18 | Prinzipien

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Ihr schönen Menschen, es geht weiter, und weil dieses Kapitel nicht so lang ist, lade ich direkt noch ein zweites mit hoch. Ich bin so gespannt, was ihr sagt. Nach dem Ende des letzten Kapitels sind wir uns denke ich alle einig, dass sie nicht länger warten kann, ihm endlich die Wahrheit zu sagen...

Maxim nippte vorsichtig an seiner Tasse heißem Kaffee. Beim ersten Schluck hatte er sich vor lauter Kopfchaos rund um Leticia die Zunge verbrannt, sodass sie sich nun taub anfühlte. Mit mürrischem Gesichtsausdruck stellte er das Heißgetränk zur Seite und fuhr sich schwer seufzend mit der Hand übers Gesicht.

Nachdem sein vergangener Abend mit Leticia so plötzlich geendet hatte, hatte er nur schwer in den Schlaf gefunden und fühlte sich wie gerädert. Kaum war er wieder aufgewacht, waren seine Gedanken wieder zu ihr zurückgekehrt.

Selten hatte eine Situation ihn derart überrascht. Nie im Leben hatte er damit gerechnet, als er all die Kilometer hierhergefahren war, um ihr das Armkettchen wiederzugeben, dass das Geheimnis, das sie augenscheinlich vor ihm verborgen hatte, eine Tochter sein könnte.

Einmal mehr kochte Wut in ihm hoch, die sich mit Enttäuschung vermischte. Er mochte sie, konnte tatsächlich er selbst sein, sich bei ihr fallenlassen und sich öffnen. Sogar vom Verhältnis zu seinem Vater und seiner Vergangenheit hatte er ihr erzählt. Doch obwohl er wusste, dass Leticia ihm die Wahrheit hatte sagen wollen, gelang es ihm nicht, es ihr nicht übelzunehmen. Ob er zu hart mit ihr ins Gericht ging?

Immerhin kannten sie einander kaum, also war es vielleicht ganz normal, dass sie ihm nicht direkt von Noemi erzählte. Schließlich war sie ihre Mutter und wollte die Kleine sicher nur beschützen.

Möglicherweise hatte sie auch Bedenken gehabt, er würde sie nicht wiedersehen wollen, wenn sie davon erfuhr. Kinder waren die ewige Gemeinsamkeit zweier Menschen, die sich unter Umständen längst getrennt hatten.

Ächzend fiel er wieder auf das zerwühlte Hotelbett, sank in die weichen Kissen und schloss die Augen. Wie alt Noemi wohl war? Er schätzte sie auf vier, maximal fünf Jahre. Ob ihr Vater sich um sie kümmerte? Oder waren Leticias Eltern ihre einzige Unterstützung? Hing sie vielleicht sogar noch an ihrem Erzeuger und hatte deshalb Hemmungen, sich ihm hinzugeben?

Schwer seufzend schüttelte er den Gedanken ab und tastete nach dem iPhone, das er nach dem Aufstehen achtlos in die Daunen geworfen hatte. Bisher war Leticia ihm nicht zuvorgekommen, sondern schien tatsächlich abzuwarten, dass er sich meldete. Also klickte er sich bis zu ihrer Nummer durch. Während er sich das Smartphone ans Ohr hielt und dem monotonen Tuten zuhörte, trank er einen Schluck aus seiner Kaffeetasse.

„Hallo?"

„Hey...Können wir reden?", kam er unmittelbar zur Sache.

Sie seufzte schwer.

„Auf jeden Fall. Jetzt ist es allerdings ein bisschen schlecht..."

Er runzelte skeptisch die Stirn. Dann setzte er die wenigen Puzzleteile zusammen.

„Geht's Noemi noch nicht besser?"

Er stellte die Frage automatisch, ohne überhaupt darüber nachzudenken.

„Nein. Sie konnte heute nicht in den Kindergarten und ich bin zuhause geblieben."

Er schwieg einen Augenblick. Einerseits wollte er sofort mit ihr sprechen, andererseits wusste er, dass er mit seiner Beharrlichkeit in dieser Situation viel verlangte.

„Ich weiß, dass der Zeitpunkt möglicherweise nicht richtig ist, aber wir sollten das nicht einfach so stehenlassen", sagte er.

