Die deutschen Familien bekamen gerade ein Stück Melone mit etwas Schinken als Vorspeise ihres Halbpensionsmenüs, als ein tiefbraun gebrannter, etwas zottelig aussehender junger Mann in einer grauenhaften Lederjacke mit einer wunderschönen jungen Frau an der Hand den Speiseraum betrat. Heike erkannte Xenia sofort, aber wer war der Mann an ihrer Seite?
„Martin," rief sie, als er näher kam. Alle Augen richteten sich auf das ungleiche Paar. Martins Vater fiel die Gabel laut klirrend aus der Hand.
Souverän führte der Nürnberger seine Geliebte an den Tisch, lächelte in die Runde und sagte:
„Ich möchte Euch meine Freundin Xenia vorstellen. Habt Ihr noch zwei Plätze frei?"
Seine Mutter fasste sich als erste:
„Natürlich, setzt Euch, bestimmt gibt es für Xenia auch noch etwas zu essen."
Sie gab dem Mädchen die Hand, und Xenia sagte ihren auswendig gelernten deutschen Satz auf:
„Ich freue mich, Sie kennenzulernen. Danke für Ihre Gastfreundschaft."
Martins Vater hatte sich allmählich gesammelt. Er gab Xenia die Hand und wandte sich an seinen Sohn:
„Ich dachte, du bist Klettern am Olymp. Was machst Du hier?"
„Ich musste umplanen, bisschen Geld für den Untergrund besorgen, Papiere nach Jugoslawien schmuggeln und sowas."
Martin wusste: erzähle die Wahrheit, und niemand wird's glauben. Xenia unterbrach ihn lachend und sagte auf Englisch:
„Lass doch den Quatsch, Martin. Sag ihnen schon, dass der Admiral Dich zurückgerufen hat, weil Du seine Kinder unterrichten sollst."
Martins Mutter war erleichtert, sein Vater verstand gar nichts, außer „Admiral".
„Was ist das denn für eine Jacke, und wie siehst Du überhaupt aus?"
„Ja, die Jacke, das ist ein Geschenk vom Widerstand, dafür, dass wir die Albaner überwältigt haben und das Geld gerettet, und sowas. Den Bart muss ich mir für meinen nächsten Auftrag stehen lassen, da darf ich nicht erkannt werden."
Xenia fiel ihm schon wieder ins Wort:
„Gib lieber zu, dass Du Dir die Jacke von Nikos geliehen hast, weil Du sie so schön findest, das scheußliche Ding. Und rasieren kannst Du Dich wirklich mal."
Martins Mutter lachte laut auf. Zu schön, was sich ihr Sohn da ausgedacht hatte. Obwohl...
Ein Kellner brachte zwei zusätzliche Gedecke. Nun war es Zeit für Martins Part, an dem er hart gearbeitet hatte. Er fuhr den Kellner auf Griechisch an:
„Was ist das denn für ein ekliger, deutscher Wein, der hier rumsteht. Weg mit den Flaschen, und Retsina gebracht, aber gregora, gregora."
Zum Entsetzen seines Vaters räumte der Kellner den guten sauren Mosel ab und kam im Laufschritt mit ein paar eiskalten Flaschen von diesem griechischen Bauernwein an, den er immer weit von sich wies. Kein Wein war wie ein Moselriesling!
Auf Martins Geheiß wurde in die bereitstehenden zweiten Gläser Retsina gekippt, er stieß mit Xenia an und sagte „Jamas" in die Runde. Weltmännisch erklärte er:
„Ihr werdet sehen, der zweite Schluck ist schon ganz lecker."
„Seit wann sprichst Du denn Griechisch?" fragte sein Vater.
„Ach, wenn man Tag und Nacht mit den Rebellen im Untergrund unterwegs ist, geht das ganz schnell. Die meisten können ja gar kein Englisch." Xenia fuhr wieder dazwischen:
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Die richtigen Leute Band 2: Die Insel der Schreie
Ficção AdolescenteEin Jahr ist vergangen, seit Tom in Griechenland Menschen kennenlernte, die zugleich Opfer und Widerstandskämpfer der Militärdiktatur waren, seit er von der Geheimpolizei verhört und bedroht wurde, seit er neue Freunde fand und seit er Sophia ein Ve...