Was soll ich euch sagen? Mein Herz...
Auch, als Leticia zwei Tage später das Frühstück zubereitete, kreisten ihre Gedanken noch immer um den anstehenden Umzug ihrer Eltern. Natürlich freute sie sich für die beiden, doch die Veränderungen bereiteten ihr Bauchschmerzen. Sie hoffte, Noemi würde die Nachricht gut aufnehmen, dass ihre geliebten Großeltern schon sehr bald nicht mehr immer greifbar waren. Ihr Blick huschte zu dem kleinen Mädchen herüber, das am Küchentisch saß und konzentriert auf seinem Zeichenblock herumkritzelte. Automatisch schlich sich ein Lächeln auf Leticias Lippen.
„Guck mal, Mama. Das habe ich für Maxim gemalt", offenbarte Noemi stolz und hielt ihr das Bild unter die Nase. Leticia biss sich auf die Zunge, als ihre Tochter seinen Namen erwähnte. Sie hatte ihr erzählt, dass er heute Geburtstag hatte. Da Leticia arbeiten musste und nicht verreisen konnte, hatte sie mit Maxim vereinbart, den Tag gemeinsam mit Noemi nachzuholen.
„Das ist aber toll", lächelte Leticia, als sie die Zeichnung näher betrachtete. Noemi hatte ein Haus gemalt. Davor standen eine Frau, ein Mann und ein kleines Mädchen. Die gewählten Haarfarben machten offensichtlich, dass es Leticia, Maxim und Noemi darstellen sollte. Das Bild erstrahlte in bunten Farben und Noemi hatte sich viel Mühe gegeben, beim Ausmalen innerhalb der Umrandungen zu bleiben.
„Meinst du, das gefällt ihm?", wollte Noemi wissen und sah fragend zu Leticia auf. Sie nickte.
„Ganz bestimmt."
„Können wir ihm einen Kuchen backen?", wollte Noemi wissen. Leticia grinste angesichts ihrer großen, flehenden Kulleraugen.
„Natürlich", antwortete sie, auch, wenn sie befürchtete, dass das Gebäck längst vertrocknet war, ehe sie es ihm überreichen konnte.
„Toll. Einen Regenbogenkuchen. Den mochte er doch so gerne", freute sich Noemi. „Können wir ihn nicht einfach besuchen? Er ist bestimmt ganz traurig, wenn er an seinem Geburtstag alleine ist", fügte sie besorgt hinzu.
„Er ist bestimmt nicht allein", versicherte Leticia. „Aber wir rufen ihn nachher an, damit du ihm gratulieren kannst."
Als Noemi eine Schnute zog, war klar, dass diese Antwort sie nicht zufriedenstellte.
„Und warum können wir ihn nicht einfach besuchen?", bohrte sie nach.
„Weil ich arbeiten muss", wiederholte Leticia einmal mehr an ihrem Tag ihre Begründung.
„Deine Arbeit ist doof", kommentierte Noemi und sank traurig auf dem Stuhl zusammen. Leticia seufzte.
„Tut mir leid, Maus. Aber wir besuchen ihn ein anderes Mal. Versprochen."
Sie schluckte, als sie die einsame Träne bemerkte, die Noemi über die Wange rollte.
„Aber ich habe ihn so lieb. Ich will heute bei ihm sein...", sagte sie traurig.
„Ich weiß", lächelte Leticia gerührt. Als sie realisierte, dass es bereits der fünfte Geburtstag ihres Vaters war, den er seit ihrer Geburt ohne Noemi verbracht hatte, biss sie sich auf die Zunge. Das schlechte Gewissen nagte an ihr. Elf Geburtstage hatte sie ihnen genommen. Es war zwar nur ein spontaner Impuls, doch er reichte aus, sie eine spontane Entscheidung treffen zu lassen. Möglicherweise konnte sie auf diese Weise ja einen kleinen Beitrag leisten, die Vergangenheit wiedergutzumachen. Entschieden zog sie das Smartphone aus der Gesäßtasche ihrer Jeans und tippte auf dem Display herum.
Sie konnte noch immer nicht glauben, dass sie das gerade tatsächlich tat, als sie in die Straße einbog, in der Maxim wohnte. Zusammen mit Noemi hatte sie ihm auf die Schnelle einen Geburtstagskuchen gebacken, einen Rahmen gekauft und ihr geholfen, ihr selbst gemaltes Bild als Geschenk zu verpacken. Sie war ein wenig nervös, denn sie wusste überhaupt nicht, welche Pläne Maxim für seinen Geburtstag hatte und ob er überhaupt zuhause war. Anrufen wollte sie ihn erst, wenn ihr niemand öffnete, um Noemis Überraschung nicht kaputtzumachen.
