Das Telefon der „Botschaftsmitarbeiter" im Stützpunkt Souda klingelte. Auf der Kaimauer in Chania säßen zwei junge Männer mit einer Vespa, meldete ein Militärpolizist, das könnten die Deserteure sein. Die Agenten ließen sich den genauen Standort beschreiben und hechteten zu dem Rover 2000, den ihnen der britische „Geschäftsträger" gerne zur Verfügung stellte.
„Das ist so ein schönes Land, und ich habe bisher nur freundliche Menschen getroffen. Wie kann es sein, dass es trotzdem so gefährlich ist, hier zu leben? Warum machen die sich das Leben so schwer?"
Dave hatte Schwierigkeiten, all die unterschiedlichen, zum Teil widersprüchlichen Erfahrungen auf einen Nenner zu bringen. Tom dachte an sein Verhör bei der Geheimpolizei im letzten Jahr:
„Ich glaube, ich kapiere das allmählich. Dieser Polizist saß da und erklärte mir, er könnte mich jederzeit verhaften, wenn er Lust dazu hätte. Es gibt Leute, die genießen es, Macht über andere auszuüben. Das ganze System basiert auf Machtgier. Sie wollen das Land total beherrschen. Das funktioniert, solange die Menschen Angst haben. Ich glaube, die Griechen sind dabei, die Angst zu überwinden. So viele Leute arbeiten aktiv gegen die Obristen, und ich kenne nicht viele, außer einem gewissen deutschen Lehrer, die das Regime gut finden.
Jannis, der Onkel von Nikos, hat mal gesagt, solange es Mikis und die Musik gibt, gibt es Hoffnung. Ich glaube, die Diktatur wird fallen. Nicht nur in Griechenland. Sieh Dir Spanien und Portugal an. Immer mehr Menschen aus freien Ländern reisen dorthin, viele Spanier, Portugiesen und Griechen arbeiten in Mitteleuropa. Auf die Dauer werden sie dafür sorgen, dass die Länder demokratisch werden."
Aus sicherer Entfernung beobachteten die Agenten die jungen Männer. Sie waren unschlüssig, ob es sich um die Deserteure handelte. Größe, Statur, auch die Haarfarbe passte, aber warum sollten sie so sichtbar herumsitzen, nachdem sie sich tagelang erfolgreich versteckt hatten? Sie beschlossen, abzuwarten und zu beobachten, was die beiden machten. Wenn es die Gesuchten waren, würden sie sie vielleicht zu ihren Hintermännern führen.
„Irgendwie ein gutes Gefühl, mitzumachen," meinte Dave, um abrupt das Thema zu wechseln:
„Was hältst Du eigentlich von Basilis und Lydia?"
„Basilis ist ein guter Freund, ziemlich clever und absolut zuverlässig. Lydia finde ich nett, aber mehr kann ich nicht sagen. Ich kenne sie ja kaum," antwortete Tom.
„Das meine ich nicht. Ich meine, was hältst Du von Lydia und Basilis? Ich habe sie heute morgen beim Küssen überrascht."
„Ach, die Griechen küssen viel, das weißt Du doch," meinte Tom.
„Nein, nein, ich kann ja wohl noch einen Kuss von einem Kuss unterscheiden. Das sah genauso aus wie bei Nikos und Dir. Die beiden sind ein Paar, glaube mir."
Tom fiel ein, wie Basilis der Frage nach seiner Freundin ausgewichen war, aber auch sein eigenes, nicht wirklich gradliniges Liebesleben:
„Ich wünsche ihnen Glück, und dass nicht der Ehemann eines Tages in der Tür steht."
„Amen."
Tom suchte sich einen Kiosk und rief Nikos in Athen an. Er gab ihm einen kurzen Bericht, und Nikos erzählte, er würde am Abend die Deutschen treffen. Tom wünschte ihm viel Spaß. Dann sprach er mit Sophia. Noch 4 Tage bis Piräus.
Auf dem Rückweg zum See sahen sie sich in der Dämmerung noch einmal die Stelle genau an, wo das Funkgerät übergeben werden sollte. An dem Gasthaus stellten sie den Roller in eine entfernte, unbeleuchtete Ecke des Parkplatzes.
Der Rover folgte der Vespa in großem Abstand. Als der Roller in die Sackgasse zu einem einsamen Gasthaus einbog, hielt der Fahrer an und löschte die Scheinwerfer.
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Die richtigen Leute Band 2: Die Insel der Schreie
Teen FictionEin Jahr ist vergangen, seit Tom in Griechenland Menschen kennenlernte, die zugleich Opfer und Widerstandskämpfer der Militärdiktatur waren, seit er von der Geheimpolizei verhört und bedroht wurde, seit er neue Freunde fand und seit er Sophia ein Ve...