Irgendetwas sträubte sich noch, doch der deutsche Agent meinte, schlimmer könnte es sowieso nicht werden:
„Ich komme aus Eving, also Dortmund. Meine Mutter ist Griechin, ich spreche und lese perfekt. Mein Vater ist Säufer, also nicht von Beruf, da steht er am Abstich, Stahlwerk, Heißbetrieb, kennt Ihr sicher. Der totale Knochenjob. Die meisten, die das machen, sind mit 40 kaputt. Mutter ist abgehauen, als ich 10 war, nie wieder was von ihr gehört. Wahrscheinlich ist sie in Griechenland. Mein Vater hatte sie nicht mehr zum Prügeln, also war ich dran.
Realschule eben so gepackt, mit 16 zum Bund, irgendwann Anzeige gelesen „Komm zum Geheimdienst". Fand ich spannend, war ja Berufssoldat, wäre nie richtig befördert worden, also hab ich mich beworben. Sie haben mich wohl genommen, weil ich perfekt Griechisch und Deutsch kann. Musste zwei Jahre beim Bund bleiben, paar Sonderlehrgänge, dann zum MAD, wieder Lehrgänge, Innendienst. Dann Auslandseinsatz! Ich hab mich gefreut. Sowas gibt's beim MAD ja nicht oft. Seitdem sitze ich hier, schreibe Kennungen von Booten auf, gucke, wer kommt und geht, berichte. Ein Jahr lang jeden Tag. Die einzige Abwechslung ist, wenn Besuch aus Deutschland kommt, aber die sind am nächsten Morgen wieder weg."
Besuch aus Deutschland? Vom Geheimdienst? Nachts? Was sollten die hier wollen? Toms Gehirn arbeitete auf Hochtouren.
„Was ist mit den Tunnelplänen? Benutzt Du die für irgendwas?"
„Wenn ich dazu was sagen soll, musst Du mir erst mal erzählen, was Du mir anbieten könntest, rein theoretisch natürlich."
„Gut, das sehe ich ein."
Tom brauchte noch eine Denkpause. Sein Angebot musste überzeugend sein, und er müsste es auch einlösen können. Er lehnte sich sehr weit aus dem Fenster:
„Ich bin autorisiert, Dir folgendes anzubieten. Wir bekommen all Deine Unterlagen und Zugang zu Verstecken hier auf der Insel. Wir wissen, dass es die gibt, nur nicht, wo. Du wirst eine Zeitlang bei einem von uns untertauchen. Du bekommst eine neue Identität und einen griechischen Pass. Wenn wir Dich besser kennengelernt haben, kannst Du vielleicht bei uns mitmachen. Wenn nicht, kannst Du Dir einen Job suchen und machen, was Du willst. Nur eins nicht: Reden. Denk nach."
Und Bernd dachte nach. Was ihm hier geboten wurde, war nicht weniger als ein kompletter Neuanfang. Und zwar ein richtiger, mit einer absolut neuen Identität. Welcher Mensch bekommt schon diese Chance?
„Ich habe alle Tunnelpläne hier. Es gibt zwei, die von meinem Dienst genutzt werden. Das ist der Hauptgrund, warum ich hier bin. Alle vier Wochen kommt ein Boot, ganz harmlos, ein Fischerboot von der Nachbarinsel. Nachts transportieren Leute von uns Sachen in zwei Tunnel, einer davon direkt unter einem englischen Funkturm, der im Moment nicht genutzt wird. Ich schätze, sie wollen ihn in Betrieb nehmen. Warum auch immer. Die nehmen dann auch meine schriftlichen Berichte mit."
Martin schaltete sich ein:
„Okay, verstehe ich. Wann kommen die das nächste Mal?"
„Die waren gerade da und kommen erst zwei Wochen nach meinem Urlaub wieder, also in knapp sechs Wochen."
„Wann und wie verlässt Du die Insel?"
„Ich fahre morgen Nachmittag mit der Fähre nach Piräus, mit der ganz langsamen, die an jedem Felsen anhält."
„Und es gibt in Deinem Urlaub keine Vertretung?"
„Nein, ich weiß nicht, wieso. Vielleicht haben sie keinen, der Griechisch spricht."
„Das heißt, Du bist übermorgen in Piräus, richtig? Wirst Du da abgeholt?"
„Nein, ich soll ein Taxi zum Flughafen nehmen."
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Die richtigen Leute Band 2: Die Insel der Schreie
Teen FictionEin Jahr ist vergangen, seit Tom in Griechenland Menschen kennenlernte, die zugleich Opfer und Widerstandskämpfer der Militärdiktatur waren, seit er von der Geheimpolizei verhört und bedroht wurde, seit er neue Freunde fand und seit er Sophia ein Ve...