Das Herz schlug Leticia bis zum Hals, als sie schließlich seine Einfahrt erreichte. Noemi rutschte nervös auf dem Rücksitz herum und schaute aus dem Fenster.
„Endlich. Ich dachte schon, wir kommen nie an", kommentierte sie aufgeregt. Leticia lächelte automatisch. Zu sehen, wie sehr Noemi sich auf das Wiedersehen freute, ließ ihr Herz höherschlagen. Zu Leticias Erleichterung stand auch Maxims Auto vor dem Haus. Sie hoffte, dass er sich über die Überraschung genauso freute wie Noemi.
Als sie den Motor ausgestellt hatte, kletterte sie vom Rücksitz. Während Leticia den Wagen verschloss, balancierte Noemi den eingepackten Bilderrahmen und den darauf platzierten Regenbogenkuchen auf ihren Händen bis zur Haustür. Leticia, die ihr gefolgt war, drückte die Klingel herunter.
Nervös schob sie die Hände in die Taschen ihrer Jeans, während sie auf eine Reaktion warteten. Ein verräterisches Kribbeln machte sich in Leticias Bauch breit, während sie sich bemühte, ihre innere Unruhe in den Griff zu bekommen. Sie hoffte, dass Maxim ihnen diesen Überfall nicht übelnahm, war sich jedoch sicher, dass seine Wut verrauchen würde, sobald er in Noemis Gesicht schaute.
„Vielleicht ist er doch nicht zuhause", sagte sie, als sich nichts tat, und klingelte zur Sicherheit ein zweites Mal. Unschlüssig sah sie sich um. Ob ihn möglicherweise ein Freund abgeholt hatte? Vielleicht hatte er einen Termin und-.
Noch während Leticia sich in ihren Gedanken verlor, riss Maxim die Haustür auf. Sofort biss sie sich auf die Zunge. Er trug kein Shirt, lediglich eine lässige Jogginghose. Seine Haare standen in alle Richtungen ab. Obwohl sie es gar nicht wollte, brachte der Anblick seines muskulösen, tätowierten Oberkörpers ihr Blut in Wallung. Als er die beiden erkannte, weiteten sich seine Augen überrascht. „Was macht ihr denn hier?"
Leticia zog scharf die Luft ein. In seinem Blick spiegelten sich Überraschung und Freude, aber auch Entsetzen. Leticia zog die Schultern hoch und setzte einen entschuldigenden Blick auf.
„Happy Birthday...?", sagte sie unsicher, doch gerade, als er etwas erwidern wollte, unterbrach Noemi ihn mit einem Geburtstagsständchen.
„Happy Birthday to you, Happy Birthday to you, Happy Birthday Maaaaaaaaaax...", sang sie derart voller Hingabe, dass Leticia ein Lachen unterdrückte, weil Noemi so süß war. Auch Maxims gerade noch so ernstes Gesicht verzog sich zu einem überglücklichen Strahlen. Noch während sie sang, ging er in die Knie, nahm ihr die Geschenke aus den Händen und stellte sie auf dem Treppenabsatz ab, bevor er nach ihren kleinen Händen griff. Der entsetzte Ausdruck in seinen Augen war verschwunden und einer Mischung aus Liebe und Rührung gewichen.
„Happy Birthday to youuuuuuu!", beendete Noemi ihr Geburtstagslied, bevor sie ihm um den Hals fiel.
„Danke, mein Engel. Vielen Dank", nuschelte er in ihr Haar, während er sie fest an sich drückte und die Augen schloss. Leticia schluckte hart, denn dieser Anblick trieb ihr Tränen der Rührung in die Augen.
„Oh – mein – Gott! Wie süß ist das denn?!"
Erst jetzt, als ein hysterisches Kreischen die Stille brach, realisierte Leticia, dass eine leicht bekleidete Dunkelhaarige hinter Maxim aufgetaucht war. Total verzückt schaute sie auf Maxim und Noemi herab und schlug sich dabei überzogen die Hände an die Wangen. Die Haare standen wirr von ihrem Kopf ab, ihr Gesicht war rot wie das einer Tomate. Leticia biss sich auf die Zunge, als sie erkannte, dass sie lediglich ein ihr viel zu großes T-Shirt trug.
Ich weiß, wir sind jetzt alle ein bisschen heartbroken. Aber vielleicht ist es ja auch alles gar nicht so, wie es aussieht? Das meint ihr?
DU LIEST GERADE
Wie ein Tattoo
ChickLitHand aufs Herz - wer von uns hat noch nie jemanden belogen oder ihm die Wahrheit verschwiegen, um unberechenbare Folgen zu vermeiden und Unheil abzuwenden? Ist das nicht menschlich? Aber wie würdest Du reagieren, wenn Dich ganz plötzlich Deine Verga...