Schon am frühen Morgen brach hektische Betriebsamkeit aus. Tom brachte den Roller zurück, den sie nun nicht mehr brauchten. Dann kamen auch schon die Australier. Ihr Wagen hatte durchgehende Sitzbänke, sodass die sechs genügend Platz hatten. Sie legten zwei Decken auf die Ladefläche, um die Rückfahrt für ihre Gäste etwas bequemer zu gestalten. In Griechenland wurden oft viel mehr Personen in einem Auto transportiert, als laut Zulassung vorgesehen war. Aber solche Papiere waren eben wohlgemeinte Ratschläge, mehr nicht.
Basilis versammelte alle um den Tisch auf der Terrasse:
„Vor ein paar Tagen wäre unsere Aktion fast schief gegangen, weil Tom und Dave für britische Deserteure gehalten wurden. Diese beiden Briten haben, bevor sie untergetaucht sind, eine Waffenlieferung nach Irland umgeleitet, die für die Engländer auf Zypern gedacht war. Sie waren Schläfer der IRA, wenn Euch das was sagt."
Seine Zuhörer murmelten Zustimmung. Wer kannte nicht die Organisation, die für die Freiheit Nordirlands gegen die englischen Kolonialtruppen, wie sie sie nannten, kämpfte?
„Die Iren haben uns gebeten, die beiden auf den Weg nach Rom zu bringen," fuhr Basilis fort. „Wir arbeiten manchmal zusammen, wenn es sein muss. In Athen steigen sie wie auch Andreas in Lastwagen, die sie über Patras nach Italien bringen. Vom Hafen Ancona aus bringt jemand alle drei nach Rom, und von da fliegen sie zusammen nach Shannon. Die beiden Iren bleiben in der Republik Irland, fürs erste, und Andreas fliegt weiter nach Toronto." Er wandte sich an die Australier: „Ihr holt sie also heute in Gortyn ab. Ihr trefft sie in den Ruinen. Ich lasse Euch jetzt allein. Bitte diskutiert noch mal, ob Ihr das machen wollt. Ihr wisst ja, nach den beiden wird gefahndet. Wenn Ihr erwischt werdet, seid Ihr dran."
Damit ging er ins Haus und ließ sieben junge Männer mit gemischten Gefühlen zurück. Tom merkte, wie der Sog der Ereignisse immer stärker wurde. Sie hatten kaum die eine Aufgabe halbwegs abgeschlossen, schon stand die nächste vor der Tür. So langsam freute er sich, wieder aufs Festland zu kommen. Nicht, dass ihm die letzten Tage keinen Spaß gemacht hatten, im Gegenteil. Aber er wurde allmählich müde. Für einen Agentenanfänger wie ihn waren die Adrenalinschübe wohl doch etwas zu häufig geworden.
Er sagte den anderen, er müsste noch telefonieren, und ging einige Gassen weiter. Von einem Kiosk aus rief er Nikos an und gab ihm eine verklausulierte Zusammenfassung der Ereignisse.
Sophia richtete ihm Grüße von Stephanos und Christina aus. Nikos, Dave und Tom sollten am Abend, wenn sie wieder in Athen waren, zu ihnen kommen. Tom freute sich, denn seine Gastgeber vom Vorjahr hatte er bisher nur bei dem Begrüßungsessen getroffen. Seine Laune hellte sich deutlich auf.
„Hat irgendjemand was dagegen, dass wir die Iren abholen?" fragte er auf der Terrasse in die Runde. Er erntete allgemeines Kopfschütteln. Dave hatte mit einem Kurzvortrag über die IRA die Australier überzeugt, die anfangs eher skeptisch gewesen waren. Die Eltern seiner Mutter stammten aus Ulster, seine Familie war katholisch - ein weiterer Makel in Sandhurst.
Die Irisch-Republikanische Armee kämpfte quasi das letzte Kapitel des Freiheitskampfes gegen die Engländer. Die anderen Provinzen waren seit Jahrzehnten ein eigenständiger Staat, nun galt es, die Nordprovinz auch zu befreien. Der Konflikt nahm immer gewalttätigere Formen an. Wie in Athen, so explodierten auch in Nordirland Sprengsätze, mit dem Unterschied, dass die IRA – ebenso wie die protestantischen Unionisten - bedenkenlos mordete, während in Griechenland zwar amerikanische Einrichtungen oder Militäranlagen angegriffen wurden, aber so gut wie nie Menschen zu Schaden kamen. Aus diesem Grund kooperierte die griechische Widerstandsgruppe nur gelegentlich und eher widerwillig mit den Iren, fügte Basilis Daves Ausführungen hinzu, als er sich wieder zu ihnen setzte.
DU LIEST GERADE
Die richtigen Leute Band 2: Die Insel der Schreie
Teen FictionEin Jahr ist vergangen, seit Tom in Griechenland Menschen kennenlernte, die zugleich Opfer und Widerstandskämpfer der Militärdiktatur waren, seit er von der Geheimpolizei verhört und bedroht wurde, seit er neue Freunde fand und seit er Sophia ein Ve...