„Ich verstehe, dass du wütend bist", erwiderte sie leise.

„Um ehrlich zu sein, weiß ich überhaupt nicht, was ich bin", gab er zurück. „Aber ich will nicht zurückfahren, ohne, dass wir über alles gesprochen haben."

Sie schwieg einen kurzen Augenblick, schien über eine Antwort nachzudenken.

„Okay. Kannst du vorbeikommen?"

Als Maxim kurz darauf den Wagen durch die verstopften Straßen lenkte, spielte er das bevorstehende Gespräch immer und immer wieder in seinem Kopf durch und legte sich Reaktionen auf mögliche Antworten zurecht. Er wusste, dass eine Vorbereitung nicht nötig war, aber er wollte keine weiteren Überraschungen, sondern Ehrlichkeit. Wie sollte er sie sonst weiter kennenlernen und an sich heranlassen, wenn er sich nicht sicher war, was der Preis dafür war? Und wollte er das überhaupt? Sie weiter kennenlernen? Je länger er darüber nachdachte, desto unschlüssiger war er. Wahrscheinlich konnte er diese Entscheidung erst nach ihrer Unterhaltung treffen.

Als er eine halbe Stunde später vor dem Mehrfamilienhaus stand und die Klingel herunterdrückte, atmete er tief durch. Es fiel ihm schwer, sich nicht anmerken zu lassen, wie er fühlte.

„Hallo?", drang Leticias Stimme blechern aus der Gegensprechanlage.

„Ich bin's", sagte er unnötigerweise. Der Summer ertönte und er drückte die Tür auf. Als er den oberen Treppenabsatz erreichte, erwartete Leticia ihn bereits an der Türschwelle und schenkte ihm ein unsicheres Lächeln.

Sie trug eine Jeans mit Löchern und ein khakifarbenes Shirt, das lässig über ihren sonst so heißen Körper fiel. An ihrem Handgelenk blitzte die Armkette ihrer Großmutter auf. Er schaute auf sie herab, als er vor ihr stehenblieb. Sie war komplett ungeschminkt und trotzdem wunderschön.

„Hi", begrüßte er sie und rang sich ein schiefes Grinsen ab.

„Hi", erwiderte sie und machte einen Schritt nach hinten, um ihn hineinzulassen. Er drückte sich an ihr vorbei und ignorierte den angenehmen Orangenduft ihres Duschgels.

„Wie geht's Noemi?", fragte er wie selbstverständlich, während er die Tür hinter sich ins Schloss drückte. Das begeisterte Funkeln ihrer Augen verriet ihm, wie sehr sie sich über diese kleine Geste freute.

„Nicht so gut. Sie hat immer noch Bauchschmerzen. Aber im Moment schläft sie", antwortete sie, drehte ihm den Rücken zu und führte ihn in die Küche. Sie war nicht besonders groß, dafür aber geschmackvoll. Die hellen Fronten waren matt und von offenen Holzregalen eingefasst. Eine von Eiche massiv umrahmte Blende aus Dekor-Glas ermöglichte den direkten Blick in die LED-beleuchteten Unterschränke und Schubladen. Auf dem Küchenblock standen sich ein paar Holzeinschübe, in denen Leticia Küchenutensilien und Kräuter untergebracht hatte. An der gegenüberliegenden Wand stand ein quadratischer Esstisch mit zwei Stühlen. Wahrscheinlich frühstückte Leticia hier nur mit Noemi. Einen Mann als weiteren, festen Bestandteil ihres Lebens schien es jedenfalls tatsächlich nicht zu geben.

„Möchtest du einen Kaffee?", fragte sie und nahm eine Tasse aus einem der Oberschränke. Maxims Blick fiel auf die sündhaft teure Kaffeemaschine auf der Arbeitsplatte. Dennoch hatte er nur ein Anliegen. „Nein, danke. Lass uns einfach direkt zur Sache kommen."

Ja, er hat es mindestens genauso eilig wie wir - und ich kann ihn verstehen. Er muss sich ja auch denken, was ist das denn für eine? Sagt die ganze Zeit nichts von ihrer Tochter, obwohl wir so viel Zeit miteinander hatten...

Wie ein TattooWo Geschichten leben. Entdecke jetzt