69 | Nachsicht

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Ihr Süßen, nur noch ein paar Kapitel. Bin ein wenig traurig.

Müde rollte sich Leticia an die Bettkante und warf Maxim einen kurzen Blick zu. Er lag auf dem Rücken, hatte die Augen noch immer geschlossen und schlief. Sein nackter Brustkorb hob und senkte sich gleichmäßig und Leticia seufzte kurz lautlos auf.

Bereits drei Tage war er jetzt hier, doch sie konnte noch immer nur schwer glauben, dass er alles andere einfach so hintenangestellt hatte, um bei ihr sein und ihr Kraft geben zu können. Seine Promophase für das kommende Album startete Ende nächster Woche, doch trotzdem war er geblieben und steuerte die Dinge von hier aus. Er hatte sogar den Videodreh für das zweite Video um ein paar Tage verschoben. Leticia konnte gar nicht in Worte fassen, wie viel ihr das eigentlich bedeutete. Immer, wenn sie darüber nachdachte, wie sie sich erkenntlich zeigen konnte, fiel ihr einfach nichts ein.

Langsam richtete Leticia sich auf und schwang ihre Beine aus dem Bett. Sofort wurde ihr kühl und sie sehnte sich nach dem vergangenen Abend mit Maxim zurück. Sie hatten einfach nur im Bett gelegen und er hatte sie sicher in seinem Arm gehalten. Dabei hatten sie über ihren Vater gesprochen.

Die Ärzte hatten inzwischen herausgefunden, dass sein Herz zunehmend schwächer wurde und deshalb nicht mehr genügend Blut durch seinen Kreislauf pumpen konnte. Er würde neue, stärkere Medikamente brauchen. Leticia ärgerte sich sehr darüber, denn ihr Vater hatte diesen Fortschritt seiner Herzschwäche selbst verursacht, einfach, weil er seine Medikamente nicht regelmäßig eingenommen hatte.

Bei ihrem gestrigen Besuch im Krankenhaus, hatte er sich einsichtig gezeigt und ihr versprochen, nicht noch einmal seine Gesundheit so leicht zu riskieren, doch Leticia hatte Schwierigkeiten damit, ihm wieder zu vertrauen. Sie wusste einfach nicht, was sie tun sollte; einerseits wollte sie hierbleiben und ihrem Instinkt nachgeben, ihren Vater zu überwachen, andererseits trug sie die Verantwortung für Noemi und lebte losgelöst von ihren Eltern ihr eigenes Leben.

Maxim hatte ihr vorgeschlagen, erst einmal allein mit Noemi nach Berlin zurückzukehren, damit sie weiter zur Schule gehen konnte. Leticia konnte so erst einmal in Spanien bleiben und sich um ihren Vater kümmern. Er hatte Leticia versichert, dass er sich auch ganz allein in ihrer Abwesenheit um Noemi kümmern konnte, ohne, dass es ihr an etwas fehlen würde. Doch Leticia war nicht wohl bei dieser Vorstellung; nicht, weil sie Maxim nicht ausreichend vertraute, sondern weil es Noemi gegenüber nicht fair war. Sie hatte ein Anrecht auf beide Elternteile. Maxim konnte unmöglich neben all seinen Terminen auch noch das übernehmen, was sie seit sechs Jahren versuchte, irgendwie bestmöglich zu meistern. Er war zwar optimistisch, doch Leticia wusste einfach aus Erfahrung, dass er schnell an seine Grenzen stoßen würde. Sie wollte das einfach weder für ihn, noch für Noemi.

Leticia hatte inzwischen verstanden, wie wichtig ihm dieses Album und sein Job waren und wollte einfach nicht, dass er sich zwischen Noemi und irgendwelchen Promo-Terminen entscheiden musste. Maxim war sehr perfektionistisch und hatte einen hohen Anspruch an seine Arbeit und an sich selbst. Das galt nicht nur für seine Arbeit, sondern auch für Noemi. Schließlich hatte er bereits in den ersten Jahren ihres Lebens nicht alles geben können und Leticia wollte unbedingt vermeiden, dass er eine ähnliche Situation notgedrungen wieder erleben musste. Es war von vornherein klar, dass er seinen Ansprüchen dauerhaft nicht in beidem gerecht werden konnte. Sich um Noemi zu kümmern, nahm eben mehr Zeit in Anspruch als einen halben Tag, vor allem, wenn Leticia nicht zuhause war. Sie gehörte jetzt einfach an seine Seite, nach Berlin, ganz egal, wie sehr ihr Herz deshalb für ihre Familie blutete.

Als sich plötzlich zwei Arme von hinten fest um ihre Brust schlangen, zuckte sie erschrocken zusammen. Sie hatte vor lauter Gedanken gar nicht bemerkt, dass Maxim wach geworden war und sich bewegt hatte. Er drückte sich von hinten fest an sie und zog sie zu sich heran. Seine Brust war nach wie vor warm. Leticia lehnte sich gegen ihn und schloss ihre Augen, legte dabei ihren Kopf auf seiner Schulter ab und genoss diesen kurzen Augenblick der Zuneigung.

Wie ein TattooWo Geschichten leben. Entdecke jetzt