27 Papa Michael und vier Genies ohne Chef

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„Chef, dahinter bleiben oder überholen?" rief Sandy.

„Überholen," antworteten drei Chefs gleichzeitig, und Nikos setzte hinzu:

„Wenn wir langsam fahren, machen wir uns nur verdächtig."

Sandy überholte den Polizeiwagen, die Beamten winkten freundlich, und sie grüßten erleichtert zurück.

„Ich glaube, die sollen für uns die Straße von Verbrechern freihalten. Nett, nicht," freute sich Tom. „Aber wir müssen uns mal darüber unterhalten, wer hier der Chef ist."

„Seit wann brauchen Genies einen Chef?" eröffnete Martin die Diskussion.

„Auch wieder wahr," beendete Tom sie.

Es war nach zehn, als sie die Hauptstraße verließen. Die Karte zeigte rechts von ihnen einen großen See, sie starrten aber nur in ein schwarzes Nichts. Sandy hielt an, und nun sahen sie in einiger Entfernung Lichter, die sich im Wasser spiegelten. Das musste Kastoria sein. Die Straße führte am Seeufer entlang, und dann waren sie in der Stadt.

Nikos dirigierte Sandy anhand der Skizze, die er bekommen hatte, zu ihrer Unterkunft mitten in der Altstadt in einer steil ansteigenden Seitenstraße. Ein merkwürdiger Geruch lag in der schwülen Luft. Millionen von Mücken umschwirrten die Straßenlaternen. Das gepflegte, aber offenbar ziemlich alte Gasthaus war, wie die meisten Häuser in der Straße, ein zweistöckiger Bau aus graubraunen Bruchsteinen.

Der Wirt ging mit Nikos zum Auto und beorderte ihn hinter das Haus. In einem geräumigen Schuppen wurde der Wagen geparkt. Dort stand auch ein geländegängiges Motorrad, mit dem er und Tom am nächsten Tag weiterfahren sollten. Nikos packte die Papiere in seine Tasche, der Wirt verschloss den Schuppen, und sie gingen zurück zu den anderen, die es sich an einem der sechs Tische in dem Gastraum gemütlich gemacht hatten.

Das Abendessen bestand aus einem scharfen Stifado mit Rindfleisch und Zwiebeln und einem köstlichen roten Wein. Sie waren die einzigen Gäste. Der Wirt erzählte, nur zu bestimmten Zeiten, wenn aus ganz Europa die Pelzhändler kamen, würde es in der Stadt richtig voll. Das erklärte auch den eigenartigen Geruch, der selbst in der Gaststube nicht ganz zu verleugnen war: Kürschner und Gerber verpesteten die Luft.

Während des Essens waren sie allein, doch dann kam noch ein später Gast. Der recht junge, übergewichtige Mönch mit einem imposanten schwarzen Bart und einem Haarknoten am Hinterkopf begrüßte sie herzlich, und zwar jeden in seiner Sprache:

„Ich bin Papa Michael," lachte er, „und ich erkenne sofort, aus welchem Land jemand kommt. Übrigens auch, wenn ich vorher nicht so eine genaue Beschreibung bekommen habe wie bei Euch. Willkommen in Kastoria, meine jungen Freunde. Ich hoffe, Ihr hattet eine schöne Reise."

Er fragte jeden einzelnen nach Wohnort und Familie aus und versprach Sandy und Martin für den nächsten Tag eine Führung in seinem Kloster, in dem er als einziger wohnte, wie er sagte. Nach jedem seiner Sätze bekam er einen kleinen Lachanfall und steckte damit die ziemlich übermüdeten Jungen an.

Nikos nestelte das schwarze Büchlein aus seiner Tasche und überreichte es dem Mönch. Der umschloss es mit seinen mächtigen Pranken wie eine wertvolle, kleine Ikone, lehnte sich zurück, schloss die Augen, und murmelte leise Worte vor sich hin. Dann kam er zurück in die Welt und sah in die Augen etwas betreten schauender Jugendlicher.

„Dieses Notizbuch ist von meinem Bruder Gabriel. Der war früher mit hier, aber nun ist er in einem Kloster auf einer weit entfernten Insel. Ich vermisse ihn sehr. Sandy, ich hörte, Du fährst auf die Insel. Wenn Du ihn siehst, grüße ihn bitte ganz herzlich von mir. Sag ihm, ich bete jeden Tag für ihn."

Die richtigen Leute Band 2: Die Insel der SchreieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt