neugierig die Ouzoflasche. Als gute Australier tranken sie eigentlich nur Bier, jedenfalls abends. Als Nikos aber mit einiger Theatralik seinem und Toms Wassergläsern den trübenden Schuss Ouzo hinzufügte, erschien auf vier Stirnen die Leuchtschrift „Ich auch". Tom war froh über diesen harmlosen Text. Meistens sah er einen anderen. Nikos erhörte die Wünsche und füllte vier weitere Gläser.
In den nächsten zwei Stunden erfuhren sie viel über Kunstgeschichte. Sie bewunderten die Zeichnungen, manchmal nur eine einzelne Säule, manchmal ganze Statuen. Die Australier erzählten, wie schrecklich sie das Studium in Oxford fanden und wie sehr sie Sydney vermissten. Rein klimatisch gefiel es ihnen gut in Griechenland, aber sie hatten praktisch niemanden kennengelernt, weil sie die ganze Zeit gearbeitet hatten. Jetzt wollten sie ein paar Tage ausspannen und dann Delphi und einige Stätten auf der Peloponnes besuchen. Sie hatten noch eine lange Liste von Dingen, die sie ansehen, fotografieren und zeichnen wollten. Und sie waren noch nicht ein einziges Mal im Meer gewesen.
Damit war die Stunde des Problemlösers angebrochen. Nikos erklärte ihnen den Weg zum Strandbad in Vouliagmeni und riet ihnen, morgen dorthin zu fahren.
„Am Abend gibt es ein Begrüßungsessen für Tom und seinen Freund Dave. Wollt Ihr nicht mitkommen?"
Tom seufzte innerlich und überlegte sich, wie er Christina beibringen sollte, dass sie vier Stühle mehr brauchten. Das nächste peinliche Telefongespräche am frühen Morgen!
Während Nikos weitere Vorträge hielt, fiel Toms Blick auf Sandys Hand, die definitiv in Mannys Hand ruhte. Er konnte sich gar nicht von dieser Szene losreißen. Als er es endlich schaffte, schaute er in Sandys blaue Augen, die ihn verschmitzt anlächelten:
„Ihr könnt froh sein, dass wir die beiden Zimmer neben Euch haben, sonst hättet Ihr bestimmt Ärger bekommen, bei dem Krach, den Ihr gemacht habt."
Wie schon manchmal in diesem Land wünschte sich Tom ein Loch im Boden, um darin zu versinken.
„Wir haben Krach gemacht?" stammelte er.
„Mach Dir keine Sorgen, so ähnlich hat's bei uns auch angefangen."
„Was hat bei Euch so ähnlich angefangen?" krähte Nikos.
Sandy zeigte ihm sein liebstes Zahnpastalächeln:
„Ich hab ihm nur gesagt, dass wir beide ein Paar sind, und dass wir letzte Nacht von Euch fast gar nichts gehört haben. Ja, und gern mag ich Euch auch."
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Die richtigen Leute Band 2: Die Insel der Schreie
Roman pour AdolescentsEin Jahr ist vergangen, seit Tom in Griechenland Menschen kennenlernte, die zugleich Opfer und Widerstandskämpfer der Militärdiktatur waren, seit er von der Geheimpolizei verhört und bedroht wurde, seit er neue Freunde fand und seit er Sophia ein Ve...