Am Morgen teilte sich die Gruppe auf. Sandy fuhr mit dem neuen Mietwagen auf die Euböa und bat Sophia und Georgios, als Übersetzer mitzukommen. Tom stieg auch ein, um den Tag mit seiner Freundin zu verbringen. Nikos überließ ihnen die Straßenkarte. Den Weg zu Jannis' Werkstatt, wo er den Wagen zurückgeben sollte, würde er auch so finden. Am Abend wollten sich alle im Hotel am Strefi treffen. Während die Tour nach Athen schnell und ohne besondere Vorkommnisse verlief, erlebte Sandys Gruppe eine faustdicke Überraschung.
Ein verblichenes Schild zeigte ihnen den Weg zur Fähre gegenüber der nördlichen Spitze der Euböa, nur war von einem Anleger weit und breit nichts zu sehen. Zwei schwer beladene Dreiräder und ein Auto warteten einfach an einem mit Steinen befestigten Strandabschnitt in der Nähe eines Dorfes. Das gegenüberliegende Ufer war deutlich sichtbar, die Überfahrt dauerte nur eine Viertelstunde. Eine provisorisch aussehende Fähre näherte sich dem flachen Ufer. Die Bugklappe senkte sich langsam. Zwei Autos fuhren vorsichtig hinunter, ein paar Fußgänger folgten ihnen.
Dann winkte ein Matrose die wartenden Fahrzeuge herauf und kassierte die wenigen Drachmen für die Passage. Die Klappe hob sich wieder, und nach einer eleganten Drehung steuerte das Schiff die Insel an. Es hatte offenbar mit einer heftigen Strömung zu kämpfen, denn es fuhr schräg, nicht geradeaus.
Auf der Euböa quälten sie sich über Straßen nach Süden, die diesen Namen nicht verdienten, und fanden gegen Mittag Manos'Heimatdorf. In der Taverne des Ortes, der nicht mehr als 20 Häuser umfasste, tranken sie Kaffee und erkundigten sich nach dem Haus ihres Freundes. Der Wirt zeigte es ihnen und fragte Georgios:
„Ihr seid doch bestimmt diese Musiker aus Athen."
„Sind wir. Wie haben Sie uns denn erkannt? Waren Sie an der Taverne?"
„Das nicht, aber auf dieser Insel passiert nicht viel. Seit dem Wochenende haben die Leute endlich mal ein Thema. Es gibt nicht viele in der Gegend, die nicht von Euch gehört haben."
Wieder einmal sollten sie für ihren Verzehr nichts zahlen, aber natürlich legten sie einen ordentlichen Geldschein auf den Tisch.
Manos' Haus hätte man in Hohenberg als Schuppen bezeichnet, ein kleiner, viereckiger, weiß getünchter Bau mit einem Ziegeldach, winzigen Fenstern und einer Veranda mit Betonboden vor der offenstehenden Tür. Vor dem Haus war ein staubiger Platz, dahinter ein großer Garten mit allerlei Gemüsepflanzen und ein paar Obstbäumchen.
Sie parkten das Auto und stiegen aus. Eine ältere Frau in Schwarz erschien lächelnd an der Tür. Bevor Georgios etwas sagen konnte, lud sie die vier ein:
„Das ist aber schön, dass Ihr meinen Manos besuchen kommt. Er hat mir so viel von Euch erzählt, alle reden über Euch. Kommt rein, die Sonne ist doch viel zu heiß."
Das Haus bestand nur aus zwei Zimmern. In der Küche mit einem Holzofen standen ein großer Tisch, ein Küchenschrank, einige Regale und eine Liege, Manos' Schlafplatz. Die zweite Kammer war die Schlafstube seiner Mutter.
Als Sandy in das Halbdunkel der Küche trat, liefen ihm Schauer über den Rücken.
„Oh mein Gott," stammelte er. „Oh mein Gott."
Er setzte sich an den Küchentisch, den Kopf auf die Hände gestützt, und sagte immer wieder leise:
„Oh mein Gott, das glaube ich nicht."
Die anderen ahnten, was er meinte, aber sie verstanden seine Aufregung nicht. Die Küche war voller kleiner und großer Figuren. Der Raum sah mehr nach einem Touristenshop aus als nach einer Dorfküche, was seine Reaktion aber nicht erklärte.
„Sandy, alles in Ordnung mit Dir?" fragte Tom.
Bevor er antworten konnte, stellte Sophia erst einmal ihre Freunde vor. Alle setzten sich und bekamen Wasser zu trinken. Es war wieder einer dieser heißen Tage, an denen man am liebsten seine Füße in einen Eimer Eiswasser gestellt hätte.
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Die richtigen Leute Band 2: Die Insel der Schreie
Teen FictionEin Jahr ist vergangen, seit Tom in Griechenland Menschen kennenlernte, die zugleich Opfer und Widerstandskämpfer der Militärdiktatur waren, seit er von der Geheimpolizei verhört und bedroht wurde, seit er neue Freunde fand und seit er Sophia ein Ve...