44 Eine Hand wäscht die andere

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Der Mann richtete sich auf. Nun wirkte er doch angespannt.

„Ich verlasse in Kürze das Land, ganz legal, Urlaub mit meiner Frau in Paris. Wir werden nicht zurückkommen. Das Problem ist unser Sohn. Er war bei der KKE, hat einen Anschlag im Norden verübt. Man hat ihn verraten, nach ihm wird gefahndet. Ihr könnt Euch denken, was passiert, wenn er gefasst wird. Er versteckt sich seit Wochen in einer Wohnung in Thessaloniki.

Ich möchte Eure Gruppe bitten, ihn nach Jugoslawien zu bringen. Ich habe einen Freund in Skopje, der ihn von der Grenze abholen kann. Das Problem ist, er will das nicht. Er will hierbleiben. Deswegen mein Plan B: Ich weiß ja, wer Eure Führer sind. Sie sind vernünftiger als diese Erzkommunisten. Wenn er nicht ausreisen will, möchte ich, dass Ihr ihn aufnehmt und ihn bremst, damit er sich nicht wieder in Gefahr bringt."

„Eine ganz schön große Bitte, finde ich," kommentierte Martin. „Nun bin ich mal sehr gespannt auf das sensationelle Angebot, das Sie uns angeblich machen wollen."

Der Mann antwortete betont nüchtern:

„Mein Angebot umfasst zwei Bereiche. Zum einen würde ich alle Akten vernichten, die im Zusammenhang mit Euch stehen. Ihr wärt alle wieder ein unbeschriebenes Blatt. Das schließt Christina und Stephanos ein und, soweit das geht, auch die Professoren. Das andere ist für Eure Chefs sicher interessanter als für Euch. Ich kann ihnen eine Liste aller Personen geben, die in der Region Mazedonien für den Geheimdienst arbeiten, dazu alle Personen an den Universitäten und Hochschulen im ganzen Land."

„Warum sollten wir Ihnen das glauben," hakte Martin nach. „Nachprüfen können wir weder, ob diese Listen stimmen, noch, ob unsere Akten endgültig vernichtet sind."

Der Mann hatte auf diese Frage gewartet:

„Weil ich Euch meinen einzigen Sohn anvertraue. Vertrauen gegen Vertrauen."

Martin hatte einen Blitzeinfall:

„Ich könnte mir vorstellen, dass dieses Angebot meine Chefs fast zufriedenstellt. Aber Sie könnten noch etwas für uns tun. Eine Hand wäscht die andere. Wir brauchen einen kompletten Satz legale Papiere für einen guten Freund. Ausweis, Geburtsurkunde, Armeebescheinigung, Führerschein, solche Sachen. Wie lange brauchen Sie für so etwas? Es muss absolut sicher sein, dass niemand die Identität knacken kann."

Dem Mann gefiel dieses Spiel ganz gegen seinen Willen:

„Unere Spezialisten erledigen das in drei Tagen. Dann muss ich allerdings trotz Urlaub noch mal ins Amt. Na ja. Ich habe aber eine Bedingung: Ihr sagt mir, für wen das ist. Wenn ich die Papiere mache, sehe ich's ja sowieso."

„Gut," meinte Martin, „wenn Sie das wirklich wissen wollen. Es wird Ihnen weh tun, weil es Ihnen noch einmal zeigt, wie wenig Sie Tom vor einem Jahr beeindruckt haben. Tom, hier, Sandy, der da, und ich, wir haben auf Leros einen deutschen Spion kennengelernt und so lange mit ihm geredet, bis er darum gebeten hat, bei uns mitmachen zu dürfen. Er braucht eine legale griechische Identität. Zufrieden?"

Der Geheimpolizist hatte genügend Verhöre hinter sich, um beurteilen zu können, wann er angelogen wurde und wann nicht. Dieser Junge log nicht, und doch hörte es sich komplett absurd an. Unwillkürlich tauchte das Bild des verschüchterten und gleichzeitig wütenden Tom vor seinem geistigen Auge auf, der ihm vor einem Jahr hasserfüllt im Büro gegenübergesessen hatte.

Man sieht sich immer zweimal, die Sachsen hatten recht. Alle vier, die an diesem Tisch saßen, waren aus hartem Holz geschnitzt, so viel war klar. Und ihre Gruppe war im ganzen Land gut vernetzt. Das hieß, wenn die ihm helfen würden, dann war ihm geholfen. Fast hoffte er, sein Sohn würde die Ausreise ablehnen und sich der Gruppe anschließen. Er hatte eine Idee – eine Hand wäscht die andere:

Die richtigen Leute Band 2: Die Insel der SchreieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt