11 Eine Vespa für die Kämpfer

4 3 0
                                    

Langsam wurde es hell. Im Osten stieg die Sonne als riesiger Ball aus dem Meer. Die Insel kam schnell näher, und Tom ging zurück, um Dave zu wecken. Er knüllte Betttuch und Laken zusammen und legte sie in die Ecke, was Dave ihm überflüssigerweise nachmachte. Den Besuch im Sanitärbereich beschränkten sie nach einem kurzen, ernüchternden Blick auf das Allernötigste, obwohl Tom fand, eine Dusche wäre allmählich angebracht.

Zum Glück hatte er ja das Deo, dessen Anwendung in der engen Kabine allerdings dazu führte, dass sie samt Gepäck umgehend flüchten mussten, wollten sie dem sicheren Erstickungstod entgehen. Sie händigten dem Purser den Schlüssel aus und begaben sich zu den Australiern nach oben, während sie in den Hafen einliefen. Schon von Weitem fiel Tom auf, dass Kreta im Vergleich zu Mykonos riesig war. Im Inselinneren türmten sich Gebirge. Dave meinte anerkennend:

„Das ist das Paradies für Bergsteiger. Meer unten, richtige Berge oben, schön warm. Was will man mehr?"

Sandy hatte inzwischen noch zwei Bücher über Kreta gelesen und erzählte, dass manchmal selbst im Sommer auf den höchsten Gipfeln noch Schnee lag. Ein echtes Hochgebirge also. „Was für ein Glück, dass wir nicht zum Bergsteigen hier sind," dachte Tom, denn er konnte diesem Sport so gar nichts abgewinnen. Raufklettern, nur um wieder runterzuklettern, das machte vielleicht in so einem begrenzten Raum wie dem Theater von Delphi Spaß, aber mehr musste nicht sein.

Hunderte Menschen zwängten sich die enge Gangway hinunter, von der aus mächtige Festungsmauern hinter dem benachbarten antiken Hafen zu sehen waren, die die Australier in Verzückung versetzten. Tom erblickte abseits der Fußgängerströme Basilis, der ihm zunickte. Mit gebührendem Abstand liefen sie hinter ihm her durch den quirligen Hafen und die gerade erwachende Stadt. Die Bürgersteige wurden von den Laden- und Restaurantbetreibern gesäubert. Nur wenige Touristen saßen so früh in den Cafés.

Basilis lotste sie quer durch die Altstadt in ein Viertel mit engen Sträßchen und zweistöckigen Häusern, die von Gärten umgeben waren. Er betrat die Veranda eines Hauses. Tom ging mit den anderen weiter, bis er sicher war, dass ihnen niemand gefolgt war, so wie es ihnen der Alte Mann vor einem Jahr beigebracht hatte. Dann kehrten sie um und betraten das Haus durch die offen stehende Eingangstür. Sandy war überrascht. So viel Umsicht hatte er Tom nicht zugetraut.

In dem großen Wohnzimmer sorgten zwei breite Sofas und Wände voller Bücher für Behaglichkeit. Eine Tür führte auf die Terrasse an der Rückseite des Hauses, eine andere in die Küche, und aus einer weiteren trat eine etwa 40-jährige Frau mit grauen, zu einem Zopf gebundenen Haaren. Sie trug ein einfaches, graues Kleid und ein buntes Kopftuch.

„Willkommen auf Kreta," begrüßte sie die Ankömmlinge und lud sie zum Frühstück auf die Terrasse ein. Sie lebte allein in dem Haus und vermietete die drei Zimmer im oberen Stockwerk an Studenten, von denen Basilis einer war. Die beiden anderen verbrachten die Semesterferien bei ihren Familien.

Zuerst trug Basilis aber die Taschen in sein Zimmer und zeigte den Neuen die ganze obere Etage, wo sich auch noch eine Art Gemeinschaftsraum sowie Dusche und WC befanden.

„Übrigens braucht Ihr vor Lydia kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Sie gehört zu uns."

Ihr Mann war seit zwei Jahren verschwunden, erzählte er. Sie hoffte, er sei im Untergrund oder im Gefängnis. Sie befürchete, dass er vielleicht nicht mehr lebte. Sie wusste es nicht.

Beim Frühstück erläuterte ihnen Basilis, was in den nächsten Tagen anstand, und nun wurde es Tom doch etwas flau im Magen.

„Dave, von Dir habe ich ja schon gehört. Man hat mir gesagt, dass Du uns helfen willst. Willkommen an Bord. Aber," wandte er sich an die Australier, „was ist mit Euch?"

Die richtigen Leute Band 2: Die Insel der SchreieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt