36 Das Treffen der Agenten

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Tom legte ein altes, abgegriffenes Buch mit einer Zeichnung des Hauses, das er angeblich suchte, in seine Umhängetasche, dazu einige Instrumente, deren Funktion er nicht kannte. Mit dem Klemmbrett unter dem Arm marschierte er los.

Bis zum Hafen von Panteli war es kaum eine Viertelstunde, und tatsächlich erkannte er schon von Weitem seine „Zielperson", die den Horizont betrachtend an der Kaimauer stand, an der einige Fischerboote dümpelten. Er wartete, bis der Deutsche sich in Bewegung setzte, und begegnete ihm dann ganz „zufällig" auf der schmalen Uferstraße.

Seinen Blick mehr auf sein Klemmbrett als auf den Mann gerichtet, sagte er seinen auswendig gelernten griechischen Satz auf:

„Entschuldigung, können Sie mir vielleicht helfen. Ich suche (er gab vor, Schwierigkeiten zu haben, die Adresse des Hauses auf seinem Brett zu lesen, und fiel unvermittelt ins Deutsche) verdammt, Scheißschrift, kann doch keine Sau lesen..."

Der Mann unterbrach ihn:

„Bist Du Deutscher? Was hast Du denn für ein Problem?"

„Oh, meine Rettung. Endlich mal jemand, der Deutsch spricht. Diese Idioten geben mir diese Adresse hier, und ich laufe seit einer Stunde im Kreis herum und finde sie nicht."

„Zeig mal. Ach, das ist doch der ganz andere Hafen. Was willst Du denn da überhaupt?"

„Sorry, mein Name ist Rudy (mit scharfen deutschem r), die Archäologen haben mich losgeschickt, dieses Haus hier zu finden."

Er kramte das alte Buch aus seiner Tasche, auf dessen erster Seite der Stempel des Instituts prangte, schlug eine markierte Seite auf und zeigte sie dem Mann.

„Ja, das kenne ich, das ist im nördlichen Hafen. Ich heiße Bernd. Wenn Du willst, kann ich Dich mitnehmen. Ich muss auch in die Richtung."

„Das wär toll, danke. Gut, dass ich nur drei Tage hierbleiben muss. Die Insel nervt mich jetzt schon. Vor allem darf ich keinen falschen Schritt machen, ich habe nur eine Erlaubnis für ein paar wenige Straßen."

„Ja, so ist das hier. Mich wundert, dass sie Dich überhaupt hierhin lassen."

Diese Bemerkung nahm Tom zum Anlass, seine Geschichte – befristeter Parktikumsplatz am Archäologischen Institut, Fotografieren bestimmter Gebäude, Projekt mit Kunsthistorikern – zu erzählen. Vorgeblich froh, einen Deutschen zu treffen, schimpfte er über den Auftrag und jammerte, er hätte eigentlich gehofft, an einer Ausgrabungsstätte eingesetzt zu werden, und zwar einer richtig antiken, anstatt Häuser zu begutachten, die nicht einmal 60 Jahre alt waren.

„Wem sagst Du das? Ich sitze jetzt seit fast einem Jahr auf diesem gottverdammten Felsen fest, hab noch keine hundert Seiten geschrieben, kannst Du Dir das vorstellen? Ich bin nämlich Schriftsteller, dachte, auf so einer Insel fällt mir etwas ein. Falsch gedacht. Es kotzt mich an. Nur gut, dass ich morgen endlich nach Hause fahren kann. Obwohl, was ich in Deutschland dann anfangen soll – ich hab keine Ahnung."

Tom spitzte die Öhrchen. Die Frustration war nicht gespielt, das meinte er herauszuhören. Vielleicht eröffneten sich hier Möglichkeiten. Aber wenn Bernd am nächsten Tag abreiste, war äußerste Eile geboten. Er durchdachte seine Optionen. Er musste so schnell wie möglich eine Vertrauensbasis aufbauen. Der angebliche gemeinsame Frust könnte ein Ausgangspunkt sein.

Sein Schicksal ausführlich, aber nicht zu dick aufgetragen bedauernd, begleitete er den „Schriftsteller" durch die Gassen des kleinen Ortes nach Norden.

„Können wir vielleicht kurz einen Kaffee trinken, ich bin scharf auf das Wasser, bin völlig ausgetrocknet. Scheißhitze."

Bernd zögerte einen Augenblick. Eigentlich waren ihm schon zu viele Worte rausgerutscht. Andererseits hatte er Lust, mal wieder mit jemandem Deutsch zu sprechen.

Die richtigen Leute Band 2: Die Insel der SchreieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt