Kapitel 17;1 - Zweischneidiges Schwert

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Warmes Licht des frühen Mittags fiel durch die Küchenfenster. Vor ihr, auf der gelblichen Arbeitsplatte, lag ein Platt Papier mit einer Adresse — ein Florist.

Sie hätte ihn schon vor einigen Stunden aufsuchen müssen, doch — wie Dolunay gelernt hatte — das Leben in einem derart großen Haus bot nicht nur viel Wohnfläche, sondern auch genügend Raum für Ablenkungen.

Oryn tauchte an ihrer Seite auf, schüttete einen Eimer mit dreckigen Wasser aus. Seine Haut blendete ihr auf unangenehme Weise entgegen, als er sie ansah. »Sag mal«, begann er. »Hast du überhaupt irgendeine Ahnung, was ein Angestellter tun sollte? Weißt du, dass du etwas machen musst? Immerhin sehe ich dich alles machen, außer die eine Sache, die auf deiner Liste steht.«

»Nein, ich habe keine Ahnung«, antwortete sie nüchtern. »Du etwa?«

»Mehr oder weniger. Ich weiß immerhin, dass man sich an die Anweisungen halten sollte, die man erhält.« Er deutete mit einer Hand auf den Zettel vor ihr.

»Wenn du solche Erfahrungen hast, machst du also all das, was ich nicht tun möchte?«

Er presste die Lippen aufeinander — seine Mundwinkel zuckten. »Das da wäre?«

»Alles, was mit sozialen Interaktionen zu tun hat. Auf die Kinder aufpassen, beispielsweise.«

Er würde gut mit anderen umgehen können, immerhin war sein Vater in der Lage, ein ganzes Dorf unter seiner Kontrolle zu halten. Die gute Kunst des Redens musste in der Familie liegen.

Oryn lachte erstickt. »Ach, kannst du mit Kindern nicht umgehen?«

»Ganz richtig. Eben das ist auch der Grund, weshalb ich dich so wenig leiden kann.«

Er füllte den Behälter wieder mit sauberen Wasser. »Ach komm schon. Ich bin zweitälteste unter meinen Brüdern. Wie alt bist du denn?«

»Hat das deine Untersuchung nicht hergegeben? Einundvierzig.«

»Das ist doch jung. Früher oder später wirst du Kinder haben und dann werde ich dich daran erinnern.«

Sie blitzte ihn von der Seite an, musste sich zwingen, erst zu überlegen, bevor sie sprach. »Ich hoffe inständig, dass wir einander nicht so lange kennen werden.«

Er machte ihren Satz in verzogener Stimme nach. Dann maulte er: »Was bist du denn so unerträglich steif? Ich hab doch gesagt, ich tu dir nichts.«

»Es tut mir wirklich Leid, wenn ich niemandem traue, der mich unter tausenden Gesichtern aufgespürt hat, nur um mich — angeblich — auf seine Seite zu ziehen, nachdem ich seinem Vater das Auge ausgeschossen habe.«

»Wird das jetzt so weiter gehen zwischen uns? All die Wochen?«

»Ich hoffe, wir werden in den nächsten Wochen weniger miteinander reden«, gab sie zurück. Sie wollte gerade das Papier packen und hinaus gehen, da griff er  ihren Arm.

Eine einfache Bewegung; doch mit Nachdruck.

Sie machte ihre Hand flach, drückte Oryn an die Wand. Sie streckte ihren Arm zur Seite, packte ein Küchenmesser. Unmittelbar vor seinem Hals erst ruhte das kühle Eisen. Ein wenig mehr Druck und erste Tropfen Blut würde den Kragen seines Hemden färben. »Fass mich nicht nochmal an.«

Der Aart hielt den Kopf still, begegnete ihrem Blick mit tiefster Ruhe. »Das wird dir nicht langweilig, oder?«

»Wie du siehst, haben wir beide unterschiedliche Mentalitäten. Ich bin bereit, zu kämpfen und zu töten — selbst dich.«

»Wenn zwei Kontraste aufeinanderstoßen, entsteht entweder eine Einheit oder ein Krieg«, brummte er zur Antwort. Er schob den Hals etwas noch vorne, der Klinge entgegen. Dolunay musste das Messer ein wenig von ihm wegziehen. »Such dir aus, was du lieber mit mir willst.«

Blut eines CruorsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt