Um halb zwölf rollten sie nach Nafplion hinein. An der palmengesäumten Hafenpromenade mit einem romantischen Blick auf eine kleine Inselfestung reihte sich ein Café an das andere. Das Artemis lag ungefähr in der Mitte des Hafens. An den Tischen im Freien saßen einige wenige Touristen. Sie drehten auf dem Platz vor der Kommandantur und fuhren langsam zurück. Im Artemis war niemand, der Herrn Hakennase ähnlich sah. Am Ortsrand drehten sie erneut und warteten, bis es zwölf war.
Dann fuhren sie wieder bis zum Café. Sandy hielt mit laufendem Motor am Straßenrand. Tom sah den Mann sofort. Er trug einen grauen, leichten Leinenanzug, eine Sonnenbrille und einen weißen Hut, der bei ihm nicht minder peinlich aussah als bei den Touristen, bei denen er in diesem Jahr hoch im Kurs stand. Um seinen Hals baumelte ein Fotoapparat, auf dem Tisch vor ihm lag ein Prospekt von Mykene.
Tom holte tief Luft, stieg aus und steuerte seinen Tisch an. Gruß- und äußerlich emotionslos sagte er:
„Kommen Sie bitte mit?"
Der Mann antwortete mit seiner schmeichelnd-weichen Stimme, die Tom den Rücken herunter lief wie ein Stück Sandpapier:
„Guten Tag, Tom. So viel Zeit muss sein. Du fühlst Dich ganz schön stark, mein junger Freund. Darf ich noch bezahlen?"
Tom hatte auf der Fahrt zwei Stunden lang diesen Moment geprobt. Dennoch spürte er, wie er langsam in eine Ecke der Markise emporschwebte.
„Ich bin nicht Ihr Freund. Bitte beeilen Sie sich. Ich warte am Wagen."
Er drehte sich um und überquerte gemächlichen Schrittes die zu dieser Zeit träge daliegende Straße. Er wusste, dass sich hinter seinem Rücken in diesem Augenblick entschied, wer hier wirklich am längeren Hebel saß.
Er lehnte sich an die Fahrertür und sah, wie der Mann einen Geldschein unter seine Kaffeetasse klemmte und aufstand. Er nahm den Prospekt vom Tisch und kam langsam auf sie zu. Tom öffnete die hintere linke Tür und bedeutete ihm, einzusteigen. Dann stieg auch er ein, sodass der Geheimpolizist zwischen ihm und Martin auf der Rückbank saß. Sandy fuhr los.
„Ich habe doch geschrieben, Nikos und Martin. Was soll der vierte Mann?"
Tom war nun ganz bei sich: sein Feind war in der Unterzahl. Martin und Nikos beobachteten ihre Umgebung, die Fahrzeuge vor und hinter ihnen. Es war nichts Auffälliges zu sehen.
„Ich glaube nicht, dass Sie in der Lage sind, Bedingungen zu stellen. Martin, machst Du mal?"
Sie tasteten ihn ab und leerten seine Taschen, in denen sich außer der Geldbörse und einer Brieftasche mit dem Dienstausweis der Geheimpolizei nichts fand.
„Sie werden verstehen, dass wir vorsichtig sind. Wir fahren zu einem Hotel in Palaia Epidavros, da können wir uns in aller Ruhe unterhalten. Aber vorher habe ich noch ein paar Fragen, sozusagen außerhalb des Protokolls. Ich bitte um ehrliche Antworten. Also, woher wussten Sie, dass ich auf Leros war?"
Der Polizist verstand, dass er die Wahrheit sagen musste. Die Jungen mussten Vertrauen zu ihm fassen, sonst wäre diese ganze Veranstaltung umsonst gewesen.
„Ich habe Dich vor ein paar Wochen auf der Passagierliste gefunden und Dich am Flughafen beschatten lassen, damit ich wusste, wo Du wohnst. Leider konnte ich Deine Überwachung nicht fortsetzen, sodass ich erst wieder von Dir gehört habe, als Du mit einem Freund auf der Kaimauer in Chania, Kreta, gesessen hast. Das haben die Engländer nämlich fotografiert. In einem anderen Dossier war von zwei Deserteuren, verschwundenen MGs und dem Gefängnisausbruch eines Kanadiers die Rede. Weder die Engländer noch unser Geheimdienst haben den Zusammenhang mit dem Foto erkannt. Ich schon.
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Die richtigen Leute Band 2: Die Insel der Schreie
Teen FictionEin Jahr ist vergangen, seit Tom in Griechenland Menschen kennenlernte, die zugleich Opfer und Widerstandskämpfer der Militärdiktatur waren, seit er von der Geheimpolizei verhört und bedroht wurde, seit er neue Freunde fand und seit er Sophia ein Ve...